Streit um Freihandelsabkommen: Herbststimmung für Ceta
Dem europäischen Freihandelsabkommen mit Kanada ergeht es derzeit ähnlich wie seinem großen Bruder TTIP: Es steht auf der Kippe.
Die Freihandelsgegner machen mobil. An diesem Samstag wird gleich in sieben Städten, darunter auch in Berlin, gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) demonstriert. Die Ausgangslage ist bei beiden Abkommen indes eine gänzlich andere. Während ein Durchbruch bei TTIP in den kommenden Monaten immer unwahrscheinlicher wird, stehen die Chancen für Ceta gar nicht schlecht. Der Status-Quo der Verhandlungen, die wichtigsten Streit- sowie Kritikpunkte des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens im Überblick.
Die Ausgangslage
Für Ceta stehen nächste Woche wichtige Entscheidungen an. Am Montag beschäftigt sich der SPD-Parteikonvent mit dem geplanten Abkommen, am Freitag darauf die Handelsminister der EU. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hält Ceta für ein gutes Abkommen und will es – anders als TTIP – über die Bühne bringen. Doch auch in seiner Partei gibt es starke Vorbehalte gegen den Freihandel. Um eine Niederlage beim Konvent in Wolfsburg zu vermeiden, hat Gabriel versprochen, in bestimmten Punkten noch Klarstellungen zu erreichen. So sollen Kanada und die EU ergänzende Erklärungen über den Investitionsschutz, die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und die öffentliche Daseinsvorsorge abgeben. Damit das klappt, reist Gabriel am Donnerstag nach Kanada und will dort Handelsministerin Chrystia Freeland und Premier Justin Trudeau treffen. Am selben Tag wird übrigens auch TTIP wieder ein Thema. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström trifft den US-Handelsbeauftragten Michael Froman.
Der Verhandlungsstand
In einem sind sich alle einig, auch die Kritiker: Ceta ist besser als das, was TTIP zu werden verspricht. Denn viele Punkte, die Europäer bei den TTIP-Verhandlungen stören, sind bei dem europäisch-kanadischen Abkommen auf Druck der Europäer bereits nachgebessert worden. Das betrifft etwa die umstrittenen privaten Schiedsgerichte, die nach Meinung der US-Verhandler Investoren gegen Benachteiligungen und Schlechtbehandlungen schützen sollen. Bei Ceta sollen über Investorenansprüche Berufsrichter entscheiden. Es gibt ein ordentliches Verfahren und eine Berufungsinstanz.
Auch auf eine mit der „Buy-american“-Klausel bei TTIP vergleichbare Regelung verzichten die Kanadier. Sie öffnen ihre Beschaffungsmärkte für europäische Firmen und zwar von der Bundes- bis hin zur Kommunalebene. Das Vorsorgeprinzip beim Verbraucherschutz wird anerkannt, kanadische Lebensmittel, die mit Hormonen oder Gentechnik behandelt worden sind, werden nicht nach Europa exportiert.
Die öffentliche Daseinsvorsorge wird respektiert. Wasserversorgung, Gesundheitswesen oder Bildung bleiben auch unter Ceta in öffentlicher Hand. „In Kanada gehört das öffentliche Gesundheitswesen zu den Kronjuwelen unseres Staates“, sagte die kanadische Handelsministerin Freeland im Frühling dem Tagesspiegel. Auch in der EU geografisch geschützte Herkunftsbezeichnungen – ein weiterer Streitpunkt bei den TTIP-Verhandlungen – wie Parmaschinken werden geschützt. „Wir halten uns an die europäischen Vorgaben“, verspricht die Ministerin.
Tatsächlich ist die liberale Regierung, die seit einem Jahr im Amt ist, den europäischen Nachbesserungswünschen bei Ceta weit entgegenkommen, nachdem ihre Vorgänger wenig Kompromissbereitschaft gezeigt hatten. Warum jetzt aber immer noch an dem Abkommen herumgedoktert und kritisiert wird, kann man in Kanada nicht so recht verstehen. Ceta sei doch ein „hervorragendes Abkommen“, sagt Freeland.
Die Kritik
Aktivisten befürchten, dass Investoren auch bei Ceta durch die Hintertür Reformen im Umwelt- und Gesundheitsschutz verhindern können. Zwar sei das geplante Handelsgerichtsverfahren besser als bei TTIP, aber mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie „faire und gerechte Behandlung“ könnten Investoren auch unter Ceta hohe Entschädigungen verlangen, wenn neue Gesetze ihre Profite einschränken, warnt Marita Strasser von Campact. Den Gewerkschaften geht der Investorenschutz zu weit. Sie hoffen auf Veränderungen im weiteren parlamentarischen Vefahren. Marita Strasser wünscht sich zudem im Abkommen eine explizite Verankerung des Vorsorgeprinzips beim Verbraucherschutz und einen noch weitergehenden Schutz des Dienstleistungsbereichs. Statt einer Negativliste, auf der die Bereiche stehen ( Wasserversorgung, Gesundheitssektor, soziale Dienstleistungen, Bildungsbereich), die besonders geschützt werden, wünschen sich die Kritiker einen strukturell anderen Zugang. Sie wollen eine Positivliste der Bereiche, die liberalisiert werden sollen, damit klar ist, dass der Rest nicht angetastet wird.
Zudem geht den Bauern auch der Schutz der Herkunftsangaben nicht weit genug. Von mehr als 4000 regional geschützten Produkten tauchen im Ceta- Text nur 173 auf, kritisiert Berit Thomsen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Neben den geplanten Demos machen die Kritiker auch mit Onlinepetitionen gegen die Freihandelsabkommen Druck. Über 400 000 Menschen haben im Internet gegen Ceta votiert, mehr als 800 000 gegen TTIP.
Die Aussichten
Politisch ist Ceta weiterhin umstritten. Eigentlich ist die EU-Kommission der Auffassung, dass sie für den Freihandel zuständig ist und dass das Abkommen schon jetzt vorläufig angewandt werden darf. Nach heftigen Protesten hat Brüssel jedoch eingelenkt und behandelt Ceta jetzt als gemischtes Abkommen. Das heißt: Nicht nur das Europaparlament muss zustimmen, sondern auch alle nationalen Parlamente. Am kommenden Freitag werden sich die Wirtschaftsminister der EU mit dem Abkommen beschäftigen. Konkret geht es bei dem Treffen um die Frage, welche Teile von Ceta schon jetzt, ohne die Zustimmung der Parlamente, vorläufig Anwendung finden können.