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Facebook zerschlagen? Nein, sagt Andreas Mundt, es gibt bessere Wege.
© imago/Ralph Peters

Bundeskartellamt-Chef Mundt im Interview: „Bei Facebook heißt es: Friss oder stirb“

Andreas Mundt will Facebook und anderen Grenzen setzen. Kein Unternehmen darf sich seine Regeln selber machen, sagt er. Das wäre politisch gefährlich.

Im Ton ist er verbindlich, in der Sache hart. Andreas Mundt (60) ist seit 2009 Präsident des Bundeskartellamts. Die Behörde prüft Fusionen von Firmen, geht gegen illegale Absprachen vor und weist Unternehmen, die ihre Marktmacht missbrauchen, in ihre Schranken.

Inzwischen sind es oft Internetunternehmen, die die Behörde beschäftigen. Angst vor großen Namen hat Mundt nicht, im Gegenteil: Der Jurist legt sich gern mit den Mächtigen an. Facebook will er dazu zwingen, vorsichtiger mit den Daten der User umzugehen. Amazon muss seine Händler nach der Intervention des Bundeskartellamts besser behandeln, die Buchungsplattform Booking darf Hotels nicht länger dazu verdonnern, ihr die besten Preise einzuräumen. Auch aktuell bieten die Onlineplattformen Stoff für Konflikte.

Auch die großen Online-Plattformen müssen sich an die Gesetze halten, sagt Andreas Mundt.
Auch die großen Online-Plattformen müssen sich an die Gesetze halten, sagt Andreas Mundt.
© Bundeskartellamt

Herr Mundt, Facebook hat sich mit einem ganzen Kontinent angelegt und vorübergehend Nachrichtenseiten in Australien gesperrt, weil das Unternehmen dort nicht für Medieninhalte zahlen will. Wie ernst muss man solche Machtdemonstrationen nehmen?
Jedes Land hat seine Regeln. Diese gelten für alle Unternehmen, die dort Geschäfte machen, auch für Facebook. Die Länder müssen darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden. Das ist ganz wichtig. Kein Unternehmen darf die Macht haben, sich seine Regeln selbst zu setzen. Das wäre auch politisch gefährlich.

Auch in Deutschland sollen Firmen wie Facebook oder Google künftig zahlen, wenn sie Artikel veröffentlichen. Steht uns ein ähnlicher Konflikt bevor wie Australien?
Noch sind wir nicht so weit. Die entsprechende EU-Richtlinie zum Leistungsschutzrecht wird gerade in deutsches Recht umgesetzt. Aber der Gesetzgeber ist gut beraten, hier klare Ziele zu verfolgen. Die Presse ist etwas Besonderes, sie ist ein Pfeiler der Demokratie.

Das Bundeskartellamt beschäftigt sich schon seit langem mit Facebook. In einem Grundsatzverfahren wollen sie den Austausch von Nutzerdaten zwischen Facebook, WhatsApp und Instagram verbieten, wenn die Nutzer widersprechen. Jetzt schreibt WhatsApp diesen Datenaustausch in seine neuen Geschäftsbedingungen. Macht sich Facebook lustig über Sie?
Zunächst: In unserem Facebook-Verfahren geht es um mehr als den Austausch der Daten zwischen den verschiedenen Facebook-Diensten. Wir haben Facebook untersagt, die Daten der Nutzer aus den verschiedenen Diensten und aus den sonstigen Besuchen von Drittseiten im Netz auf einem Account zusammenzuführen und zu verwenden, soweit keine ausdrückliche Einwilligung der Nutzer dafür vorliegt. Die angekündigte Änderung der WhatsApp-AGB hat keinen Einfluss auf unser Verfahren. Die Vorgehensweise kennen wir aber nur allzu gut.

Streit um Datenschutz: WhatsApp will seinen Nutzerinnen und Nutzern neue Geschäftsbedingungen aufzwingen.
Streit um Datenschutz: WhatsApp will seinen Nutzerinnen und Nutzern neue Geschäftsbedingungen aufzwingen.
© dpa

Wie sieht die aus?
Den Kunden wird keine Wahl gelassen. Entweder sie akzeptieren oder sie werden abgeschaltet. Friss oder stirb. Ein marktbeherrschendes Unternehmen darf so aber nicht vorgehen, es muss den Kunden eine Wahlmöglichkeit geben.

