Diskriminierung bei Bewerbungen: Anonym in die Zukunft
Bewerbungen ohne Angabe von Alter, Geschlecht und Herkunft verbessern besonders für Frauen und Migranten die Jobaussichten. Einem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolgte sorgt das anonymisierte Verfahren für eine faire erste Bewerbungsrunde.
Astrid Braungart wollte sich beruflich verändern. Nach Jahren in den Marketingabteilungen großer Konzerne wie Adidas, Microsoft und Siemens suchte die 46-jährige Mutter eine neue Herausforderung. Rund 30 Bewerbungen schrieb Braungart, fünf Mal wurde sie zum Bewerbungsgespräch eingeladen – ohne Erfolg. „In den Gesprächen wurde ich immer gefragt, wie ich die Kinderbetreuung organisiere“, sagt sie. Ihrem Mann, der auch Vollzeit arbeite, sei das nie passiert. Schließlich entdeckte Braungart eine Ausschreibung für eine Stelle als Marketingleiterin beim Online-Geschenkeportal Mydays. Das Unternehmen bat um eine anonymisierte Bewerbung. „Zunächst war es mehr Arbeit für mich, das anonymisierte Formular auszufüllen, als einfach meine schon vorbereitete Bewerbung abzugeben“, sagt sie. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Braungart wurde zum Gespräch eingeladen, ohne dass die Firma wusste, wie alt sie ist, ob sie eine Frau oder ein Mann ist, ob sie Kinder hat – nur aufgrund ihrer Qualifikation. Weil sie auch persönlich überzeugte, bekam sie den Job.
Braungart ist eine von 8550 Bewerbern, die am Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu anonymisierten Bewerbungen teilgenommen haben. Sie konnten sich von November 2010 bis Dezember 2011 bei fünf Unternehmen – darunter auch die Telekom, die Post, Procter & Gamble und L’Oréal – sowie drei öffentlichen Arbeitgebern bewerben. Dafür füllten sie standardisierte Formulare aus oder die Firmen schwärzten die persönlichen Daten. Nur auf Basis der Informationen zur Qualifikation entschieden die Arbeitgeber, wer zum Vorstellungsgespräch geladen wird. Erst nach dieser Entscheidung sahen sie die Angaben zu Alter, Familienstand oder Herkunft. Während anonymisierte Bewerbungen in vielen anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien längst die Regel sind, ist es in Deutschland noch immer üblich, dem Anschreiben etwa ein Foto beizulegen.
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, zog am Dienstag in Berlin eine positive Bilanz des Pilotprojektes, das allerdings nicht repräsentativ ist. „Anonymisieren wirkt, es stellt Chancengleichheit her und garantiert eine faire erste Bewerbungsrunde“, sagte sie. Besonders Frauen und Migranten hätten durch die Anonymisierung tendenziell bessere Chancen, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als bei normalen Verfahren. Dass es schwierig sein kann, sich mit einem ausländischen Namen zu bewerben, hat auch Serpil Klukon erlebt. Nach ihrem Wirtschaftsstudium wollte sie in die Lebensmittelbranche und musste mehr als 20 Bewerbungen schreiben, bis sie zum Gespräch eingeladen wurde. Ihre jetzige Stelle als Referatsleiterin für Integration der Stadt Celle bekam Klukon durch eine anonymisierte Bewerbung im Rahmen des Pilotprojektes. „Im Vorfeld spielte nur meine Qualifikation eine Rolle“, sagt sie.
244 weitere Bewerber haben wie Serpil Klukon und Astrid Braungart über das Pilotprojekt eine Stelle gefunden. Die Bilanz der mehr als 8000 Bewerber fällt insgesamt positiv aus. 41 Prozent schätzten ihre Chancen bei der anonymisierten Bewerbung besser ein als bei normalen Verfahren, 33 Prozent sahen zumindest keinen Unterschied. 54 Prozent erklärten, dass sie ihr Potenzial durch die anonyme Bewerbung besser darstellen konnten.
Auch die Mehrheit der Personalverantwortlichen war mit dem Verfahren zufrieden. Die drei öffentlichen Arbeitgeber im Projekt wollen anonymisierte Bewerbungen weiter nutzen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz planen Pilotprojekte. Die Firmen aber zeigten sich zurückhaltend. Die Post, die Telekom und L’Oréal verwiesen auf eigene Modelle zur Förderung der Vielfalt im Unternehmen, Mydays will das Verfahren zumindest „flexibel einsetzen“. Procter & Gamble spricht von „ guten Erfahrungen“ mit anonymisierten Bewerbungen für „Führungsnachwuchskräfte.“ Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sieht dagegen in dem Verfahren „eine erhöhte zeitliche, personelle und finanzielle Belastung“. Für mittlere und kleinere Firmen sei das „kaum ein gangbarer Weg“.
Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), das das Projekt ausgewertet hatte, warnte vor zu hohen Erwartungen. „Anonymisierte Bewerbungen können strukturelle Diskriminierung im Bildungsbereich oder bei Beförderungen nicht kompensieren“, sagte IZA-Direktor Klaus Zimmermann.
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