Gabriels Bilanz: Auch die Politik macht Wirtschaft
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bilanziert ein Jahr vor dem Ende der Legislatur seine Politik: Wachstum, wenig Arbeitslose, Reform der Energiewende.
Zu Beginn ein Blick zurück. Sigmar Gabriel erinnerte am Montagmorgen an seinen Vorgänger Günter Rexrodt, der in der letzten Kohl-Regierung (1993 bis 1998) als Wirtschaftsminister fungierte und der in jenen Jahren sein Amtsverständnis in einen knappen Satz unterbrachte: „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht.“ Für einen FDP-Politiker wie Rexrodt mag das durchgehen, für den Vorsitzenden der SPD nicht. „Wir haben einen anderen Anspruch“, sagte Gabriel gleich zu Beginn seiner wirtschaftspolitischen Bilanz, die er kurz vor Weihnachten noch unter das Volk bringen wollte. Zwar sind erst drei Viertel der Legislaturperiode rum, doch der Bundeswirtschaftsminister, Vizekanzler und mögliche Kanzlerkandidat der SPD weiß selbstverständlich, dass sich im Wahljahr nicht mehr viel tut im Berliner Politikbetrieb. Also resümierte Gabriel seine Politik schon jetzt. Das kann kurz vor dem Beginn des Wahljahres nicht schaden. Zumal wenn es Diskrepanzen zum Koalitionspartner zu betonen gibt. Zum Beispiel zur Bundeskanzlerin. Angela Merkel (CDU) spreche von einer „marktkonformen Demokratie“, er dagegen von „demokratiekonformen Märkten“.
Steuersenkung lehnt Gabriel ab
Mithilfe dieser Formulierung zeigt Gabriel den Unterschied im politischen Ansatz: FDP und Union stünden für freie Märkte, niedrige Steuern und wenig Regulierung. Die SPD dagegen betone das Soziale in der Marktwirtschaft, Gabriel proklamiert die „gerechte Teilhabe am Haben und Sagen“ und sieht im „sozialen Ausgleich und Zusammenhalt“ das Ziel seiner Politik. Erreicht wird das durch ein „besseres Bildungssystem und ein gerechtes Steuersystem“. Dazu bedürfe es höherer Ausgaben des Staates für Schulen und in andere Infrastruktureinrichtungen, aber keinesfalls Steuersenkungen im Volumen von bis zu 40 Milliarden Euro, wie hier und da von CDU-Politikern vorgeschlagen. „Wer das verspricht, der muss nach der Wahl Geld einsammeln oder weniger investieren“, sagt Gabriel.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie hatte vor drei Jahren die Energiewende in einer „chaotischen Lage“ vorgefunden. Mit rund einem Dutzend Gesetzen habe er seitdem „die erneuerbaren Energien fit für den Markt und den Markt fit für die erneuerbaren Energien gemacht“, sagt Gabriel. Die Strompreise seien niedriger als 2013, die Energiepolitik insgesamt „verlässlicher“ und die letzten offenen Fragen mit den Akw-Konzernen „werden wir regeln“.
Binnennachfrage trägt das Wachstum
Zum einen ist der sozialdemokratische Wirtschaftspolitiker zufrieden mit Wachstum und Wohlstand, zum anderen relativiert er die guten Zahlen mit Hinweisen auf niedrige Energiepreise und Zinsen sowie den schwachen Euro, der den deutschen Exportindustrien hilft. „Wir leben von Reformen der Vergangenheit“, sagte Gabriel. Und er meinte damit womöglich auch die umstrittene Agenda 2010 seines Parteifreundes Gerhard Schröder.
Inzwischen verdankt sich das Wachstum – in diesem Jahr erwartet Gabriel mindestens 1,7 Prozent – vor allem der Binnennachfrage, weil die Reallöhne in dieser Legislatur um 1,4 Prozent pro Jahr gestiegen sind. Das erklärt sich wiederum mit der Tarifpolitik, aber auch mit dem gesetzlichen Mindestlohn, der vor zwei Jahren von der großen Koalition eingeführt wurde. Für vier Millionen Arbeitnehmer habe die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro eine Lohnerhöhung um durchschnittlich 18 Prozent gebracht – „und zwar ohne Jobverlust“, freute sich Gabriel.
Kommunen haben 20 Milliarden Euro mehr
In der Sprache der Börsianer würde man Gabriels Einschätzungen zur Investitionstätigkeit als „uneinheitlich“ bezeichnen. Er lobt einerseits die schwarz-rote Regierung, weil sie den Kommunen 20 Milliarden Euro zusätzlich zukommen lasse, weil die Investitionsmittel im Bundeshaushalt um ein Drittel gestiegen seien und weil heutzutage ein paar Milliarden mehr an Wagniskapital für Gründer zur Verfügung stünden als vor drei Jahren. Gleichzeitig aber fehle es an Investitionen in Infrastruktur (Schulen, Internet, Schiene und Straße) und an privaten Investitionen sowieso. „Um eine steuerliche Forschungsförderung kommen wir nicht herum“, meinte der Wirtschaftsminister. Bislang hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das verhindert. Dabei ist Geld da. „Jährlich sparen wir 20 Milliarden Euro wegen der niedrigen Zinsen“, sagte Gabriel. Deutlich mehr Geld könne also in die Schulen fließen, um den Sanierungsstau von 34 Milliarden Euro aufzulösen, und in den Wohnungsbau. „Das Land muss in den sozialen Zusammenhalt investieren“, sagte Gabriel, nicht zuletzt, um die allerorten zu beobachtende „Renaissance der autoritären Politik“ hierzulande zu verhindern.