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Viele der Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, würden gerne arbeiten.
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Flüchtlinge in Berlin: Asylbewerber und Firmen verzweifeln gemeinsam am Gesetz

Viele Asylbewerber wollen arbeiten. Auch gibt es in Berlin genug Firmen, die sie gerne einstellen würden – doch die Gesetze verhindern das. Manche Unternehmen begeben sich deshalb in rechtliche Grauzonen.

Ihre Flucht endete in Deutschland – und in der Illegalität. Ihre Angst erwischt zu werden ist so groß, dass sie absolut anonym bleiben wollen. Denn nicht nur den Flüchtlingen droht Ärger. Dabei haben sie sich alle langwierig um ein legales Arbeitsverhältnis bemüht, wie ein erstes Fallbeispiel zeigt: Nennen wir die Besitzerin eines Restaurants in einem der angesagten Innenstadtviertel Berlins Rita und ihr neuestes Kochtalent Samuel. Sie wollen ihre Gäste mit Speisen aus verschiedenen Ländern Afrikas beglücken. Mitte März sitzen die beiden auf der Terrasse und warten auf Kundschaft. Es könnte ein Betrieb wie jeder andere sein. Wäre da nicht die Sache mit der Arbeitserlaubnis.

In Berlin befinden sich derzeit 22.000 Flüchtlinge, die wie Samuel arbeiten könnten, aber meist nicht arbeiten dürfen. Darunter befinden sich ungelernte Menschen, Facharbeiter mit jahrelanger Arbeitserfahrung aber ohne Zertifikate und viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte.

Je nach Fall ist eine andere Behörde zuständig

„Ein deutscher Koch bekommt auch eine gute Erdnusssuppe hin“, soll die zuständige Mitarbeiterin in der Ausländerbehörde gesagt haben: Antrag abgelehnt. Rita hat daraufhin bei der Agentur für Arbeit nachgefragt, die sei nicht zuständig, lautete die Antwort. Es gibt in Deutschland mindestens ein Dutzend Statuskombinationen für Flüchtlinge: Asylsuchend, Geduldet, mit oder ohne hypothetischen Zugang zum Arbeitsmarkt, aus politischen oder humanitären Gründen, seit zwölf Wochen, 15 Monaten oder vier Jahren schon im Land, als Kontingentflüchtlinge eingereist, und so weiter. Und je nach Status gilt eine andere Regelung, ist eine andere Behörde zuständig.

„Ich wusste, ich lasse mich auf einen Bürokratiemarathon und ein großes Risiko ein“, sagt Rita, „aber es war dann doch eine große Enttäuschung, als wir die Abfuhr bekommen haben.“ Samuel ist weniger als ein halbes Jahr in Berlin, für ihn gilt bis zum 15. Aufenthaltsmonat eine Nachrangigkeitsprüfung für den deutschen Arbeitsmarkt. „Ich möchte arbeiten“, sagt er auf Deutsch. Samuel lernt schnell und autodidaktisch die Sprache, die ihm immer als Schlüssel für alles angepriesen wird.

15 Monate müssen die Flüchtlinge warten, bis sie arbeiten dürfen

Die Ausländerbehörde achtet teilweise in Zusammenarbeit mit der „Zentralen Auslands- und Fachvermittlung“ der Agentur für Arbeit allerdings nicht nur auf die Deutschkenntnisse oder die Bedingungen im angebotenen Arbeitsvertrag. Die Behörde prüft, ob ein Deutscher oder ein EU-Bürger den Job machen kann, bevor sie eine Arbeitserlaubnis an einen Flüchtling erteilt.

Da aber so gut wie alle Jobs theoretisch auch von Deutschen oder Europäern gemacht werden könnten, wirkt diese erst neu von der Bundesregierung reformierte Nachrangigkeitsprüfung de facto wie ein Arbeitsverbot. Offiziell geht es um einen „nachrangigen Arbeitsmarktzugang“ für Flüchtlinge. Besonders sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ sollen auf diese Weise abgeschreckt werden. Mindestens 15 Monate lang sind sie zum Däumchendrehen verdonnert. Für Flüchtlinge wie für Arbeitgeber ist das unverständlich.

Die Rechtsunsicherheit ist groß

„Wir wollten nicht so lange warten“, sagt Rita. 15 Monate Wartezeit seien für sie 15 Monate, in denen sie keinen Umsatz generieren könne. Sie hat die für Samuel vorgesehene Stelle zwar mit einem anderen Koch besetzt – Samuel darf aber dennoch in der Küche mithelfen. „Er gehört zum Betrieb“, sagt sie und hofft, Samuel in einem Jahr endlich legal beschäftigen zu können. Die beiden haben sich schon mehrfach durch die dicken Broschüren des Flüchtlingsrates, der Arbeitsagentur und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gearbeitet. „Beim nächsten Anlauf soll es klappen“, sagen Rita und Samuel.

