Agrarminister Schmidt: "Das Wohl der Tiere entscheidet sich an der Kasse"
Bundesagrarminister Christian Schmidt spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über das Leben von Küken, Schwarzwälder Schinken und TTIP sowie die Vorzüge der „Greußener Salami“.
Herr Schmidt, was ist eine „Greußener Salami“?
Eine „Greußener Salami“ ist die einzige deutsche Salami mit geographisch geschützter Herkunftsbezeichnung. Wir haben in Deutschland rund 1500 Wurstarten, acht davon sind geschützt.
Während überall auf der Welt „Je suis Charlie“-Schilder hochgehalten wurden, haben Sie in der „Heute-Show“ das Schild „Je suis Greußener Salami“ in die Kamera gezeigt. Was hat Sie da bloß geritten?
Ich bin in eine Satirefalle getappt. Wer mich kennt, der weiß, dass mich der Anschlag in Paris sehr betroffen gemacht hat und wie wichtig mir ein respektvoller Umgang mit den Opfern ist. Wir dachten, die Werbung für die Salami sei eine Wiedergutmachung für den Schwarzwälder Schinken, den Sie kurz zuvor dem Freihandelsabkommen TTIP opfern wollten.
Nein, das wollte ich nie. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es ein Problem mit den europäischen Herkunftskennzeichnungen geben kann, wenn TTIP kommt und das darin nicht geklärt wird.
Warum?
In Amerika gelten die europäischen Siegel nicht. Dabei hat der Schwarzwälder Schinken auch in den USA Liebhaber und muss deshalb geschützt werden. Für Wein gibt es übrigens ein Sonderabkommen. Danach dürfen die Kalifornier ganz legal „Rhinewine“ produzieren. TTIP bietet die Chance, derartige Angaben auch auf dem amerikanischen Markt zu schützen. Diese sollten wir nutzen. Die geltenden Regeln für den europäischen Markt bleiben erhalten. Rheinwein in Europa kommt immer noch aus dem Rheingau oder aus Rheinhessen und nicht aus den USA.
Amerikaner produzieren auch „Parmesan“ oder machen „Champagner“. Wie wollen Sie das verhindern? Schicken Sie denen eine Liste mit Marken, die auch in den USA kopiergeschützt sein sollen?
Ja, diese Liste gibt es bereits. Ziel der EU-Kommission ist es, für bestimmte geographische Herkunftsbezeichnungen einen ähnlichen Schutz in den USA zu erreichen wie wir ihn in der EU haben. Das könnten wir mit TTIP erreichen.
Wie viele Produkte sind auf der Liste?
Europaweit sind es einige Hundert.
Über das Chlorhühnchen spricht gar keiner mehr.
Ich freue mich sehr, dass wir langsam mehr Sachlichkeit in die Diskussion bekommen. Das Chlorhühnchen war ein Popanz. Es geht doch darum, wie wir in Zukunft besser zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele gemeinsam erreichen können und nicht darum, bestehende Regeln zu ändern. TTIP ist eine politische Grundsatzentscheidung für ein gestärktes Europa und eine verbesserte transatlantische Zusammenarbeit. Zudem bietet TTIP die Chance, weltweit Standards zu setzen. Diese Frage können wir nicht von Chlorhühnchen abhängig machen. Gleichwohl setze ich mich dafür ein, dass das europäische Schutzniveau im Lebensmittel- und Verbraucherbereich erhalten bleibt. Dies ist auch klarer Verhandlungsauftrag der EU-Kommission, die diese Maxime stets betont.
"Wir wollen den Einsatz von Antibiotika weiter reduzieren"
Möchten Sie den Amerikanern über die TTIP-Verhandlungen europäische Standards aufzwingen?
Ein Freihandelsabkommen ist ein Vertrag, über den sich die Parteien soweit binden, wie sie es für richtig halten. Auch die USA haben hohe Lebensmittelstandards, die sie nicht aufgeben werden. Wo es zu keiner Annäherung kommt, bleibt es für jede Seite beim Status quo.
Was ist mit der Gentechnik? Die ist in den USA gang und gäbe, aber in Europa umstritten, wie der Streit um den Genmais zeigt.
Die EU-Kommission wird den Genmais 1507 aller Voraussicht nach zulassen, aber in Deutschland wollen wir den Anbau nicht. Ich möchte jetzt das neue EU-Recht zum Anbauverbot für grüne Gentechnik in ein rechtssicheres deutsches Gesetz überführen. Alle 16 Bundesländer sollen dafür zum Beispiel den Gen-Mais prüfen – und soweit dies rechtlich möglich ist, ablehnen. So kommen wir dann zu einer bundesweiten, rechtlich verlässlichen Absage.
Noch mal zurück zu TTIP. Was ist, wenn Tiere in den USA Hormone oder wachstumsfördernde Antibiotika bekommen?
Dieses Fleisch gehört dann nicht auf den europäischen Markt.
McDonald’s will in den USA kein Geflügel mehr verarbeiten, das wachstumsfördernde Antibiotika bekommen hat. Überholen uns die Amerikaner?
