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Kein reines Kinderspiel: Kinderbetreuung in Deutschland ist mangelhaft

Ab 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Ein- bis Dreijährige. Doch noch immer fehlt es an Investitionen und Erzieherinnen. Den Kommunen und Gemeinden drohen deshalb massive Klagen.

Berlin - Der Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland kommt zu langsam voran. Von August 2013 an haben Eltern einen Rechtsanspruch für ihre ein- bis dreijährigen Kinder. Doch bundesweit fehlen derzeit nach Schätzungen noch mehr als 200 000 Betreuungsplätze und bis zu 20 000 Erzieherinnen – vor allem im Westen. Die Kommunen fordern daher mehr Tempo beim Kita-Ausbau. „Der Rechtsanspruch auf Betreuung für unter Dreijährige ab Sommer 2013 ist noch lange nicht gesichert“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Stephan Articus, dem Tagesspiegel.

Im Jahr 2007 hatten sich Bund, Länder und Gemeinden darauf verständigt, bis 2013 für etwa jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz in einer Kita oder bei einer Tagesmutter zu schaffen. Insgesamt sollen dann 750 000 Plätze zur Verfügung stehen. Im März 2011 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts erst 517 000 Kinder ganztags betreut, das entspricht einer Quote von gut 25 Prozent. Hinzu kommt: Laut einer Studie der Technischen Universität Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts fehlen etwa 20 000 Erzieherinnen für die Betreuung der Kinder.

Auch der Städte- und Gemeindebund hält noch „erhebliche Anstrengungen“ für notwendig. „Die Zeit läuft uns davon“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Tagesspiegel. „Wenn wir nicht schneller vorankommen, dann drohen den Kommunen massive Klagen. Auch Bund und Länder müssen ein Interesse daran haben, das zu verhindern.“ Der Kieler Oberbürgermeister Thorsten Albig (SPD) erwartet, dass Väter oder Mütter, die keinen Betreuungsplatz bekommen, auf Ersatz jenes Gehalts klagen, das ihnen wegen der persönlichen Betreuung ihres Kindes entgehe. Dies könne insgesamt sehr teuer werden, sagt Albig, SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein.

Noch immer übersteigt der Betreuungsbedarf das Angebot

Die Kommunalen Spitzenverbände bezweifeln, dass 750 000 Plätze reichen werden, um die Wünsche der Eltern zu erfüllen. „In zahlreichen Städten liegt der Betreuungsbedarf deutlich höher als der vom Bund angenommene Wert von 38 Prozent“, sagte Articus. In München, Frankfurt am Main, Nürnberg und Heidelberg werde zum Beispiel für das Jahr 2013 ein Bedarf von mindestens 50 Prozent erwartet, in Stuttgart sogar von rund 60 Prozent. „Wenn wir gut sind, werden wir in den westdeutschen Städten 40 Prozent schaffen“, prognostiziert SPD-Oberbürgermeister Albig.

Der Städte- und Gemeindebund-Vertreter Landsberg forderte Bund, Länder und Kommunen auf, ein Aktionsprogramm Kinderbetreuung zu starten, um den absehbaren Mangel an Erzieherinnen zu kompensieren. So regte er an, im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes mindestens 5000 befristete Stellen im Bereich der Kinderbetreuung zu schaffen. Außerdem forderte er die Länder auf, Quereinsteiger zu qualifizieren. Auch die Bundesagentur für Arbeit solle junge Arbeitslose weiterbilden, die für eine Tätigkeit in einer Kita geeignet seien. Denn das Problem ist: Die Ausbildung von Erziehern dauert je nach Bundesland bis zu fünf Jahre. Bis 2013 wird sich die Lücke also so leicht nicht schließen lassen.

Doch die Kommunalvertreter fordern auch zusätzliche finanzielle Hilfen von Bund und Ländern. „Gerade finanzschwache Gemeinden können sonst den Ausbau nicht stemmen“, sagte Landsberg. Er regte an, vorerst auf die Einführung neuer Familienleistungen – wie das Betreuungsgeld, das pro Jahr 1,2 Milliarden Euro kosten soll – zu verzichten. „Der Ausbau der Infrastruktur sollte Priorität haben.“ Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert, die Kommunen in ihrer Finanzkraft zu stärken. Laut Familienministerin Kristina Schröder (CDU) mangelt es jedoch nicht am Geld. „320 Millionen Euro Bundesgelder für den Kita-Ausbau sind von den Ländern immer noch nicht beantragt worden, obwohl sie seit Jahren auf dem Präsentierteller liegen. Fehlendes Geld kann also das Problem nicht sein“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Die Eltern verlassen sich auf den Rechtsanspruch, und auch ich sehe keinen Grund, Druck aus dem Kessel zu nehmen, gerade weil wir an Tempo offenkundig zulegen müssen.“

Cordula Eubel, Hans Monath

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