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Können Sie das nicht durchsetzen?
Das tun wir gerade. Die Marktmacht der großen Internetunternehmen beruht unter anderem auf ihrem Datenschatz. Die uferlose Zusammenführung der Nutzerdaten aus verschiedensten Quellen wollen wir bei Facebook stoppen. Wichtig ist dabei, dass die User die Dienste von Facebook, WhatsApp und Instagram auch dann weiter nutzen dürfen, wenn sie dieser Datensammlung widersprechen, anders als heute. Facebook wehrt sich dagegen vor den Gerichten, die Sache läuft noch. Was Facebook jetzt mit WhatsApp macht, ist für uns daher nicht wirklich etwas Neues. Ich bin übrigens auch nicht sicher, ob die neuen Bedingungen für deutsche Nutzer wirklich viel ändern.

Falls doch, wollen Sie dann gegen WhatsApp vorgehen?
Wir haben mit der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen neue Möglichkeiten bekommen, und wir prüfen jetzt ganz konkret, welche neuen Verfahren wir eröffnen. Eines haben wir schon auf den Weg gebracht, das Oculus-Verfahren. Es geht um eine Virtual-Reality-Brille, die man nur mit einem Facebook-Account nutzen kann. Und Facebook macht auch hier die Nutzung der VR-Brille davon abhängig, dass man dem Austausch der Daten zwischen Oculus und Facebook zustimmt.

Corona-Profiteur Amazon: In der Krise kaufen die Menschen online.
Corona-Profiteur Amazon: In der Krise kaufen die Menschen online.
© REUTERS

Nutzen Sie selber WhatsApp?
Ja, man ist ja geradezu darauf angewiesen, das ist ja das Problem. Folge der sogenannten Netzwerkeffekte: Alle nutzen diesen Dienst, deshalb tut man das auch. Ich gehe ja auch nicht in eine Gaststätte, von der ich weiß, dass niemand meiner Freunde oder Bekannten da ist.

Aber darauf setzt ja Facebook etwa bei seinem Streit in Australien – dass das Netzwerk unverzichtbar ist.
Darin äußert sich die Marktbeherrschung des Konzerns. 23 Millionen Menschen nutzen bei uns in Deutschland Facebook jeden Tag, über 30 Millionen Nutzer gibt es pro Monat. Ich hoffe wirklich, dass wir gegen Facebook vor Gericht gewinnen und dem Unternehmen endlich Grenzen gesetzt werden. Wenn wir die „interne Entflechtung“ bei Facebook durchsetzen, wäre das ein großer Schritt. Das greift nämlich in den Kern des Geschäfts ein.

Sie führen Verfahren, in den USA wird über eine Zerschlagung von Facebook nachgedacht. Ist das nicht der mutigere Weg?
Zerschlagung kommt immer dann ins Spiel, wenn man nicht weiterweiß. Zunächst brauchen wir wirksame Auflagen für die Unternehmen, die wirklich etwas ändern. Ich finde, wir beim Bundeskartellamt sind da schon sehr stringent. Nehmen Sie unser Verfahren gegen Amazon. Von dem profitieren allein in Deutschland über 300.000 Händler, die ihre Waren über den Amazon Marketplace verkaufen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Geschäftsbedingungen fairer ausgestaltet wurden; letztlich sogar weltweit. Amazon muss nun Kündigungsfristen einhalten und Gründe für eine Kündigung oder Sperrung eines Kontos nennen. Außerdem kann sich Amazon nicht länger von jeder Haftung gegenüber den Händlern freizeichnen, und die Händler können Amazon jetzt in Deutschland verklagen und müssen nicht mehr in jedem Konfliktfall nach Luxemburg.

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Aber wären die Probleme mit einer Zerschlagung nicht endgültig gelöst?
Im Gegenteil. Ein solches Verfahren ist sehr, sehr komplex: Wie soll die Zerschlagung ablaufen, von welchen Teilen soll sich ein Unternehmen trennen müssen? Dann geht das Ganze vor Gericht. Bei dem überwiegend konservativ besetzten Supreme Court in den USA weiß man nicht, wie ein solches Verfahren ausgehen würde. Auf jeden Fall dauert das viele, viele Jahre. Unser Vorgehen in Europa ist insofern effektiver. Außerdem darf man eine weitere Konsequenz nicht außer Acht lassen: Wenn wir einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln feststellen, eröffnet das anderen Unternehmen die Möglichkeit, Schadensersatz einzuklagen. Bei Kartellen, wie zum Beispiel Preisabsprachen, ist das inzwischen gang und gäbe. Wir sehen das jetzt aber auch in anderen Fällen. Wir hatten dem Hotel-Buchungsportal booking.com Klauseln untersagt, mit denen Hotels verboten wurde, ihre Zimmer irgendwo günstiger anzubieten, als bei booking selbst. Jetzt gibt es die ersten Bestrebungen von Hoteliers Schadensersatz geltend zu machen.

