Mehr Milchexporte?: Bauern, Verbraucher, Industrie - wer vom Ende der Quote profitiert
An diesem Dienstag endet die jahrzehntelange Regulierung durch die EU. Das Sterben kleinerer Betriebe konnte die Milchquote nicht verhindern. Ihre Abschaffung dürfte vor allem den Export stärken.
Ein weiches Bett, frisches Wasser, reichlich Futter und gute Landluft. „Mehr braucht eine Kuh nicht zum glücklich sein“, sagt Timo Wessels. Rund 550 Kühe leben auf seinem Hof im brandenburgischen Lehnin, unweit von Berlin. Seine Tiere stehen in einem Laufstall ohne Seitenwände. Dadurch bekommen die Kühe Licht und frische Luft, sind aber geschützt. Im Stall können sie sich frei bewegen: Auf der einen Seite gibt es weiche Betten aus Einstreumaterial, auf der anderen reichlich Futter aus Raps, Soja und Getreide. In einer Edelstahltränke plätschert Wasser, im Gang transportiert ein schmales Fließband leise ratternd den Kuhdung ab. Acht Wochen im Jahr kommen Wessels Kühe raus auf die Weide. „Zum Urlaub“, sagt der 36-Jährige.
Der Beruf des Milchbauern hat in seiner Familie Tradition. Wessels führt fort, was sein Vater und Großvater aufgebaut haben. Leicht sei das allerdings nicht – von der Milchwirtschaft zu leben, werde immer schwerer. Knapp 30 Cent bekommt Wessels derzeit pro verkauftem Kilogramm Milch – das reiche nicht mal, um seine Kosten zu decken. Und nun fällt auch noch die Milchquote weg, mit der die Landwirte seit 31 Jahren leben.
Schon jetzt übersteigt das Angebot die Nachfrage
Von Mittwoch an können sie in der EU so viel Milch produzieren, wie sie wollen – sie müssen sich nicht mehr an die staatlich vorgeschriebenen Mengen halten. Was daraus folgt? „Mal abwarten“, sagt Wessels vorsichtig. Zwar können die Landwirte dann mehr Milch verkaufen. Doch weil schon jetzt das Angebot die Nachfrage nach Milch übersteigt, bestehe die Gefahr, dass sie noch billiger wird. Vorstellen mag Wessels sich das nicht. „Weiter dürfen die Preise nicht sinken“, sagt er. „Sonst werden wir deutschen Landwirte einer nach dem anderen pleitegehen.“
Vielerorts haben Kleinbauern bis zuletzt gegen die Abschaffung der Quote protestiert, mit ihren Schleppern wollen sie am kommenden Dienstag vor dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel ein Zeichen setzen.
Fakt ist: Schon jetzt geht es vielen Milchbauern in der Bundesrepublik schlecht. Und das trotz Milchquoten. Die waren 1984 von der Europäische Gemeinschaft (EG) eingeführt worden, um auf die Überproduktion, die sogenannten Milchseen und Butterberge zu reagieren. Indem die EG den Landwirten vorschrieb, wie viel Milch sie verkaufen durften, wollten die Politiker Preise stabilisieren und Sicherheiten schaffen. Gleichzeitig hofften sie, damit den Strukturwandel einzudämmen. „Das Sterben kleinerer Betriebe konnte aber nicht verhindert werden“, sagt Björn Börgermann vom Milchindustrie-Verband. Jedes Jahr schrumpfe die Zahl der Erzeuger um drei bis fünf Prozent.
Auch die Quote war nicht toll
„Die Quote war von Anfang an zum Scheitern verurteilt“, sagt Hans Foldenauer, der im Allgäu einen Hof mit 95 Kühen bewirtschaftet und sich im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) engagiert. Sie sei von vornherein zu lasch gewesen und habe die Menge der Milch, die Bauern produzieren durften, nie wirksam begrenzt.
