Überwacht - Wie Firmen ihre Mitarbeiter kontrollieren dürfen: Big Brother im Büro
Die kürzlich aufgedeckte Lidl-Affäre ist ein Extremfall. Doch das Bespitzeln von Mitarbeitern am Arbeitsplatz ist weit verbreitet. Welche Maßnahmen sind erlaubt?
Martina Schneider (Name von der Redaktion geändert) ist Verkäuferin einer Drogeriemarktkette. Sie kann ihre Bewacher zwar nicht sehen, aber sie ist überzeugt, dass sie da sind: „Wir wissen genau, dass wir kontrolliert werden“, sagt Schneider, die sich auch als Betriebsrätin engagiert. „Wir wissen nur nicht so genau wie.“
Da in Drogeriemärkten oft geklaut wird, hat sich der Betriebsrat mit dem Unternehmen auf den Einsatz von Kameras verständigt – unter der Bedingung, dass zwar die Kunden, nicht aber die Mitarbeiter zum überwachten Objekt werden. Es sei aber durchaus schon vorgekommen, dass die Kamera plötzlich auf die Kassiererin gerichtet worden sei, sagt Schneider. „Es hieß dann, das Gerät müsse wohl verrutscht sein.“ Auch dass ein Ladendetektiv notierte, welche Mitarbeiter wann zur Arbeit erschienen, hat sie bereits erlebt. Wegen solcher Vorfälle seien viele Beschäftigten sehr misstrauisch.
Nicht erst seit vor einigen Wochen die Bespitzelung von Mitarbeitern der Lebensmittelkette Lidl aufgedeckt wurde, ist die Überwachung am Arbeitsplatz ein Thema. Es muss zwar nicht gleich Lidl sein: „Kontrolle am Arbeitsplatz ist inzwischen aber weit verbreitet“, sagt der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix. Das betrifft alle Branchen, große und auch kleine Unternehmen ab 20 Mitarbeitern aufwärts, in denen die Geschäftsführung keinen direkten Kontakt zu den Mitarbeitern hat.
Gewisse Kontrollen, wie die Stechuhr, die die Arbeitszeit registriert, oder Überprüfungen von Arbeitsergebnissen, müsse der Beschäftigte akzeptieren, sagt Dix. Doch es werden auch eine Reihe von Maßnahmen eingesetzt, die sich in rechtlichen Grauzonen bewegen. „Es gibt keine ausreichenden gesetzlichen Regeln für den Schutz der Privatsphäre am Arbeitsplatz“, erklärt Dix.
Dabei spielt die derzeit viel diskutierte Videoüberwachung nicht die wesentliche Rolle. Die Kamera ist fast ausnahmslos tabu, erklärt der Berliner Arbeitsrechtler Ulf Weigelt. Nur bei konkretem Strafverdacht und in Absprache mit dem Betriebsrat dürfe sie vorübergehend eingesetzt werden. Viel häufiger würden Internetaktivitäten und E-Mails, aber auch Telefonate überwacht. Die technischen Möglichkeiten sind groß: Jedes Telefonat lässt sich nachvollziehen. Softwarehersteller bieten Programme an, durch die der Chef jeden Schritt auf dem PC des Arbeitnehmers live mitverfolgen kann.
Unternehmen kontrollieren nicht nur, um Diebstähle aufzuklären. Sie setzen solche Maßnahmen auch aus Sicherheitsgründen ein und um Kosten zu überwachen, sagt der Sprecher der Industrie- und Handelskammer Holger Lunau. Außerdem wird so auch „Material“ gesammelt, um unliebsame Mitarbeiter loszuwerden, erklärt Arbeitsrechtler Weigelt: „Es wird heimlich kontrolliert. Der Arbeitnehmer erfährt erst davon, wenn der Chef plötzlich sagt: Jetzt reicht’s.“
Dabei haben Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen durchaus das Recht, Mitarbeiter zu kontrollieren, zum Beispiel dann, wenn in der Firma generell verboten ist, Internet, Mails oder Telefon für private Zwecke zu nutzen. „Hände weg von privaten Dingen bei der Arbeit“, sagt etwa der Berliner Betriebsrat der Commerzbank, Daniel Hampel. In dem Geldhaus sei es nicht erwünscht, das Mitarbeiter das Internet privat nutzen, der Blick auf das Kinoprogramm sollte die Ausnahme sein, sagt Hampel. Auch private E-Mails sind tabu.
Das Einhalten der Regeln wird kontrolliert. „Im Rahmen der Datenverarbeitungs- und IT-Sicherheit kann von einem definierten kleinen Personenkreis das Nutzungsverhalten von Internet und E-Mail geprüft werden“, erklärt Hampel. Wegen des Abrufs pornografischer Seiten habe es im Betrieb schon zwei Kündigungen gegeben. Bei Verdacht auf einen Verstoß gegen die Firmenregeln kann auch das Mail-Postfach überprüft werden.
Nicht überall müssen Mitarbeiter aber ganz auf Privates verzichten. Ist die private Internetnutzung im Betrieb erlaubt, sind auch Kontrollen aus Datenschutzgründen eigentlich kein Thema, sagt Anwalt Weigelt. Meist gibt es weder in Betriebsvereinbarungen noch in Arbeitsverträgen Regeln zur privaten Internet- und E-Mail-Nutzung. Dabei sei es sinnvoll, dass Arbeitgeber offizielle Regeln aufstellten, die etwa in Aushängen für jedermann einsehbar seien. „Da muss eine klare Ansage erfolgen.“
Solche Vereinbarungen sind auch für Beschäftigte, die das private Nutzen des Internets als Selbstverständlichkeit ansehen und viel Arbeitszeit im Netz verbringen, ein Richtwert, an den sie sich halten müssen, sagt Verdi-Arbeitsrechtler Helmut Platow. Um sich Konflikte mit Mitarbeitern und außerdem datenschutzrechtliche Probleme zu ersparen, gehen deshalb immer mehr Arbeitgeber dazu über, die private Nutzung von Internet und Mails im Unternehmen einzuschränken.
Nicht immer kommt bei der Kontrolle von Beschäftigten Technik zum Einsatz. In einem seiner Fälle wurde eine Mitarbeiterin so im Büro platziert, dass der Chef bei der Arbeit direkt hinter ihr saß, sagt Anwalt Weigelt. In einem anderen Fall wurden Mitarbeiter aufgefordert, Unterlagen gegen ihren Niederlassungsleiter zu sammeln und diese an die Zentrale weiterzuleiten. Da wurden etwa heimlich Faxe und der Maileingang kopiert. Das allerdings verstößt gemeinhin gegen die Persönlichkeitsrechte.
Bei den großen Arbeitgebern Berlins gibt man sich wortkarg zu dem Thema: „Wir setzen auf die Politik des gegenseitigen Vertrauens“, heißt es etwa bei Siemens. Ein Sprecher der Deutschen Bahn wiederum betont, durch verschiedene Betriebsvereinbarungen würden die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten gewahrt. Die Videoüberwachung etwa erfolge ausschließlich zum Schutz der Reisenden – und der Mitarbeiter.
Maria Marquart
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