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Das Fracking in den USA hat den Ölmarkt tiefgreifend verändert.
© dpa

Der Ölpreis fällt und fällt und fällt: An der Börse verzockt

Der Ölmarkt ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten, die Förderkürzungen gleichen den Nachfrageausfall nicht annähernd aus.

Das gab es noch nie: Ein negativer Ölpreis! Zum ersten Mal in der Geschichte haben Käufer an der US-amerikanischen Rohstoffbörse bei der Abnahme von Öl Geld bekommen. „Was gestern passiert ist an der Terminbörse hat vor allem technische Ursachen“, sagt die Ölmarktexpertin Dora Borbely von der Fondsgesellschaft Deka am Dienstag. Kein Spekulant will Papiere im Depot haben, die ihn zu einem bestimmten Termin und Preis im Mai zum Kauf von Öl verpflichten. Die entsprechenden Terminkontrakte gerieten in den letzten Stunden des auslaufenden Kontraktes unter Druck und stürzten ins Minus, weil Handelsautomatismen griffen: Wenn bestimmte Kursniveaus unterschritten werden, verkaufen Computerprogramm automatisch die Wertpapiere. Und so fiel der Öl-Terminkontrakt für Mai am Montag bei einem insgesamt dünnen Marktvolumen bis auf ein Minus von gut 40 Dollar. Das sei indes eher eine Momentaufnahme, meint Borbely: „Der Juni-Kontrakt war die ganze Zeit stabil um die 20 Dollar.“

Auch in Europa stürzt der Preis ab

In den USA wird das amerikanische Leichtöl WTI gehandelt, in Europa die Nordseesorte Brent, die am Montag im Sog der WTI-Notierung um knapp neun Prozent auf 25,57 Dollar abrutschte und dann am Dienstag sogar knapp unter 20 Dollar fiel. Davon profitieren die Verbraucher hierzulande, die deutlich weniger Geld an der Tankstelle und für das Heizen ausgeben müssen. Indes nur begrenzt: Mehr als 70 Prozent des Benzinpreises macht hierzulande die Steuer aus.

Ein Drittel der Nachfrage ist weg

Die Erklärung für das gegenwärtige Geschehen ist einfach: „ Der Ölmarkt ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten“, sagt Borbely. „Rund 30 Prozent der weltweiten Nachfrage ist infolge der Coronakrise weggebrochen.“ Weltweit stehen Raffinerien und Fabriken still, Flugzeuge sind kaum noch unterwegs. Deshalb hatte das Opec-Kartell vor zehn Tagen Förderkürzungen um zehn Millionen Barrel (je 159 Liter) beschlossen, das entspricht etwa zehn Prozent der täglichen Fördermengen. „Die von der Opec beschlossenen Kürzungen sind viel zu gering“, meint die Deka-Expertin dazu. Um den Preis wirklich zu stabilisieren hätte es einer Reduzierung des Angebots um rund 30 Prozent bedurft. Doch dazu sind die Förderländern nicht bereit. Bereits die Zehn–Prozent-Kürzung war nur erreicht wurden, durch persönliche Gespräche von US-Präsident Donald Trump mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin und dem saudischen König Salman.

Die Saudis drücken die Preise

Borbely glaubt zwar an eine wieder steigende Ölnachfrage in der zweiten Jahreshälfte. Aber dennoch „geht der Preiskampf weiter“. Die saudischen Ölquellen könne man kaum drosseln, und da die Lagerkapazitäten begrenzt seien, würden vor allem die Saudis weiterhin Öl zu günstigen Preisen auf den Markt drücken. Und dann gibt es noch die US-amerikanische Fracking-Industrie. „Seitdem die Fracker da sind, funktioniert das Kartell nicht mehr“, sagt die Rohstoffexpertin. Bislang gebe es kaum einen Rückgang beim Fracking, obgleich für das Verfahren ein Ölpreis von mindestens 40 Dollar gebraucht wird, um kostendeckend das Schiefergestein auszupressen. Diesen Preis sieht Borbely frühestens 2021.

Auswirkungen auf die Förderländer

Der niedrige Ölpreis beeinflusst nicht nur die wirtschaftliche Stärke von Ländern außerhalb der USA, sondern hat auch deutliche machtpolitische Auswirkungen – etwa in den Förderländern Russland, Saudi-Arabien und Iran, aber auch im Importland China.

