BDI-Präsident Ulrich Grillo: "Politik der AfD ist Gift für uns als Exportnation"
Der BDI-Präsident Ulrich Grillo spricht im Interview über Rechtspopulisten, Versäumnisse der großen Koalition, über TTIP und Donald Trump - und über 180.000 Euro "Aufwandsentschädigung" im Ehrenamt.
- Kevin P. Hoffmann
- Antje Sirleschtov
Herr Grillo, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, es gibt keine Steuererhöhungen. Haben Union und SPD in den drei Jahren ihrer großen Koalition alles richtig gemacht?
Die Wirtschaft wächst, weil Zinsen und Ölpreis sich auf ziemlich niedrigem Niveau bewegen und der Eurokurs Rückenwind gibt. Mit der politischen Leistung der Bundesregierung hat das wenig zu tun. Entscheidende Maßnahmen, um die Wirtschaft wetterfest zu machen, hat die große Koalition bisher nicht umgesetzt. Sie hat zwar die Steuern nicht erhöht, aber den Mindestlohn und die Rente mit 63 eingeführt, die uns nicht helfen, stärker zu werden. Klar geht es Deutschland konjunkturell gerade gut. Das heißt nicht, dass sich die Politik nur mit dem Verteilen beschäftigen kann.
Was hat die große Koalition versäumt?
Die Rente mit 63 Jahren war ein Riesenfehler. Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten Arbeitskräfte verlieren, während es immer mehr Rentner gibt. Wegen der steigenden Lebenserwartung darf längeres Arbeiten kein Tabu sein. Es ist schlimm, dass die Politik das Gegenteil vermittelt. Ich kann nur davor warnen, jetzt im Bundestagswahlkampf so zu tun, als gäbe es Geschenke zu verteilen.
Was erwarten Sie in den verbleibenden Monaten bis zur Wahl?
Ich fordere deutliche Impulse zur Förderung von Forschung und Bildung. Die Unternehmen benötigen Klarheit bei den Energiekosten und einen beschleunigten Netzausbau. Die Kosten der Energiewende steigen trotz gegenteiliger Versprechen ungebremst. Das belastet die Verbraucher – auch unsere Unternehmen. Investitionen verzögern sich oder bleiben ganz aus. Die deutsche Wirtschaft darf durch die politische Entscheidung der Energiewende im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen geraten. Wir wollen nicht unsere Standorte in Deutschland verlassen, sondern von hier den Exportschlager Energiewende verkaufen. Wie bei der Energieeffizienz, welche die deutsche Industrie seit Jahren steigert. Wenn jetzt Gesetze noch deutlich schärfere Auflagen verlangen, müssen Firmen ihre Kapazitäten womöglich dorthin verlagern, wo die Produktionskosten niedriger sind. Das erweist dem Klimaschutz einen Bärendienst.
Die Sanierung der Staatskasse gehört seit Jahren zu den BDI-Forderungen. Nun ist die Staatskasse voll, Deutschland macht keine neuen Schulden. Muss eine neue Regierung ab 2017 mehr Geld investieren?
Unbedingt. Aber keine Ausgaben in den Konsum, bitteschön. Sondern Investitionen in die Infrastruktur. Nur so gibt es nachhaltiges Wachstum und dauerhafte Beschäftigung. Allein die Entwicklung der digitalen Gesellschaft benötigt in den kommenden zehn Jahren einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag. Dafür muss der Staat in Vorleistung gehen, Breitband ausbauen, Innovations- und Forschungsstrukturen stärken, Unternehmensgründungen unterstützen. Wenn wir unseren Wohlstand in den nächsten Jahrzehnten sichern wollen, muss die öffentliche Hand Tempo und Umfang von Investitionen deutlich erhöhen.
Die letzten Wahlen lassen erwarten, dass Zweier-Koalitionen womöglich auch auf Bundesebene keine Regierungsmehrheiten mehr haben werden. Besorgt Sie das?
Das Regieren mit mehr als zwei Koalitionspartnern wird dazu führen, dass Entscheidungen länger dauern. Ich finde es nicht unwahrscheinlich, dass Kompromisse, die mehr Parteien untereinander aushandeln müssen, zu Lasten der Klarheit gehen. Das ist für Unternehmen kontraproduktiv. Die brauchen belastbar und zügig politische Entscheidungen.
Die Alternative für Deutschland (AfD) will im kommenden Jahr in den Bundestag einziehen. Welche Folgen hätte das für den Wirtschaftsstandort?
