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Was bringt die Kuh? Wir schauen genau hin.
© dpa

Grüne Woche: Das Geschäft mit Bullen, Kühen und Kälbern

BSE-Krise, Klimakiller: Das deutsche Rind hat wenige Freunde und viele Feinde. Zu Unrecht. Denn das Tier hat viel zu bieten. Eine Bestandsaufnahme.

Auf der Grünen Woche ist er Dauergast. Sieben Mal war Sammy schon dabei, im ersten Jahr in Begleitung seiner Mutter. Seitdem hat der Achtjährige mächtig zugelegt. Gut 1000 Kilo bringt der Bulle heute auf die Waage, ein schwarz-gelocktes Kraftpaket und Vater unzähliger Kälber. In Halle 25 wartet der Grüne-Woche-Veteran in diesen Tagen auf die Stadtbewohner und ihre Kinder, die in ihrem normalen Leben eher mit Burgern als mit Bullen zu tun haben.

Sammy ist an Menschen gewöhnt. Er lässt sich streicheln, und in Begleitung seines Herrn macht er auch schon einmal einen Spaziergang durch die Messehalle. Normal ist das nicht. Denn mit Menschen haben die 12,5 Millionen deutschen Rinder – Bullen, (kastrierte) Ochsen, Kälber, Kühe und Färsen (Kühe ohne Kalb) – sonst eher wenig zu tun. Zumindest nicht lebendig. Statistisch gesehen verzehrt jeder Deutsche vier Rinder während seines Lebens. Das klingt viel, ist aber deutlich weniger als die 46 Schweine oder 945 Hühner, die der Durchschnittsbürger nach Berechnungen des BUND und der Heinrich-Böll-Stiftung verspeist. Weltweit ist das anders. In den USA, aber vor allem in Südamerika ist die Lust auf Rind ungebrochen. Mit Folgen für das Weltklima: Regenwald wird abgeholzt, damit dort das Vieh weiden kann. In Brasilien werden bereits 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Viehweide genutzt.

In Deutschland geht dagegen die Nachfrage seit den 90er Jahren zurück, berichtet Heike Harstick vom Verband der Fleischwirtschaft. Gründe gibt es viele: Die BSE-Krise ließ viele Konsumenten aus Angst vor dem Rinderwahnsinn auf andere Fleischlieferanten ausweichen. So recht erholt hat sich der Absatz seitdem nicht mehr – obwohl die Gefahr längst gebannt ist. Tiermehl darf in Deutschland schon seit 1994 nicht mehr an Rinder verfüttert werden, Risikomaterial wie Gehirn, Rückenmark, Lymphdrüsen oder ein Teil des Darms werden bereits im Schlachthof eingefärbt und vernichtet. Das, was vom Tier dann noch übrig bleibt, wird nahezu komplett verwertet: als Fleisch oder Wurst, als Leder für die Autositze, die Schulterknorpel werden in Asien als Potenzmittel geschätzt. Selbst aus der Gülle lässt sich Geld machen. In Biogasanlagen wird aus dem Dung Energie.

Dennoch nimmt die Zahl der Rinderhalter ab. 161 000 waren es im November vergangenen Jahres – 7000 weniger als im Vorjahr. Für die Bauern wird es nämlich immer schwieriger, mit der Rinderhaltung Geld zu verdienen. Zwar steigen die Preise, aber die Nachfrage sinkt. 13,1 Kilo Rind- und Kalbfleisch hat jeder Deutsche 2011 im Schnitt verbraucht, 2000 waren es noch 14 Kilo. Beim Schwein langen die Deutschen deutlich beherzter zu: 54 Kilo landeten 2011 auf dem Teller des Durchschnittsdeutschen.

„Rind gilt als schwierig“, sagt Michael Lohse, Sprecher des Deutschen Bauernverbands. Statt zum roten Rindfleisch greifen die Menschen lieber zur vermeintlich gesünderen weißen Puten- oder Hühnerbrust, zudem sind Schwein und Huhn an der Ladentheke deutlich billiger. Und: War der Rinderbraten früher ein typisches Sonntagsessen, so wissen heute viele nicht mehr, wie man so etwas zubereitet. Sammy kann das nur recht sein. Ihm dürfte das ein längeres Leben bescheren.

Das Fleisch

Bio-Bauern verdienen an Rindfleisch auch nicht viel mehr als Landwirte, die konventionell arbeiten.
Bio-Bauern verdienen an Rindfleisch auch nicht viel mehr als Landwirte, die konventionell arbeiten.
© dpa

Davon können deutsche Rinderhalter nur träumen: Für zwei 300-Gramm-Steaks der japanischen Kobe-Rinder legen Feinschmecker über 100 Euro auf den Tisch. Verglichen damit nehmen sich die elf Euro, die man an der Ladentheke für ein Kilo deutschen Rinderbraten hinblättern muss, bescheiden aus.

