Onlinehandel: Amazon wirft neuwertige Ware auf den Schrott
Matratzen, Möbel, Mikrowellen: Der Onlinehändler Amazon vernichtet laut Medienberichten massenweise zurückgegebene und intakte Waren – weil es billiger ist, als sie zu verwerten.
Die Ware liegt schon bereit: Staubsauger, Spülmaschinen, Computer. Sie ist aber nicht etwa für Kunden bestimmt, sondern für den Schrott – obwohl die Artikel neuwertig wirken. Massenweise vernichtet Onlinehändler Amazon offenbar solche funktionsfähigen Produkte, wie eine Recherche von „Wirtschaftswoche“ und „Frontal21“ zeigt. Ein Skandal, der in Zeiten des zunehmenden Onlinehandels noch größere Ausmaße annehmen dürfte.
Waren im Wert von 23.000 Euro habe sie in den Container gepackt, berichtet eine Mitarbeiterin, die in einem der speziellen Entsorgungsteams gearbeitet hat. Und zwar täglich. Rund 13 Großgeräte wie Wasch- und Spülmaschinen habe sie pro Schicht verschrottet: Autoreifen, Tische, ganze Möbelpakete, an manchen Tagen „bestimmt 15 Matratzen“, erzählt sie der „Wirtschaftswoche“. Alles „neuwertige Sachen“, teils mit kleinen Macken oder Schönheitsfehlern, in der Regel aber völlig funktionstüchtig. Über ein Softwaretool seien ihr die jeweiligen Produkte angezeigt, dann in zwei Kategorien aufgeteilt worden: Bei „Liquidation“ sei der Müll abtransportiert worden. Bei „Crash“ die Ware auf dem Hof zerstört und in Container geschmissen worden.
Amazon bestreitet die Praxis nicht
Ein Amazon-Sprecher bestreitet diese Praxis auf Anfrage des Tagesspiegels nicht. Das Unternehmen „engagiere“ sich dafür, „Warenabfall zu vermeiden“, es arbeite „kontinuierlich“ daran, die Nachfrageprognosen zu verbessern, um die Anzahl an nicht verkauften Artikeln zu minimieren. Für Produkte, die von Kunden zurückgegeben oder nicht verkauft werden, gebe es mehrere Programme, um die Entsorgung von Produkten weiter zu reduzieren.
Ehemalige Amazon-Mitarbeiter berichten jedoch von einem anderen Vorgehen. „Vernichtet wird eigentlich alles, was nicht niet- und nagelfest ist“, sagt Norbert Faller, früherer Betriebsratschef bei Amazon in Koblenz, der „Wirtschaftswoche“. Saisonartikel, aber auch Parfüms und Kosmetik seien an seinem Standort „gerne“ entsorgt worden.
Vernichten ist billiger als verwerten
Vernichtet statt weiterverkauft oder recycelt wird offenbar vor allem aus Kostengründen. So verkauft Amazon nicht nur eigene Produkte, sondern dient auch als Marktplatz für externe Händler, die die komplette Logistik des US-Unternehmens nutzen können. Dazu gehört auch die Entsorgung von zurückgeschickten oder nicht verkauften Produkten. Pro Kubikmeter und Monat kassiere Amazon von den externen Händlern Lagergebühren von 26 Euro, zum Weihnachtsgeschäft 36 Euro, berichtet die „Wirtschaftswoche“. Würden sich Produkte länger als sechs Monate im Lager befinden, müssten 500 Euro pro Kubikmeter gezahlt werden, ab einem Jahr 1000 Euro. Um diese Langzeitgebühren zu sparen, könnten Händler die „Problemprodukte“ per Mausklick entsorgen, pro Einheit würden dafür zehn Cent berechnet. Die Rücksendung koste dagegen 25 Cent.
Kunden schicken Millionen Pakete zurück
Zwar sollen Algorithmen relativ genau voraussagen, wie viel die Kunden bestellen, um nicht zu viel Bestand zu haben – doch offenbar hat auch das ausgefeilte Programm von Amazon seine Grenzen. Viele Kunden bestellen Artikel quasi nur zur Ansicht, die dann oft beschädigt oder mit Gebrauchsspuren zurückgehen.
250 Millionen Pakete werden jedes Jahr zurück an den Absender geschickt, heißt es in einer Studie der Universität Bamberg. Die Zahlen stammen von 2012, seither hat der Online-Handel stark zugenommen – auch, weil er dazu verleite, „erst mal im großen Stil“ zu bestellen, „mit dem Versprechen, alles bequem und kostenlos“ zurückschicken zu können, kritisiert Kirsten Brodde von Greenpeace. Dass die zurückgesandten Waren dann teilweise offensichtlich „direkt im Müll landen“, nennt sie „eine Riesensauerei“. Für neuwertige und gebrauchsfähige Ware fordert die Organisation deshalb ein gesetzliches Verschwendungs- und Vernichtungsverbot.
"Verschwendung wertvoller Ressourcen"
Heftige Kritik gibt es auch von der Bundesregierung. „Eine solche Verschwendung wertvoller Ressourcen ist unverantwortlich“, sagt Gerd Billen, Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, dem Tagesspiegel. Natürlich würden Verbraucher nicht damit rechnen, dass die Produkte, die sie zurücksenden, entsorgt werden würden. „Amazon muss die Vorwürfe schnellstens aufklären und diese Praxis einstellen“, fordert Billen. Der Fall zeige aber auch, dass eine breite Debatte darüber notwendig sei, wie Gebrauchsgüter und Lebensmittel verschwendet würden.
In Frankreich gibt es bereits ein Gesetz, dass der Großhandel unverkaufte Lebensmittel nicht wegwerfen darf, eine Spendenpflicht wird dort nun auch für unverkaufte Kleidung diskutiert. Auch Amazon verweist in einer Stellungnahme auf bereits bestehende Produktspendenprogamme – die aber offenbar weitreichender genutzt werden könnten.
Hunderte Artikel werden laut Recherchen der Magazine allein in einem einzigen Lager an einem einzigen Tag mit der Versandmethode „Destroy“ versehen, dem Befehl zum Zerstören.