In Russland, so beobachtet Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), brechen die Staatseinnahmen wegen des Preisverfalls ein. Alleine die direkten Steuern auf Öl und Gas machten ein Drittel des russischen Etats aus, dazu kämen Gewinnsteuern und Dividenden der Energiekonzerne. Gleichzeitig brauche die Wirtschaft dringend ein Hilfspaket, um die Corona-Beschränkungen auszugleichen.

Die Russen kommen klar

Allerdings sei Russlands Staatsverschuldung mit rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sehr gering. Außerdem könne ein Teil des staatlichen Wohlfahrtsfonds eingesetzt werden, um Mindereinnahmen auszugleichen. „Russland kann deshalb in diesem Jahr auch ein hohes Defizit verkraften“, meint Kluge. Auch die militärische Handlungsfähigkeit Russlands sieht er nicht eingeschränkt. Schließlich hätten die russischen Militäreinsätze im Ausland in den vergangenen Jahren kaum sichtbare Spuren im Staatshaushalt hinterlassen. Russland operiere militärisch mit relativ geringem Mitteleinsatz, auch weil es stark auf Privatarmeen setze.

Die Saudis müssen Prioritäten setzen

Für Saudi-Arabien erwartet Guido Steinberg, ebenfalls SWP-Mitarbeiter, weit gravierendere Auswirkungen. Das Land müsse nun Prioritäten setzen. „Wahrscheinlich wird es versuchen, sein außenpolitisches Engagement im Ganzen zurückzufahren“, sagt Steinberg. Dass sei schon jetzt in seiner Jemen-Politik zu beobachten. Seit mehreren Monaten bemühe sich die saudische Regierung den Konflikt zu beenden, seit Beginn der Corona-Pandemie aber mit neuem Nachdruck. „Der letzte Woche einseitig erklärte Waffenstillstand war ein deutliches Signal in diese Richtung“, sagt der Wissenschaftler. Kronprinz Mohammed Bin Salman werde auch Abstriche an seinem ehrgeizigen Reformprogramm „Vision 2030“ machen müssen: „Insgesamt ist nicht zu sehen, wie Saudi-Arabien mit den jetzigen Einnahmen die Diversifizierung seiner Wirtschaft weg vom Öl schaffen soll.“ 

Iran scheint die Krise im Griff zu haben

Der Preisverfall hat auch auf den Iran einen starken Impact, muss aber dessen regionalen Einfluss nicht notwendig bremsen, glaubt Cornelius Adebahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zwar drohe der  niedrige Ölpreis in der wirtschaftlich und gesellschaftlich angespannten Lage innenpolitischen Probleme weiter zu verschärfen. „Gleichzeitig könnte Teheran gerade von der Mischung aus Pandemie und Preisverfall profitieren“, sagte der Experte: Das Land sei weitgehend isoliert und verkaufe nur wenig Öl, während die Golfmonarchien harte Einbußen hinnehmen und sich deshalb an den internationalen Finanzmärkten verschulden müssten.

„Während Iran die Krise mehr schlecht als recht zu meistern scheint, steht den anderen Ländern der Region der große Corona-Ausbruch wohl erst noch bevor“, urteilt Adebahr. Insofern dürften Teherans Möglichkeiten zur Einflussnahme in den Nachbarländern materiell zwar beschränkt sein: „Wenn aber seine Widersacher im selben Moment mit handfesten Problemen im jeweils eigenen Land zu kämpfen haben, bleibt die Islamische Republik zumindest im Spiel.“ Dies gelte vor allem für den benachbarten Irak.

Die Chinesen profitieren

USA-Experte Josef Braml von der DGAP erwartet nicht, dass der Beschluss der von Saudi-Arabien geführten OPEC, Russlands und der USA zur Mengenbegrenzung den Konflikt dauerhaft befriedet. Saudi-Arabien werde mit Argusaugen darauf achten, seine Marktanteile in Asien, seiner wichtigsten Nachfrageregion, zu verteidigen. So habe Saudi Aramco, der staatlich kontrollierte Öl-Gigant des Königreichs, seine Preise regional diversifiziert und für Asien niedriger angesetzt. „Auch über den vorläufigen Waffenstillstand hinaus dürfte das ressourcenhungrige China demnach Hauptnutznießer dieses Preiskrieges sein“, sagt Braml voraus. In dem absehbar härter werdenden Kampf der Produzenten um künftig weiterhin schrumpfende Nachfrage werde sich „sich die Macht der Nachfrager und insbesondere jene des größten Energie-Konsumenten China weiter erhöhen“.

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