Das Problem: Schwein und Huhn gibt es für die Hälfte oder noch billiger. Kein Wunder also, dass die Nachfrage sinkt – genauso wie die Zahl der Rinder. 21 000 Tiere sind im vergangenen Jahr aus den deutschen Ställen und Weiden verschwunden.

Für die Rinder, die jetzt noch angeboten werden, steigen jedoch die Preise: 3,90 Euro pro Kilogramm bekommen die Bauern vom Schlachthof für einen durchschnittlichen Jungbullen, maximal zwei Jahre alt. Bezahlt wird aber nur das Schlachtgewicht, also die Rinderhälften nach dem Abtrennen der Haut, des Kopfes, der Muskeln und nach dem Entfernen der Organe.

Von einem über 600 Kilo schweren Bullen bleiben so oft nur 380 Kilogramm übrig. Übrigens: Auch Öko-Bauern erhalten nicht viel mehr. Rund 4,10 Euro sind es pro Kilo Jungbullenfleisch. Viele Bio-Landwirte lassen ihre Kälber daher lieber konventionell aufwachsen, weil sich die ökologische Mast für sie nicht mehr lohnt.

Ohnedies sind die Unterschiede zwischen Öko- und konventioneller Landwirtschaft bei der Rinderhaltung geringer als bei Schweinen und Hühnern. Viele Tiere stehen auf der Weide oder in neu gebauten Ställen. In denen können sich Kühe oft frei bewegen. Mit einem Chip ausgestattet, gehen sie zum Melk- und zum Futterautomaten. hej

Die Milch

Milch gibt es in Hülle und Fülle.
Milch gibt es in Hülle und Fülle.
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Milchkühe bringen Hochleistungen. 8000 Liter Milch gibt eine deutsche Kuh im Jahr. Das ist deutlich mehr als früher. In den sechziger Jahren konnte ein Milchbauer gerade einmal mit 3500 bis 4000 Litern rechnen. Der Fortschritt hat viele Gründe. So haben die Landwirte konsequent leistungsstarke Tiere gezüchtet.

Auch das Futter hat sich verbessert. Zwar fressen die Kühe nach wie vor überwiegend Gras, aber auch Mais, Raps und das proteinreiche Soja. Die Ergiebigkeit ihrer Tiere stellt die Bauern jedoch auch vor Probleme.

Milch gibt es im Überfluss – das drückt die Preise. Zwar sind diese im Herbst vergangenen Jahres gestiegen, nach Meinung der Landwirte aber nicht genug. Bei den Erzeugern kämen nur 32 bis 33 Cent pro Liter an, kritisieren sie, für eine kostendeckende Produktion wären mindestens zehn Cent pro Liter mehr nötig.

Hinzu kommt, dass die EU-Milchquote, die die Milchproduktion begrenzt, peu à peu ausläuft. Mit Protesten und Demonstrationen versuchen die Landwirte Druck zu machen – auch auf die Politik. Um den „Brand auf dem Milchmarkt zu löschen“, versprühten 2500 Demonstranten im vergangenen November in Brüssel 15 000 Liter Milch.

Gut 83 000 Milchbauern gibt es noch in Deutschland, jedes Jahr geben rund fünf Prozent auf. Die Mehrzahl der Betriebe hat kleine Bestände, auf 68 Prozent der Höfe leben weniger als 50 Milchkühe. Allerdings sind die regionalen Unterschiede groß: In Bayern hat ein Hof im Schnitt 31 Tiere, in Brandenburg auf den früheren LPG-Höfen sind es dagegen bis zu 211.

Neben der Milch haben die meisten Bauern jedoch zusätzliche Einnahmen: Sie können die Kälber verkaufen. Und auch das Fleisch ihrer Kühe. Die werden mit vier bis fünf Jahren geschlachtet und meist zu Hackfleisch verarbeitet. hej

Das Fell

Auf großem Fuß. In Deutschland wird nicht mehr sehr viel Rindsleder verarbeitet.
Auf großem Fuß. In Deutschland wird nicht mehr sehr viel Rindsleder verarbeitet.
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Die Italiener liegen vorn: Rund 60 Prozent des in Europa produzierten Leders stammt aus Italien – dort gibt es nämlich noch eine Schuh- und Lederwarenindustrie. Mit einem Anteil von 15 Prozent folgen die Spanier vor den Deutschen mit knapp zehn Prozent.

Hierzulande gibt es noch 35 Betriebe mit etwa 2500 Beschäftigten, die acht Millionen Quadratmeter Leder produzieren und damit 500 Millionen Euro umsetzen. Die deutschen Gerbereien produzieren vor allem für die Autoindustrie, für eine Rinderhaut zahlen sie zwischen 300 und 400 Euro.

