Reinhard Bütikofer im Interview: „Bei Ceta darf man nicht nur auf die Großkonzerne hören“
Der Chef der europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, fordert eine neue EU-Handelspolitik und wirft Wirtschaftsminister Gabriel falsches Spiel vor.
Herr Bütikofer, demonstrieren Sie am Samstag mit gegen Ceta und TTIP?
Ja, ich werde in Berlin dabei sein.
Warum machen Sie das?
Ich will nicht, dass unter dem Mantel des Freihandels, für den ich bin, Ziele durchgesetzt werden, die mit Freihandel nichts zu tun haben.
Nämlich?
Die Untergrabung demokratischer Verantwortung unserer Parlamente, die Intransparenz für den Bürger, die Stärkung großer Konzerne zu Lasten des Mittelstands und die Aufweichung von Verbraucherschutz- oder Umweltstandards.
Ceta und TTIP unterscheiden sich aber doch beträchtlich von einander. Vergleicht man hier nicht Äpfel mit Birnen?
Ja, man kann Ceta und TTIP nicht über einen Leisten schlagen. Aber auch bei Ceta gibt es noch ungelöste Punkte.
Was meinen Sie?
Erstens: Das neue System für den Investorenschutz befriedigt nicht. Zweitens: Der Schutz kommunaler Dienstleistungen vor einem Privatisierungsdruck ist unvollständig. Und drittens ist es nicht gelungen, Arbeitnehmerrechte in dem Abkommen so zu verankern, wie es sogar die USA in einigen ihrer Handelsabkommen getan haben.
Sollte man Ceta in der gegenwärtigen Form daher besser nicht verabschieden?
So ist es. Man muss nochmal dran arbeiten. Was nicht geht, ist das, was Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vorschlägt: Erst mal unterschreiben und dann eventuell nachbessern. Das ist unredlich.
Ceta ist ein gemischtes Abkommen, das heißt, das Europaparlament und alle nationalen Parlamente müssen zustimmen. Kann das angesichts der großen Vorbehalte überhaupt gelingen?
Die Parlamente werden durch Ceta geschwächt. Das Abkommen enthält Ermächtigungen, dass nach seinem Inkrafttreten bestimmte Gegenstände auf exekutiver Ebene neu geregelt werden dürfen, ohne dass das Europarlament mitbestimmt. Was die Verabschiedung von Ceta im Europaparlament angeht, so hängt vieles von dem Votum des SPD-Parteikonvents am Montag ab. Die Christdemokraten und alle Fraktionen weiter rechts sind für Ceta. Die sozialistische Fraktion ist noch unentschlossen, ihre Haltung wird den Ausschlag geben. Bevor die nationalen Parlamente entscheiden, will die EU aber bereits weite Teile des Abkommens, nämlich die, die ausschließlich in die EU-Kompetenz fallen, vorläufig in Kraft setzen.
Wie finden Sie das?
Das vorläufige Inkrafttreten darf sich nur auf EU-Kompetenzfelder beziehen, sonst ist das nicht in Ordnung.
Die kanadische Regierung hat sich auf EU-Wünsche eingelassen, statt privater Schiedsgerichte ein Handelsgericht für Investorenstreitigkeiten einzurichten, mit Richtern und einer Berufungsinstanz. Warum sind Sie immer noch nicht zufrieden?
Weil das Augenwischerei ist! Der Fortschritt ist bestenfalls homöopathisch.
Sie sind industriepolitischer Sprecher der europäischen Grünen. Die Industrie ist für Ceta und TTIP. Interessiert Sie das nicht?
Es ist doch nicht so, dass die gesamte Industrie bei TTIP und Ceta einer Meinung wäre. Im Mittelstand gibt es eine starke Ablehnung gegen die vorgesehene Schiedsgerichtsbarkeit bei TTIP. Und was Ceta angeht, so würde auch die Industrie von Nachbesserungen profitieren.
Sollten sich Handelsabkommen künftig auf den Abbau von Zöllen und die Harmonisierung von technischen Normen beschränken?
Die Harmonisierung technischer Normen würde etwa unserem Maschinenbau sehr helfen. Aber die USA waren erstaunlich zögerlich, diese Dinge überhaupt zu verhandeln. Gegen technische Harmonisierung, wo das beiderseits bestehende Schutzniveau gleich gut ist, würde doch auch keiner auf die Straße gehen. Demonstriert wird gegen Demokratieverlust, gegen Privilegien für Großkonzerne und gegen eine regulatorische Zusammenarbeit, bei der letztlich die Lobbyisten den Ton angeben. Und demonstriert wird gegen die Absenkung von Standards.
Die europäischen Standards sind aber doch gar nicht in allen Bereichen besser.
Nein. Was die Finanzaufsicht angeht, die Zulassung von Medikamenten oder sicheres Kinderspielzeug sind die US-Standards besser. Aber in allen Bereichen können Sie die Bemühungen von US- und EU-Lobbyisten beobachten, Standards nach unten und nicht nach oben zu regulieren.
Hat die EU-Kommission die Macht verloren, Freihandelsabkommen zu verhandeln?
Nein. Aber wir brauchen eine neue Handelspolitik. EU-Präsident Donald Tusk hat neulich gesagt, Freihandelsverhandlungen müssten mit Blick auf die Verbraucher, die Arbeitnehmer und die Unternehmer geführt werden. Okay. Alle gesellschaftlichen Interessen müssen ernst genommen werden, nicht nur die Interessen der Großindustrie. Ich bin nicht für Protektionismus, aber ich bin für eine Handelspolitik, in der auch die Verbraucher eine Rolle spielen. Die neuen Handelsabkommen greifen tief in das Verhältnis zwischen Staat und Bürger ein. Dass die Bürger gehört werden wollen, ist da doch klar.