Auch Carola Zarth weiß von der Rechtsunsicherheit für Flüchtlinge und Unternehmen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu berichten. „Eines Tages rief mich mein Praktikant aus der Abschiebehaft an“, sagt die Inhaberin einer Kfz-Werkstatt in Charlottenburg: „Chefin, ich kann leider heute nicht zur Arbeit kommen“, soll der fast volljährige Aliyah aus Bosnien am Telefon gesagt haben. Der sicher geglaubte nächste Azubi: plötzlich abgeschoben. „Wir hatten uns schon darauf eingestellt, ihn als Auszubildenden einzustellen“, sagt Zarth. Aliyah sei ein motivierter, neugieriger und zuverlässiger Praktikant gewesen. „Man hat gespürt, dass er bei uns bleiben wollte“, sagt sie. Jeder Versuch, die Abschiebung zu verhindern, scheiterte.

Viele Flüchtlinge sind im Betrieb besonders engagiert

Für Unternehmerinnen wie Carola Zarth spielen das gesellschaftliche Engagement wie auch die betriebswirtschaftliche Logik eine Rolle, wenn sie sich entscheiden einen Flüchtling einzustellen. „Wir haben manchmal Schülerpraktikanten, denen merkt man an, dass sie gar nicht arbeiten wollen“, sagt Zarth. Bei Flüchtlingen sei oft die Sprache die einzige Hürde: „Die meisten lernen aber schnell und wir stellen uns halt auch darauf ein, anders zu kommunizieren.“ Eigentlich gebe es so gut wie keine Probleme mit den Flüchtlingen – wenn man die Bürokratie und die Gesetze ausklammere.

Mithilfe des Vermittlungs- und Betreuungsprojekts „Arrivo“ der Handwerkskammer Berlin beschäftigt Zarth nun einen jungen Mann aus Syrien als Praktikanten. Bei Syrern können Unternehmen derzeit davon ausgehen, dass sie auf jeden Fall einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhalten. „Flüchtling ist kein Beruf“, sagt Zarth, „wir müssen den Menschen, die zu uns kommen, eine Perspektive bieten“. Und: Es gebe keine bessere Perspektive als eine fair entlohnte Arbeit, an der man Spaß habe.

Manche Unternehmen verzichten lieber auf die zusätzliche Arbeitskraft

Doch nicht alle Betriebe nehmen das Risiko auf sich, bei der geltenden Rechtslage einen Flüchtling zu beschäftigen oder auszubilden. Auf einer Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin diskutierten kürzlich Politiker und Unternehmer mit Vertretern von Flüchtlingsprojekten und der Agentur für Arbeit. Nach großer Skepsis, auch unter Gewerkschaftlern, lautet die Formel beim DGB nun: „Arbeit ist ein Menschenrecht“, wie es Rüdiger Loetzer, Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall, ausdrückte.

Warum Unternehmer trotz rechtlicher Grauzone Flüchtlinge beschäftigen

Viele der Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, würden gerne arbeiten.
Viele der Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, würden gerne arbeiten.
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Der deutsche Arbeitsmarkt besteht nicht nur aus Handwerksberufen, wie ein anderes Fallbeispiel zeigt. Hend ist vom Terror des „Islamischen Staates“ in Syrien und im Irak und vor der Gewalt des Assad-Regimes geflüchtet. Sie möchte ihren wahren Namen lieber nicht nennen. Mit einem Zwischenstopp in der Türkei, gelang sie vor einigen Wochen nach Berlin. Der Schock über die Gewalt, die sie erlebt hat, sitzt tief: „Abwechslung und Ablenkung könnte eine sinnvolle Aufgabe bringen“, ist sich Hend sicher. Eine sinnvolle Aufgabe kann ihr Dr. Keilholz bieten, auch sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Denn Hend wertet ihre Daten aus und führt ihre Experimente durch, ohne dass sie dafür eine Arbeitserlaubnis hätte.

„Es passt einfach. Hend hat schon in ihrer Heimat zu ähnlichen Themen geforscht, sie kann das gut“, sagt Dr. Keilholz. Die Wissenschaftlerin erzählt, dass sie, bevor sie Hend mit den Aufgaben betraute, an ihrem Institut ihre Studierenden fragte, ob jemand das Geld unbedingt bräuchte. Die Antwort lautete: Nein. Als bei dem Studium der geltenden Gesetze und Realitäten in den Ämtern klar wurde, dass zurzeit eine Arbeitsgenehmigung für Hend utopisch ist, entschied sich Dr. Keilholz für die Grauzone. Auch aus politischen Gründen: „Da ist jemand, der kann viel und der darf nichts tun, das sehe ich nicht ein.“ Wenn sich Hend zumindest in einen Studiengang einschreiben könnte, wäre das ein erster Schritt, sagt Dr. Keilholz. Doch in Deutschland haben Flüchtlinge Studienverbot. Hend arbeitet mindestens doppelt so viel relativ zu ihrer hypothetischen Bezahlung. Sie hat nämlich Angst. Ein Kompromiss zwischen ihr und Dr. Keilholz ist nun, dass sie erst dann das Geld erhält, wenn sie eine Genehmigung bekommt. Hend arbeitet zurzeit also ohne Verdienst.