Rund 3,5 Millionen Kuh- oder Rinderhäute verlassen jedes Jahr die Schlachthöfe in Deutschland. alf

Das Horn

Gelatine landet unter anderem in Kaubonbons oder Gummibärchen.
Gelatine landet unter anderem in Kaubonbons oder Gummibärchen.
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In der bunten Werbewelt haben die meisten Kühe Hörner. In der Realität ist das längst nicht immer der Fall. Häufig wird den Tieren noch als Kalb die Anlage zu den Hörnern weggebrannt, damit sie sich nicht gegenseitig oder ihre Besitzer verletzen. Dabei eignen sich Hornspäne aufgrund ihres hohen Stickstoffgehalts besonders gut, um Dünger herzustellen.

Auch die Rinderknochen werden in der Industrie weiterverarbeitet, etwa zu Gelatine. Sie besteht zu einem Großteil aus Kollagen – einem Protein, das in den Knochen steckt. Gelatine wiederum landet in Lebensmitteln, zum Beispiel in Jogurt, Halbfettmagarine oder Kaubonbons. In der Pharmaindustrie werden aus der Rindergelatine Kapseln für Medikamente gemacht. Auch in Nahrungsergänzungsmitteln steckt Kollagen. cne

Der Dung

Gülle landet nicht nur auf den Feldern, sondern wird vorab, gemischt mit Pflanzenresten, in Biogasanlagen gegeben.
Gülle landet nicht nur auf den Feldern, sondern wird vorab, gemischt mit Pflanzenresten, in Biogasanlagen gegeben.
© dpa

Auch Großvieh macht Mist: Ein Rind lässt täglich etwa acht bis zehn Fladen fallen. Diese werden seit jeher genutzt – in holzarmen Weltregionen als Brenn- oder gar Baustoff. Landwirte hierzulande schätzen die Gülle, die im Stall anfällt, wegen des darin enthaltenen Stickstoffs, Phosphors und Kaliums als Dünger.

Heute kann man die Gülle vorab, gemischt mit Pflanzenresten, in Biogasanlagen geben. Aus einer Tonne Dung lassen sich 45 Kubikmeter Methan erzeugen, die man vor Ort verfeuert, um Strom- und Wärme zu erzeugen. Die Wärme können Landwirte ins örtliche Wärmenetz einspeisen oder ihre Ställe beheizen. Den Strom können sie als Ökostrom verkaufen.

Mit einem Fladen lassen sich etwa 0,1 Kilowattstunden Strom erzeugen, genug um zwei 50-Watt-Leuchten eine Stunde lang brennen zu lassen. Als Faustregel gilt: Der Dung dreier Rinder bringt Strom für einen größeren Haushalt.

Seit dem Jahreswechsel erhalten Betreiber von Biogasanlagen, die einen sehr hohen Gülleanteil (bis 80 Prozent) verarbeiten können, gesetzlich garantiert eine besonders hohe Vergütung: 25 Cent je Kilowattstunde, garantiert 20 Jahre lang.

Um solche Anlagen mit bis zu 75 Kilowatt Leistung (Kaufpreis ab 400 000 Euro) wirtschaftlich zu betreiben, braucht ein Betrieb allerdings mindestens 130 bis 150 Rinder. Daher dürften diese Anlagen künftig eher in Ostdeutschland betrieben werden, wo die Betriebe seit DDR-Zeiten in der Regel deutlich größer sind. kph

Der Rest

Was übrig bleibt vom Rind landet unter anderem im Hundefutter.
Was übrig bleibt vom Rind landet unter anderem im Hundefutter.
© dpa

Pro Rind fallen im Schnitt rund 250 Kilogramm sogenannte Schlachtnebenprodukte an. Es sind die Teile des Tieres – von der Zunge über Knochen bis zum Kopf, die sich nicht verwerten lassen oder für die es keine Nachfrage gibt. Die Schlachtreste landen aber nicht im Müll, sie können zum Großteil weiterverwendet werden.

Was daraus wird, hängt davon ab, um welches Material es sich handelt: Aus Fleisch und Organen, die als gesundheitlich unbedenklich gelten, wird Heimtiernahrung etwa für Katzen und Hunde gemacht. Schlachtreste, die als gesundheitlich bedenklich gelten – etwa ein verschmutzter Rindermagen – können meist in Form von Mehlen und Fetten verwendet werden.

Sie dienen dann der Energieerzeugung, können aber auch als Dünger sowie in der Industrie genutzt werden. Manche Teile des Rinds wie etwa das Gehirn gelten seit der BSE-Krise als „Risikomaterial“, sie müssen in jedem Fall entsorgt werden. jmi

Alfons Frese, Kevin P. Hoffmann, Heike Jahberg, Jahel Mielke, Carla Neuhaus

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