Der Rückzug ins Nationale ist keine Alternative für Deutschland. Mit Ängsten zu spielen ist schamlos. Gegen Europa, gegen die transatlantische Partnerschaft, gegen Zuwanderung zu sein – das ist Gift für uns als Exportnation. Der Ruf unseres Landes droht sich zu verschlechtern.
Welchen Beitrag sollen Unternehmer, Manager und Wohlhabende leisten?
In Zeiten der digitalen Kommunikation bleibt man schnell in seiner eigenen Informationsblase gefangen. Das ist gefährlich. Wir alle müssen raus aus der Komfortzone. Wir aus der Wirtschaft wollen ins Gespräch kommen mit Skeptikern und verunsicherten Bürgern. Zu TTIP und Handelsabkommen generell haben wir im BDI vor gut einem Jahr einen Bürgerdialog ins Leben gerufen. Außerdem ermuntern wir Verbände und Unternehmen, vor Ort in den Dialog mit den Menschen zu kommen. Verständnis und Vertrauen, das verloren gegangen ist, lassen sich nur mühsam zurückgewinnen.
Die Handelsabkommen mit Kanada und den USA nutzen der Wirtschaft, werden aber von der Mehrzahl der Deutschen abgelehnt, sind ein Synonym für das finstere Gesicht der Globalisierung. Hat die Wirtschaft den Widerstand unterschätzt?
Die Industrie sitzt nicht am Verhandlungstisch. Da hat die letzte EU-Kommission viele Fehler gemacht und zu intransparent agiert. Konstruktive Kritik kommt an. Das zeigt Ceta, wo die EU Vorschläge aufgenommen und ein kluges Abkommen für die Bürgerinnen und Bürger verhandelt hat.
SPD-Chef Gabriel hat die Spitzen seiner Partei gegen große Widerstände vom kanadischen Ceta überzeugt – und das noch unpopulärere US-Abkommen TTIP dafür für tot erklärt. Eine gute Taktik?
Ich weiß nicht, ob das Taktik war. Totgesagte leben länger. Morgen startet die nächste Verhandlungsrunde. Ceta ist fünf Jahre verhandelt worden, jetzt wird es Ende Oktober unterzeichnet. Über TTIP sprechen Europäer und Amerikaner erst seit drei Jahren. Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Dass es noch Streitpunkte gibt, ist ganz normal. Die werden erst auf der Zielgeraden entschieden. Deshalb bin ich optimistisch, dass TTIP noch unter Obama vorankommt.
In den wenigen Wochen bis zur Präsidentschaftswahl am 8. November?
Nein. Es bleibt bis zum 19. Januar Zeit. Erst dann tritt Barack Obama formal ab. Er, Angela Merkel und Jean-Claude Juncker sind ja erklärte TTIP-Befürworter.
Glauben Sie im Ernst, dass TTIP in Deutschland noch irgendwem vermittelbar ist, sollte Freihandelsgegner Donald Trump als nächster US-Präsident feststehen?
Ein guter Punkt. Mit Donald Trump würde es für Europa noch viel schwieriger, dieses Abkommen auszuhandeln. Der Druck steigt beiderseits des Atlantiks, sich zügig wenigstens auf Eckpunkte zu verständigen. Wobei wir wissen: Auch in Amerika haben Versprechen vor der Wahl danach nicht immer Bestand. Sollte Hillary Clinton ins Amt kommen, könnte sogar manches einfacher werden.
US-Behörden gehen massiv gegen deutsche Konzerne vor – allen voran gegen VW und Deutsche Bank. Die EU greift Apple, Google und Facebook an. Beginnt hier ein sogenannter Wirtschaftskrieg?
Ich würde mir verbale Abrüstung wünschen. Mir klingt das viel zu martialisch. Juristisch kann und will ich die laufenden Verfahren gegen deutsche Unternehmen nicht bewerten. Die Abgasaffäre und ein europäisches Beihilfeverfahren sind nicht vergleichbar. Ich glaube auch nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen der Milliardenforderung gegen die Deutsche Bank und das Vorgehen der EU-Kommission gegen Apple gibt. Jeder Fall wird für sich auf dem Rechtsweg geklärt und darf die wichtige transatlantische Partnerschaft nicht beeinträchtigen.
Und die Freundschaft zu Russland? Wirtschaftsminister Gabriel war jetzt gerade mit einer Wirtschaftsdelegation da. Ist die Zeit politisch schon reif dafür?
