Wirtschaft in der Türkei: Ankara zaubert die Krise weg
Die türkische Regierung feiert ihre Wirtschaftspolitik – doch die Probleme werden nur verschoben.
Nach dem dramatischen Absturz der Lira im Sommer sagten viele Experten eine schwere Wirtschaftskrise in der Türkei voraus – doch nun erholt sich die Lira, die Inflation sinkt, und die Regierung verkündet das Ende aller Probleme. Der positive Trend werde sich in den kommenden Monaten fortsetzen, sagt Finanzminister Berat Albayrak. Skeptiker sehen in Ankara jedoch vor allem politische Strohfeuer und Taschenspieler-Tricks, mit denen die nach wie vor schweren Probleme verschleiert und bis nach den Kommunalwahlen im März verschoben werden sollen. Viele Normalverbraucher müssen den Gürtel enger schnallen.
Die Jahresinflation fällt geringer aus als erwartet
Die jüngsten Inflationszahlen gaben der Regierung einen Grund zum Jubeln: Die Verbraucherpreise im November fielen im Monatsvergleich um 1,44 Prozent. Das ergibt eine Jahres-Inflationsrate von 21,6 Prozent, deutlich niedriger als der 15-Jahres-Rekord von mehr als 25 Prozent im Oktober. Die Währung hat sich auf rund sechs Lira zu einem Euro verbessert – im August mussten die Türken für einen Euro fast acht Lira bezahlen.
Albayrak, ein Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan, bekämpft die Teuerungsrate unter anderem mit Steuersenkungen für Möbel, Hausgeräte und Neuwagen sowie mit einem Appell an türkische Unternehmen, ihre Preise um zehn Prozent zu reduzieren. Auch eine kräftige Zinsanhebung durch die Zentralbank hat geholfen.
Damit habe die Regierung die „Angriffe“ auf die türkische Wirtschaft erfolgreich abgewehrt, sagen Albayrak und Erdogan. Die Schwierigkeiten werden in Ankara nicht als Folge eigener Fehler verstanden, sondern als Verschwörung gegen die Türkei. Vor allem die USA wurden in den vergangenen Monaten als Übeltäter ausgemacht. Doch ganz so einfach können Albayrak und Erdogan die Krise nicht wegzaubern. Die zuletzt relativ günstige Entwicklung bei Inflation und Lira-Kurs wecke „falsche Hoffnungen“, sagt der unabhängige Wirtschaftsexperte Emre Deliveli dem Tagesspiegel.
Die Lira ist immer noch 25 Prozent weniger wert als Anfang 2018
Selbst nach dem jüngsten Rückgang der Inflation ist die Teuerung mehr als viermal so hoch wie von der Zentralbank für dieses Jahr prognostiziert. Die Lira ist trotz der Kurserholung rund 25 Prozent weniger wert als zu Beginn des Jahres. Die Ratingagentur S & P erwartet, dass sich das Volumen nicht zurückgezahlter Kredite bei den türkischen Banken verdoppelt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet damit, dass die türkische Wirtschaft 2019 nur noch um 0,4 Prozent wachsen wird – im vergangenen Jahr waren es noch 7,4 Prozent.
Auch Albayraks Methoden der Inflationsbekämpfung überzeugen nicht jeden. Die Unternehmen könnten die zehnprozentige Preissenkung auf Wunsch der Regierung nicht ewig durchhalten, sagt Deliveli. „Nach ein paar Monaten müssen die Firmen die Preise wieder anheben.“ Der Journalist Mustafa Balbay schrieb in der Zeitung „Cumhuriyet“, die offiziellen Inflationszahlen fielen positiver aus, seit der zuständige Beamte beim Statistikamt in Ankara gefeuert und durch einen Regierungsanhänger ersetzt worden sei.
Die Menschen spüren die Erholung kaum
Bei den Normalbürgern ist von einer Erholung jedenfalls nichts zu spüren. Für viel Unmut sorgt unter anderem die drastische Verteuerung von Zwiebeln. „Letztes Jahr kostete ein Kilo noch um die drei Lira“, also etwa 50 Cent, sagt ein Istanbuler Gemüsehändler. „Dieses Jahr waren es zeitweise zehn Lira.“ Zwiebeln sind unverzichtbar für die türkische Küche, selbst der ärmste Türke braucht sie täglich für den Familientisch. „Die Leute beschweren sich sehr“, sagt ein anderer Istanbuler Krämer. „Die Inflation ist eh schon hoch genug.“ Wenn viele Türken schon beim täglichen Einkauf jede Lira zweimal umdrehen müssen, verzichten sie erst recht auf größere Anschaffungen. Die Zahl der Pkw-Neuzulassungen ist im Jahresvergleich um 71,5 Prozent eingebrochen, der Verkauf von Haushaltsgeräten ging um ein Drittel zurück. Das Land müsse sich auf schwere Zeiten einstellen, meint Wirtschaftsexperte Deliveli: „Es sieht schlecht aus.“
Bis zu den Wahlen im März dürfte die Erdogan-Regierung alles tun, um die Inflation mit Steuersenkungen und anderen vorübergehenden Maßnahmen zu zähmen – weitere Zinsanhebungen lehnt Erdogan ab, weil er die Inlandsnachfrage vor den Wahlen nicht weiter abwürgen will. Doch nach dem Wahltag wird die Türkei möglicherweise Hilfe vom IWF erbitten müssen. Offiziell lehnt Erdogan einen solchen Schritt zwar ab: Dieses Kapitel sei ein für allemal abgeschlossen, sagte er vor Kurzem. Doch das ist nicht unbedingt das letzte Wort. Der Staat muss im kommenden Jahr mehr als 40 Milliarden Dollar an Anleihen zurückzahlen, bei türkischen Unternehmen steht sogar die Rückzahlung von rund 200 Milliarden Dollar an.