Nein, die Amerikaner holen auf. Das Beispiel macht aber deutlich, wie ernst die US-Verbraucher die Themen Lebensmittel und Ernährung nehmen. In Deutschland dürfen Antibiotika schon lange nur noch eingesetzt werden, wenn Tiere krank sind und nicht, um schlechte Haltungsbedingungen auszugleichen. Wir wollen den Einsatz von Antibiotika aber noch weiter reduzieren – auch im Interesse der Fleischerzeuger. Immer mehr Verbraucher achten darauf, wie die Tiere gehalten worden sind und wo sie herkommen. Irgendwann wird der Handel den Mästern Fleisch nicht mehr abnehmen, wenn die Tiere nicht artgerecht gehalten worden sind.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie die Kürzung der Schnäbel beim Geflügel. Hier wird über eine Selbstverpflichtung der Geflügelhalter diskutiert. Die Bauern und der Handel setzen ja jetzt schon mit ihrer Tierwohl-Initiative Standards, die über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen.
Allerdings kann der Verbraucher dem Fleisch nicht ansehen, ob es unter Tierwohl-Bedingungen produziert worden ist.
Trotzdem ist die Initiative gut. Das Spannende dabei ist: Der Verbraucher wird in die Verantwortung genommen. Das Fleisch wird teurer. Die Entscheidung über die Tierwohl-Initiativen wird an der Ladenkasse getroffen.
Warum verbieten Sie als Agrarminister nicht einfach, dass Schnäbel gekürzt, Hörner abgefeilt oder Schwänze kupiert werden?
Ich will verhindern, dass unsere Bauern mit verschärften nationalen Regelungen außer Landes getrieben werden. Ich möchte die Schweinehalter in Deutschland halten statt die Schweine von irgendwo her zu importieren, wo wir keinen Einfluss auf die Haltung haben.
Aber das Töten von männlichen Küken wollen Sie doch per Gesetz verbieten!
Ich möchte durch ein Screening von Eiern erreichen, dass man schon im Ei erkennen kann, ob ein männliches oder ein weibliches Küken heranwächst. Die Männlichen, die nun mal keine Eier legen, sollen dann gar nicht erst ausgebrütet werden. Ich will noch vor Ostern einen Fahrplan präsentieren, bis wann wir das umsetzen.
"Die Landwirtschaft gehört wieder in die Mitte unserer Gesellschaft"
Warum zeigen Sie nicht häufiger klare Kante?
Das werde ich tun, wenn die freiwilligen Initiativen nicht wirken.
Viele Bauern leiden darunter, dass sie als Tierfeinde gesehen werden.
Ja, aber das ist doch unerträglich. Man kann den Bauern doch nicht sagen, man habe es satt, mit ihnen zu sprechen. Das ist eine Entgleisung. Ich will mit den Bauern, den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppierungen ins Gespräch kommen. Die Landwirtschaft gehört wieder in die Mitte unserer Gesellschaft.
Eine gute Nachricht gibt es für die Bauern aber schon: Butter, Käse und Milch werden teurer. Gilt das nur für die Milchbauern oder profitieren auch andere Landwirte von steigenden Preisen?
Die Erzeuger- und die Verkaufspreise steigen nicht nur bei der Milch. Der Schweinepreis ist fast bei 1,50 Euro pro Kilo, früher waren es 1,30 Euro, auch Rinder und Ferkel werden teurer, beim Getreide bleiben die Preise stabil, bei der Milch sieht es gut aus.
Aber die Milchquote mit festgelegten Obergrenzen für die Produktion läuft jetzt aus.
Mit Auslaufen der Milchquotenregelung erhalten die Milcherzeuger die Möglichkeit, aber auch die Verantwortung, ohne staatlichen Einfluss über den Umfang ihrer Milcherzeugung zu entscheiden. In Zukunft entscheiden ausschließlich Angebot und Nachfrage über die Entwicklung der Preise im Milchsektor. Ich glaube aber, dass die deutschen Produzenten gute Exportchancen haben. Ich bin demnächst in China, und ich bin zuversichtlich, dass der Export dahin steigen wird. Die Neuseeländer, die bisher die wichtigsten Lieferanten für China waren, hatten eine schlimme Dürre.
Im deutschen Handel teilen sich vier Anbieter 85 Prozent des Marktes. Nun will Edeka, die Nummer eins, auch noch Tengelmann übernehmen. Wie finden Sie das?
Ich kann das laufende Verfahren nicht kommentieren. Nur so viel: Eine weitere Konzentration ist nicht wünschenswert. Unser Bestreben muss sein, den Wettbewerb zu stärken. Etwa indem sich kleinere Erzeuger zusammenschließen und auf Augenhöhe mit dem Handel verhandeln.
Christian Schmidt (57) ist seit Februar 2014 Bundesernährungs- und -agrarminister und Nachfolger seines Parteifreunds Hans-Peter Friedrich. In seiner politischen Laufbahn hatte sich Schmidt bis dahin eher mit Außen- und Verteidigungspolitik befasst. Acht Jahre war er Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Schmidt ist ein Freund von Verhandlungen und runden Tischen. In der Öffentlichkeit ist er bislang vor allem mit eher skurrilen Aktionen aufgefallen wie der „Greußener Salami“ oder Apfel essend, um gegen die Sanktionen Russlands zu protestieren („an apple a day keeps Putin away“).
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