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Die Technik am Laufen halten. Fachinformatiker können nach der Ausbildung auf ein gutes Einstiegsgehalt hoffen.
© imago/photothek

Berufsbildung: „Berlin ist noch Entwicklungsland“

Berufsschulen bereiten Fachkräfte auf die digitalisierte Arbeitswelt vor. Schulleiter fordern mehr Ausbildungsplätze für alle Schulabschlüsse.

Der Schulhof des Oberstufenzentrums Informations- und Medizintechnik (OSZ IMT) im Neuköllner Ortsteil Britz ist wie leergefegt. Eben tummelten sich hier noch hunderte Schülerinnen und Schüler. Nun sitzen sie in den Laboren, Computerräumen und Werkstätten des großen, vierstöckigen Plattenbaus in der Haarlemer Straße. So auch die 25-köpfige Klasse von Herrn Thamm, die ihre Informatikkenntnisse zu früher Stunde in einem kleinen Test unter Beweis stellen müssen. Die Anwesenden kommen aus allen Berliner Bezirken und befinden sich gerade im dritten Jahr ihrer Fachinformatikausbildung. Immer im Wechsel verbringen sie zwei Wochen in ihrem Ausbildungsbetrieb und eine Woche hier am OSZ.

Ein leises Tastaturtippen schallt durch den Raum. Einige Berufsschüler fangen an zu tuscheln. „Seid ihr etwa schon fertig?“, fragt IT-Lehrkraft Thamm. Die Schüler nicken, unter ihnen der 21-jährige Dustin. Er macht die Ausbildung zum Fachinformatiker bei einem großen Berliner Softwareunternehmen und bereut den Schritt an die Berufsschule nicht: „Nach dem Abi wollte ich erstmal etwas Praxiserfahrung sammeln.“ Eine duale Ausbildung sei zwar stressig, gibt er zu. Aber die Doppelbelastung aus Schule und Beruf habe er durch die Hilfe seines Betriebs immer gut bewältigen können. Mit der Berufsschule ist Dustin zufrieden. Im ersten Ausbildungsjahr habe es einige Organisationsschwierigkeiten gegeben, die sich aber gelegt hätten. Das WLAN sei zufriedenstellend, „aber die Geräteausstattung ist etwas mau“, sagt er. Die anderen Berufsschüler werfen ihm zustimmende Blicke herüber.

Geld aus dem Digitalpakt macht Hoffnung

Damit spricht Dustin eines der Kernprobleme der Berliner Berufsschulen an: die schleppende Digitalisierung. Ende 2018 besaßen insgesamt nur rund 27 Prozent der Berliner Oberstufenzentren einen flächendeckenden WLAN-Anschluss. Etwa 7 Prozent verfügten über Bandbreiten von über 200 Megabits pro Sekunde. Das ist eine Bandbreite, mit der ein Drei-Personen-Haushalt auskommt, nicht aber eine ganze Berufsschule. Dennoch: Die WLAN-Abdeckung am OSZ IMT ist mit 85 Prozent überdurchschnittlich hoch. Und auch sonst sehe es hier deutlich besser aus, als an anderen Berliner OSZs, bestätigt Schulleiter Volker Dahms. „Wir haben den großen Vorteil, dass wir mit den IT-Lehrkräften viele Fachleute direkt im Haus haben.“

Andere Berliner Berufsschulen verfügen nicht über einen solchen Luxus, wie Ronald Rahmig bestätigen kann. Er ist Schulleiter des OSZ Kraftfahrzeugtechnik in Charlottenburg und Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulen in Berlin. „Bei der Bildungsverwaltung haben wir schon den Eindruck, dass spezifische Bedürfnisse der Berufsschulen nicht hinreichend berücksichtigt werden“, beklagt er. „Die Technik ist das eine, aber die muss auch am Laufen gehalten werden. Wir brauchen ausreichend Administratoren für die Wartung der Geräte.“ Der Schulleiter wünscht sich mehr Unterstützung durch die Politik.