Ärzte aus dem Ausland könnten in Berlin gut eingesetzt werden

Das geht bei anderen Berufen gar nicht. Ärzte sind zum Beispiel eine beliebtes Beispiel, in Berlin und in Brandenburg werden sie dringend gesucht. Aber medizinisch qualifizierte Flüchtlinge dürfen nicht einfach so den Mangel in den Kliniken ausgleichen.

In den meisten Fällen scheitert es weiterhin, wenn ein noch nicht anerkannter Flüchtling ein Arbeitsangebot annehmen will: Entweder mauert die Ausländerbehörde oder die Anerkennungsstelle akzeptiert die vom Arbeitgeber für gut, teils sogar für herausragend befundenen Abschlüsse nicht. Entweder bekommt der Flüchtling keinen Platz in einem vorbereitenden oder begleitenden Deutschkurs oder die Heime und Flüchtlingsunterkünfte verweigern den vielen Initiativen und Projekten zur Arbeitsmarktintegration den Zutritt. Entweder geben Arbeitgeber deshalb oft beim komplizierten Ausländerrecht auf oder lassen sich von der Rechtsunsicherheit abschrecken – vor allem, wenn dem Auszubildenden zum Beispiel die Abschiebung droht.

„Kliniken wie die Charité oder Vivantes sind hier gefragt, den Druck zu erhöhen“, sagt Simone Fassbender, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Berlin Süd, mit Blick auf den Ärztemangel in der Region. Faßbenders Behörde betreut ein Projekt namens „Early Intervention“, das seit Anfang des Jahres den Erstkontakt zu arbeitsfähigen und arbeitswilligen Flüchtlingen sucht. Teilweise bereits in den Heimen will die Agentur mit ihrer Beratung ansetzen, die raren Plätze in den Deutschkursen weitervermitteln. „Wir stehen aber ganz am Anfang. Es ist für uns ein stetiger Lernprozess“, sagt Faßbender, die mit zwei Mitarbeiterinnen bald rund 200 Flüchtlinge kurzzeitig betreuen möchte, zumindest bis wieder eine andere Behörde zuständig ist.

Nicht immer waren die Regeln in Deutschland so streng

Dabei gab es in Deutschland durchaus Zeiten, in denen durften Flüchtlinge legal und unkompliziert arbeiten. Zumindest berichtet das Monika Kadur. Damals, zur Zeit der „Gastarbeiter“, waren Arbeitnehmer begehrt und die bürokratischen Hürden niedriger als heute. Kadur arbeitet seit 1978 im Feld der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland. „Und dann sind wir irgendwann mal auf Essenmarken und Arbeitsverbote gekommen“, sagt Kadur, die das Projekt „BleibNet Plus für Brandenburg“ leitet und in diesem Rahmen Hilfestellungen für Flüchtlinge in Brandenburg vermittelt. Wie das Projekt in Berlin Süd versucht BleibNet auch bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen und vor allem bei der damit zusammenhängenden Bürokratie zu helfen. „Es ist noch ein langer Weg zu beschreiten“, waren sich zumindest bei der DGB-Veranstaltung alle einig.

Und die Einsicht, dass sich etwas ändern muss, die ist anscheinend bei den Politikern vorhanden. Doch es geht sehr langsam voran. Die vom Senat geförderten Projekte zur Integration von Flüchtlingen in den Berliner Arbeitsmarkt wie das Projekt „Early Intervention“ der Agentur für Arbeit Berlin Süd oder das Projekt „Arrivo“ nennt die zuständige Arbeits- und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) „zarte Blümchen“. Die Senatorin beteuert, dass sie für eine Aufhebung aller Verbote ist: „Flüchtlinge sind für mich in erster Linie ganz normale Kunden auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Kolat.

Für die Arbeitssenatorin ist oft die Ausländerbehörde, die Innensenator Frank Henkel (CDU) unterstellt ist, zu unkooperativ. Kreise aus dem Innensenat sagen jedoch, dass sich Kolat öffentlich zu oft in ihre Kompetenzen einmische.

„Diese Ausreden lasse ich nicht gelten“, sagt Unternehmerin Carola Zarth. Es müsse eine Lösung gefunden werden. Zumindest für Berlin hätten die Parteien eine Verantwortung, Lösungen auszuarbeiten, anstatt die Schuld auf andere zu schieben. Dabei gibt es scheinbar einfache Lösungen: Man müsse nichts neu erfinden, man solle lediglich den Arbeits- und Ausbildungsmarkt für die Flüchtlinge öffnen, sagt Kolat. Mit „man“ meint die Senatorin die Bundesregierung, denn nur die kann die Gesetze mit ihrer Mehrheit im Bundestag ändern. Doch die große Koalition hat erst im November 2014 das Ausländer- und Asylbewerbergesetz reformiert. Eine Evaluierung wird es erst in drei Jahren geben, so steht es im aktuellen Gesetzesblatt.

Für den Koch Samuel kommt das zu spät. Mit etwas Glück ist er dann aber bereits anerkannter Flüchtling – und darf arbeiten.

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