Für die Landwirte war die Quote seiner Meinung nach vor allem eins: teuer. Landwirt Wessels schätzt, dass seine Familie insgesamt gut 1,5 Millionen Euro für das Recht ausgegeben hat, Milch zu verkaufen. Jedes Mal, wenn sie den Betrieb weiter vergrößern wollten, mussten die Wessels anderen Bauern ihre Quoten abkaufen. Bis zu 15 Milliarden Euro, schätzt Börgermann, hat die Quote Landwirte seit ihrer Einführung gekostet. Geld, das besser in die Ställe investiert worden wäre.
Bauern wurden zu Sofa-Melkern
Weil die Quoten begehrt waren, ist über die Jahre ein lukrativer Zweitmarkt entstanden. Und ein neuer Beruf: der des „Sofa-Melkers“. So nennt man Milchbauern, die ihre Kühe verkauft, aber ihre Quoten behalten haben. Indem sie die Quoten verpachteten, verdienten sie, ohne etwas dafür tun zu müssen. Mit solch absurden Geschäften ist es jetzt vorbei.
Für die Misere der Bauern gibt es aber auch andere Gründe. Zum Beispiel die Marktmacht der Discounter. „Aldi diktiert niedrige Preise und die Molkereien ziehen mit“, sagt Landwirt Wessels. Die großen Molkereien wie Nordmilch, Campina und Müller wollen Milch, Butter und Joghurt in großen Mengen an die Ketten verkaufen. Also gewähren sie deutliche Mengenrabatte. Die fordern sie von ihren Lieferanten wieder ein. Umgekehrt, kritisieren die Bauern, würden Preissteigerungen jedoch nicht an sie weitergegeben.
Großmolkereien wittern bessere Geschäfte
Der Handel begrüßt die Aufhebung der Quotenregelung. „Es ist positiv, dass zukünftig auch bei der Milch die Gesetze des Marktes gelten“, sagte Kai Falk, Geschäftsführer des Handelsverbands. Allerdings warnt er Verbraucher vor Enttäuschung: Die Effekte auf den Handelspreis dürften nicht überschätzt werden. „Nur ein Bruchteil der Milch geht als Trinkmilch an den Handel.“ Der Großteil werde industriell verarbeitet oder exportiert. „Die Hälfte aller Milchprodukte verlässt das Land“, sagt Björn Börgermann vom Milchindustrie-Verband. Dieser Anteil werde künftig vermutlich noch steigen. Weltweit ist Deutschland bereits jetzt der fünfgrößte Produzent von Milch. „Wieso sollten wir etwas, das wir gut können, nicht mehr machen?“
„Die Molkereiindustrie wird sich weiter internationalisieren“, prognostiziert auch Alexander Truhlar von der Großmolkerei Müller, die daran bei stagnierender Nachfrage in Deutschland großes Interesse haben dürfte. Vor allem in Asien steigt der Milchkonsum rasant. Ein größeres Angebot könnte durchaus zu größeren Preisschwankungen führen, sagt Truhlar, „innovative Molkereiunternehmen“ wie Müller würden sich innerhalb dieser Rahmenbedingungen aber am besten behaupten können.
Milchwirtschaft reicht nicht zum Leben
Das fürchten eben auch die kleineren Betriebe. Bauer Wessels verdient heute an der Milch kaum mehr als sein Großvater in den fünfziger Jahren. „Dabei sind die Kosten für Strom und Mitarbeiter seitdem deutlich gestiegen.“ Die einzige Möglichkeit für die Landwirte, am Markt bestehen zu bleiben, sei, zu wachsen. So hat Familie Wessels über die Jahre die Zahl ihrer Kühe immer weiter erhöht. Statt einst zwölf stehen im Familienbetrieb heute gut 550 Tiere im Stall. Als sie ihren Betrieb im Nordwesten von Niedersachsen nicht mehr vergrößern konnten, zogen die Wessels nach Brandenburg um.
„Von der Milchwirtschaft allein könnten wir nicht leben“, sagt Wessels. Deshalb hat er eine eigene Biogasanlage installiert, in der er den Dung der Kühe verbrennt und so Strom produziert. Außerdem berät er andere beim Bau einer Biogasanlage, exportiert Rinder – und betreibt einen Reiterhof.
Maris Hubschmid, Carla Neuhaus
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