Bewerbung: Nicht ohne mein Kopftuch
Warum es Menschen mit ausländischen Wurzeln oft schwerer haben, einen Job zu finden – und was sie tun können, um bei der Bewerbung dennoch zu überzeugen.
Hager Al-Shihan ist 17. Sie ist Muslimin, hat libanesische Wurzeln und viele Jugendliche in ihrem Umfeld mussten zig Bewerbungen schreiben, bis sie einen Ausbildungsplatz fanden. Hager befürchtete, dass es ihr ähnlich ergehen würde. Schließlich waren ihre Noten nicht die besten. Um ihre Chancen zu verbessern, ließen sich einige ihrer Freundinnen auf dem Foto im Lebenslauf ohne Kopftuch ablichten – sie selbst hat ihres aufbehalten.
Nach der dritten Bewerbung schon wurde sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Und sie bekam die Stelle. Seit September macht sie nun bei der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Gewobag eine Ausbildung zur Bürokauffrau.
„Die Schülerin hat uns im Gespräch absolut überzeugt. Sie war gut vorbereitet und man hat gemerkt, dass sie diese Chance unbedingt ergreifen möchte“, sagt Personalleiterin Martina Heger. Bei der Gewobag sind Menschen mit interkulturellem Know-how gefragt. Fast jeder vierte Azubi hat ausländische Wurzeln. Der Vorteil liegt auf der Hand: „Mitarbeiter mit Migrationshintergrund können kulturelle Barrieren überwinden. Gerade in einem kundennahen Bereich wie unserem ist das eine große Stärke“, sagt Heger.
So denken jedoch offenbar nur wenige Personalverantwortliche. Diverse Studien belegen, dass Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt immer wieder diskriminiert werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Ergebnis, dass Migranten selbst bei gleichen Ausbildungsabschlüssen schlechtere Chancen haben. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) müssen Migranten allein wegen ihres fremdländischen Namens drei- bis viermal so viele Bewerbungen schreiben, bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. „Das Ausmaß der Diskriminierung im Arbeitsmarkt ist weiterhin erheblich“, konstatiert auch das Institut zur Zukunft der Arbeit in einer bundesweiten Studie.
Dagegen sollen nun anonymisierte Bewerbungen helfen, die in Deutschland bisher kein Thema waren, in Ländern wie den USA und Kanada aber längst üblich sind. Fünf Firmen und drei öffentliche Arbeitgeber haben sich an einem entsprechenden Pilotprojekt der Bundesantidiskriminierungsstelle beteiligt, das allerdings allein auf die erste Phase der Bewerbung zielt: Anschreiben und Lebenslauf landen ohne Namen, Foto oder Hinweis zu Herkunft, Alter und Geschlecht auf dem Tisch der Personaler. Allein die Qualifikation soll zählen.
Der Versuch lief über ein Jahr und ist seit November 2011 abgeschlossen. 220 Stellen wurden auf diese Weise besetzt. Die vollständigen Ergebnisse werden Mitte April vorgestellt. Schon jetzt ziehen die Teilnehmer aber eine positive Bilanz. „Die Befürchtungen vieler Arbeitgeber, dass das Verfahren zu aufwändig ist, haben sich als unbegründet erwiesen“, sagt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle.
Auch der Geschenkedienstleister Mydays hat mitgemacht. „Wir waren sehr überrascht, was so ein Projekt bewirken kann“, sagt Marketingleiterin Astrid Braungart. „Ohne die Anonymisierung würde man wahrscheinlich eine andere Wahl treffen“, sagt sie. So sei man aber frei von Vorurteilen und konzentriere sich auf die Fakten. „Alles andere, wie etwa das Foto, lenkt ja doch ab.“ Sie hält das Verfahren für eine große Chance. Ein Pluspunkt sei auch, dass sich die Bewerbungen durch die standardisierten Lebensläufe leichter vergleichen lassen.
Bewerber mit ausländischem Namen werden aussortiert
Die leitende Angestellte hat einige Erfahrungen mit der Diskriminierung von Aspiranten. Bei einem ihrer früheren Arbeitgeber begleitete sie die Einstellungsverfahren. „Dort wurden Bewerber mit ausländischen Namen wie Öztürk oder Politkowska sofort aussortiert“, erzählt sie. Außerdem ist sie sicher, dass nicht nur Migranten von der Anonymisierung profitieren. Auch Mütter oder Ältere hätten dadurch bessere Chancen.
Auch Jasmin Hagmann begrüßt die anonymisierte Form. Sie ist Mitverfasserin des Ratgebers „Erfolgreich bewerben mit Migrationshintergrund“, das seit März im Buchhandel erhältlich ist. Bei ihrer Recherche erfuhr sie, dass Experten der Bundesarbeitsagentur ihre Klientinnen davor warnen, im Vorstellungsgespräch Kopftuch zu tragen. „Wer nicht darauf verzichten könne, werde immer Probleme haben“, zitiert Hagmann eine Beraterin.
Außerdem falle bei Menschen mit Migrationshintergrund der gleiche Rechtschreibfehler im Anschreiben viel stärker ins Gewicht als bei Menschen mit einheimisch klingenden Namen. „Menschen mit Migrationshintergrund sollten daher noch sorgfältiger sein als ihre Mitbewerber“, rät sie deshalb.
Hagmann hat aber auch festgestellt, dass Bewerber mit ausländischen Wurzeln oft hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. „Sie verkaufen sich oft unter Wert, bringen ihre zusätzlichen Qualifikationen gar nicht ins Gespräch oder sehen ihre Muttersprache sogar als Makel“, sagt sie. Mehrsprachigkeit sei aber eine Zusatzqualifikation und solle in jedem Fall im Lebenslauf stehen. „Die Fähigkeit, sich sicher in zwei kulturellen Welten zu bewegen, ist ein großer Vorteil.“ So sei eine Arzthelferin, die türkisch beherrsche, für eine Praxis mit türkischen Patienten ein Riesengewinn.
Um Vorurteilen entgegenzutreten und etwa zu zeigen, dass man die deutsche Sprache gut beherrscht, rät Hagmann dazu, sich persönlich beim Wunscharbeitgeber vorzustellen.
Solange das anonymisierte Verfahren in Deutschland nicht standardisiert ist, müssen sich Bewerber mit ausländischen Wurzeln also mehr ins Zeug legen als ihre Konkurrenten. Immer mehr Unternehmen entdecken aber – wie die Gewobag – ihre speziellen Qualifikationen inzwischen für sich.
Jasmin und Christoph Hagmann: „Erfolgreich bewerben mit Migrationshintergrund“, Haufe, Freiburg 2012, 14,95 Euro
Larissa Koch
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