Dahms und Rahmig hoffen nun auf das Geld aus dem Digitalpakt. Diese Verwaltungsvereinbarung von Bund und Ländern hat zum Ziel, die IT-Ausstattung an deutschen Schulen zu verbessern. Der Bund stellt den Ländern hierfür fünf Milliarden Euro über die nächsten fünf Jahre bereit. Davon fließen 257 Millionen Euro nach Berlin. Noch 2019 sollen 38 Millionen Euro investiert werden. Bis zum Ende des Jahres sollen alle 36 Berliner Oberstufenzentren einen Glasfaseranschluss erhalten.

Vom Lehrermangel weitgehend verschont

Über die Lehrkräfte äußert sich Berufsschüler Dustin – vor allem mit Blick auf das dritte Ausbildungsjahr – positiv. In der Klasse herrsche eine angenehme Stimmung und die Lehrkräfte würden immer auf Augenhöhe mit den Schülerinnen und Schülern agieren. Im Hinblick auf die Lehrkräftesituation sieht Rahmig keine großen Probleme. „Aufs Ganze gesehen haben die Berliner Berufsschulen genügend Lehrkräfte, der Unterrichtsbedarf wird abgedeckt.“ Eine große Pensionierungswelle sei nicht in Sicht. Viele potentielle Berufsschullehrkräfte würden sich zwar aufgrund des höheren Gehalts für einen Job in der freien Wirtschaft entscheiden, aber dafür liefe die Rekrutierung von Quereinsteigern sehr gut. Auch IT-ler Thamm ist Quereinsteiger. Er hat lange bei einem internationalen IT-Konzern gearbeitet und ist dann als Lehrkraft ans OSZ gekommen. Seinen Schülern gefällt es, wenn der theoretische Unterricht mit ein paar praktischen Anekdoten gespickt wird.

Nach drei Jahren Ausbildung wird Dustin im nächsten April bei der IHK seine Abschlussprüfung machen. Mittlerweile ist er sich auch gar nicht mehr sicher, ob er überhaupt noch studieren will. „Viele meiner Kollegen im Unternehmen nehmen mich gar nicht mehr als Azubi wahr, sondern als vollwertigen Mitarbeiter.“ Sollte Dustin übernommen werden, würde er das Angebot seines Ausbildungsbetriebs wohl annehmen. Als Fachinformatiker kann er auf ein gutes Einstiegsgehalt hoffen.

Nur jeder fünfte Berliner Betrieb bildet aus

In anderen Branchen sieht es deutlich schlechter aus. „Noch in den 00er Jahren waren viel mehr Abiturienten auf dem Markt als heute. Diejenigen, die sich früher für eine Ausbildung interessiert haben, studieren heute“, erzählt Schulleiter Rahmig. Das hinge vor allem mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zusammen. Das Abitur würde seit vielen Jahren als alternativlos angesehen. Viele Eltern würden ihre Kinder aus Prinzip aufs Gymnasium und an die Uni schicken, obwohl sie mit einem mittleren Schulabschluss in einer Ausbildung viel besser aufgehoben wären. Kollege Dahms vom OSZ IMT sieht das ähnlich. „Ich frage immer: Wenn alle Abitur haben, wer soll noch Autos reparieren, die Tapete an die Wand kleben oder Brötchen backen?“

Viele Berliner Betriebe würden sich über die mangelnde Ausbildungsreife bei jugendlichen mit einem mittleren Schulabschluss beklagen, so Rahmig. Azubis mit Abitur seien natürlich reifer und belastbarer, aber die Unternehmen müssten mit dem auskommen, was der Markt hergäbe. „Die Investition in das Humankapital könnte bei vielen Unternehmen größer sein“, sagt er.

Beim aktuellen Fachkräftemangel sollten sich außerdem mehr Firmen aufmachen und ausbilden, fordert Ronald Rahmig. Aktuell bilden nämlich nur rund 20 Prozent der als ausbildungsfähig eingestuften Berliner Betriebe aus. „Berlin ist, was die Anzahl der Ausbildungsplätze betrifft, Entwicklungsland“, stellt Volker Dahms fest.

Tim Stripling

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