Hoteliers klagen gegen Booking.
Hoteliers klagen gegen Booking.
© Robert Kneschke - Fotolia

Was ist die wichtigste Änderung, die Ihnen die Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bringt?
Das Gesetz führt einen neuen Begriff ein, nämlich „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb". Charakteristisch dafür ist insbesondere ein sich über verschiedene Märkte erstreckendes Ökosystem – eine schwer angreifbare wirtschaftliche Machtstellung. Wenn wir festgestellt haben, dass ein Unternehmen in diese Kategorie fällt, können wir bestimmte Verhaltensweisen, Strategien, mit denen diese Firmen ihre Position festigen oder ausweiten wollen, abstellen. Und zwar schneller als bislang. Und wir können verhindern, dass sie ihre Stellung auf neuen Märkten ausspielen, auch wenn sie dort noch gar nicht marktbeherrschend sind.

In der Coronakrise haben viele Menschen online eingekauft und ihre Freunde nur im Internet getroffen. Hat die Pandemie Amazon und Facebook noch stärker gemacht und Sie zurückgeworfen?
Ein Unternehmen wie Amazon hat natürlich ganz stark profitiert. Auch Anbietern von Online-Werbung hat die Krise in die Hände gespielt. Die Coronakrise hat die Macht der Onlineanbieter stärker und schneller wachsen lassen. Für uns ist das ein Ansporn, noch genauer hinzusehen. Wir haben unsere Arbeit auch in der Pandemie weitergemacht und unsere Verfahren vorangetrieben.

Durchsuchungen vor Ort sind jedoch schwieriger geworden. Sind Ihnen Kartellsünder entschlüpft?
Das hoffe ich doch nicht. Wir haben im vergangenen Jahr mehr als 350 Millionen Euro an Bußgeldern wegen Kartellabsprachen verhängt. Wir haben neue Hinweise erhalten, denen wir natürlich auch nachgehen. Unter einem strengen Hygienekonzept konnten wir sogar Durchsuchungen durchführen.

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Noch werden Unternehmen, die wegen der Coronakrise überschuldet sind, geschont. Bis Ende April müssen sie keinen Insolvenzantrag stellen, wenn sie staatliche Hilfen beantragen können. Kommt danach die große Pleite- und Fusionswelle?
Das hängt von der Branche ab. Es gibt Unternehmen, denen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie nichts anhaben können oder die sogar davon profitieren. Und dann sehen wir Branchen, die in enormen Schwierigkeiten stecken. Ich kann mir vorstellen, dass die Zahl der Fusionen zunehmen wird und dass darunter auch viele heikle Zusammenschlüsse sein könnten.

In der Krise: Soll der Staat angeschlagenen Unternehmen wie der Tui oder der Lufthansa helfen?
In der Krise: Soll der Staat angeschlagenen Unternehmen wie der Tui oder der Lufthansa helfen?
© REUTERS

Was meinen Sie?
Wenn Märkte betroffen sind, auf denen schon jetzt nicht mehr viele Wettbewerber sind, kann das problematisch werden.  Oder Sanierungsfusionen, mit denen ein Unternehmen vor der Insolvenz gerettet werden soll. Fusionen sind besonders wettbewerbsrelevant, weil sie Fakten für die Zukunft schaffen. Vorübergehende Kooperationen, wie wir sie derzeit verstärkt sehen, sind da unkomplizierter. Wir können sie vorübergehend erlauben. Und wenn sich die Lage verbessert, werden sie wieder aufgelöst.

Der Staat hat einigen Unternehmen in der Krise geholfen. Bei der Lufthansa war er vorübergehend beteiligt, bei der Tui hat er das Recht einzusteigen. Verzerrt das nicht den Wettbewerb?
Staatsinterventionen sind immer schwierig, weil sie einige Unternehmen begünstigen und andere nicht. Aber man muss auch ehrlich einräumen, dass der Staat in einer solchen Krise wie wir sie jetzt haben, nicht einfach an der Seitenlinie stehen und zuschauen kann. Ich glaube, die Politik muss helfen. Aber die Hilfe muss verhältnismäßig sein, sie darf keinen Wettbewerber ausschließen, der ebenfalls Unterstützung braucht, und der Staat muss sich zurückziehen, wenn sich die Verhältnisse wieder entspannt haben.

Bei der Commerzbank ist der Staat seit der Finanzkrise Anteilseigner.
Der Fall zeigt, wie schwierig der Ausstieg sein kann. Das ist ein mahnendes Beispiel.

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