Ich bin für politischen und wirtschaftlichen Dialog mit unseren Partnern. Aber der Primat der Politik entscheidet, wie und wann Sanktionen eingeleitet und zurückgenommen werden. Die Politik hat recht, wenn sie an den Sanktionen festhält, solange die Gründe dafür nicht verschwunden sind. Ich wünsche mir sehr, dass Russland sich bewegt, damit es politische Gründe gibt, die Sanktionen zurückzunehmen. Rechtssicherheit ist für uns ein so hohes Gut, das müssen wir erhalten.
Kanzlerin Merkel hat bisher offengelassen, ob sie noch einmal antritt. Wäre ihre Kandidatur im Interesse der deutschen Wirtschaft?
Ich schätze Frau Merkel, aber es geht uns nicht um Personen, sondern um Inhalte. Ob Flüchtlingskrise oder Freihandel - es gibt nicht immer nur einfache Antworten. Mich hat nach den jüngsten Wahlniederlagen ihr Eingeständnis, selbst Fehler gemacht zu haben, beeindruckt. Das zeugt von Stärke.
Wenn Sie Merkel schon unterstützen: Warum nicht auch bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt? Da haben vor allem die großen Konzerne bisher fast nichts geleistet.
Die Unternehmen engagieren sich insgesamt stark, bieten Praktika, stellen Mitarbeiter ab, bezahlen Kurse. Wir brauchen Geduld auf allen Seiten. Die Flüchtlinge müssen zunächst Deutsch sprechen und Integrationskurse besuchen. Erst dann können wir den nächsten Schritt tun. Drei Viertel der arbeitsuchenden Flüchtlinge haben keine formale Berufsausbildung. Das macht es schwer, ihnen einen sofortigen Einstieg in Arbeit zu ermöglichen. Sinnvoll wäre es, das Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit vollständig abzuschaffen.
Will die SPD ins Kanzleramt einziehen, hat sie wohl nur eine Option: Rot-Rot-Grün. Was hieße das für den Standort Deutschland?
Wichtiger als die Farben ist, dass die nächste Regierung erkennt, wie Rekordbeschäftigung und Wohlstand auf Dauer zu sichern sind. Ich empfehle, auf die Expertise der Verbände zu setzen.
BDI, BDA, DIHK. Wie viele Spitzenverbände der Wirtschaft braucht es denn? Ihr Plan, mit dem Arbeitgeberverband BDA zu fusionieren, ist gerade erst gescheitert.
Keinesfalls. Wir haben die Frage ergebnisoffen geprüft, uns darüber ausgetauscht und festgestellt, dass sich unsere Themen inhaltlich zu wenig überschneiden. Die BDA kümmert sich um Arbeitsmarkt-, Tarif- und Sozialpolitik, ganz überwiegend national. Sie vertritt auch Banken und Dienstleister. Wir im BDI machen Industriepolitik - auch international. Getrennt marschieren, vereint schlagen - mit Ingo Kramer und der BDA sowie mit Eric Schweitzer und dem DIHK, das ist viel wirksamer.
Unterschiedlich sind offenbar auch die Vergütungsstrukturen. Anders als BDA und DIHK zahlt der BDI seinem ehrenamtlichen Präsidenten Geld, wie jetzt zu lesen war. Sie erhalten 180.000 Euro. Plus Spesen in sechsstelliger Höhe pro Jahr. Warum?
Hier kann ich nur für den BDI antworten. Dabei handelt es sich um eine Aufwandentschädigung.
Geschätzt mehr als 99 Prozent der ehrenamtlichen Vereins- und Verbandspräsidenten in diesem Land erhalten kein Geld in dieser Größenordnung.
Deshalb ist es gut, dass wir jetzt Transparenz hergestellt haben.
Bevor Sie 2013 angetreten sind, hatten Sie ein Golf-Handicap von 19,4. Es hieß, das würden sie in ihrer BDI-Zeit kaum verbessern können.
Mein Handicap hat sich in diesen dreieinhalb Jahren verschlechtert. Ich war einfach sehr viel für den BDI unterwegs und habe kein einziges Turnier gespielt.
Ab Januar wird es besser?
Ja, vielleicht habe ich wieder etwas mehr Zeit. Das wird auch die Familie und Kollegen wie Mitarbeiter im Unternehmen freuen.
Das Gespräch führten Kevin P. Hoffmann und Antje Sirleschtov