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Je nach Schätzung landen in Deutschland jährlich elf bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll.
© Marius Becker/dpa

Initiative "Zu gut für die Tonne": Kreative Lösungen gegen Verschwendung von Lebensmitteln

"Zu gut für die Tonne" heißt die Initiative. Sie zeichnet Ideen aus, die verhindern, dass Essen weggeworfen wird.

Kein Mensch reißt sich um das Brot von gestern. Ralf Dietz weiß das nur zu gut. Seine Bäckerei Dietz in Buxtehude, nicht weit von Hamburg, gibt es schon seit 1900. Er ist im Betrieb aufgewachsen, und jeden Abend war Brot übrig. "Das wurde früher an die Schweine verfüttert", sagt er. Heute ist er Bäckermeister, seine Brötchen und Kuchen bieten seine Mitarbeiter in neun weiteren Filialen an. "Und wir können nicht auf Sparflamme verkaufen", sagt er. Jeden Tag bleiben zehn Prozent des Brotes übrig und kommen zurück. Dann kam Dietz eine Idee, als er in Österreich Urlaub machte und dort eine Destillerie besuchte. "Da hab' ich gesehen, was so alles destilliert wird", sagt er.

Ganz in der Nähe von Buxtehude, in Jork, gibt es ebenfalls eine Destillerie, die gehört Arndt Weßel. Dietz fragte ihn, ob es möglich sei, aus dem alten Brot noch etwas zu machen. Weßel musste nicht lange überlegen: "Brot besteht ja aus Getreide, es ist nur verarbeitet."

Aus altem Brot wird 35-prozentiger Brotbrand

Er gab das Brot in den großen Gärbehälter, dort wurde es sieben Tage vergoren. Weßel brannte die Maische und lagerte das Destillat in Whiskyfässern. Das Getränk, Alkoholgehalt 35 Prozent, nannten sie Brotbrand. "Der Geschmack ähnelt Whisky, der Brotbrand hat aber mehr Röstaromen", sagt Weßel. Eine Tonne Brot haben sie so bereits verarbeitet – und ihre Idee wurde nominiert für den Bundespreis "Zu gut für die Tonne!" des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

Bei der Preisverleihung am vergangenen Mittwoch erinnerte sich Bundesministerin Julia Klöckner an ihre Kindheit in Rheinland-Pfalz: Zu Besuch bei der Oma habe sie mit ihrem Bruder immer darum gestritten, wer das alte, harte Brot essen musste. Und die Oma, Kriegsgeneration, habe gesagt: "Brot ist nicht hart. Kein Brot, das ist hart." Geschätzte elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll, schätzt das Bundeslandwirtschaftsministerium. Die Umweltorganisation WWF spricht gar von 18 Millionen.

Und in jedem erzeugten Lebensmittel stecken enorm viel Ressourcen – Wasser, Energie, Arbeitskraft – die so in der Tonne landen. Klöckner sagte: "Mein Ziel ist, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren." Das ginge allerdings nicht mit einem Gesetz, dafür brauche man gute Ideen. Deswegen zeichnete der Preis zum dritten Mal Unternehmen und bürgerschaftliche Projekte aus, die kreativ versuchen, Lebensmittel zu retten.

"Man kann fast alles fermentieren"

Den Preis in der Kategorie "Landwirtschaft & Produktion" gewann die Gärtnerei Schnelles Grünzeug aus Grammendorf in Mecklenburg-Vorpommern. Olaf Schnelle beliefert eigentlich die Spitzengastronomie. "Und die wollen keine kindskopfgroße Rote Bete", sagt er. Schnelle hat sich schon eine Weile damit beschäftigt, wie man Gemüse retten kann – und sich für die Fermentation mit Milchsäurebakterien entschieden. So könne er die Beete für die nächste Kultur räumen und Überschüsse retten. "Man kann fast alles fermentieren", sagt Schnelle. Besonders gut schmecke zum Beispiel Sellerie mit Quitte. "Das fermentierte Gemüse ist haltbar, vegan, roh und gesünder als zuvor", sagt er.

Mit einem Förderpreis ausgezeichnet: Die Gründer von DingsDums Dumplings aus Kreuzberg.
Mit einem Förderpreis ausgezeichnet: Die Gründer von DingsDums Dumplings aus Kreuzberg.
© Annette Kociemski

Überschüssige Lebensmittel retten, veredeln und haltbar machen: Das ist auch das Anliegen der Gründer von DingsDums Dumplings, die einen Förderpreis erhielten. Ann-Kathrin Wohlrab und die Geschwister Jilianne und Mauritz Schröder wollten etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun. Jetzt bringen sie in ihrem jungen Unternehmen ihre jeweiligen Talente ein. Jilianne kreiert die Dumplings, also Teigtaschen. Sie füllt sie mit Lebensmitteln, die einwandfrei sind, aber im regulären Handel nicht mehr verkauft werden können. "Einmal hatten wir Matjesfilets", sagt Mauritz, der sich um die Geschäfte kümmert.

"Anna und ich waren überzeugt, dass man die höchstens frühstücken kann." Aber Jilianne habe einen Teig mit geschrotetem Schwarzbrot angereichert, und die Teigtaschen mit Matjes, Zwiebeln und saurer Gurke gefüllt und gedämpft. "Dazu gab es einen Klecks Dillcreme, die Leute waren begeistert", sagt Mauritz. Seit Mitte April haben sie ein kleines Restaurant in Kreuzberg. Die Dumplings kann man auch schockfrosten. "Unser Traum ist, sie in Supermärkten anzubieten", sagt Mauritz. Die Leute könnten sie dann gefroren kaufen und zu Hause selber dämpfen.

Erst wenn das ganze Tier verkauft ist, wird geschlachtet

Essen in der Gefriertruhe lagern zu können ist auch essentiell für das Unternehmen Crowdbutching, ebenfalls mit einem Förderpreis geehrt. Gründer Berend te Voortwis ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er störte sich daran, dass Teile von geschlachteten Tieren im Müll landen. "Konventionell wird produziert, bevor nachgefragt wird", sagt er. Crowdbutching dreht das um. Online können Leute Teile einer Kuh oder eines Schweins kaufen – und erst, wenn das ganze Tier verkauft ist, wird es geschlachtet. Das gekühlte, vakuumverpackte Fleisch kommt zu den Käufern nach Hause. "Die Bauern machen mit, weil sie nicht mehr Teil einer Black Box sein wollen", sagt te Voortwis. Normalerweise ziehen sie ein Tier auf, lassen es schlachten und wissen nicht, was weiter damit passiert. Bei Crowdbutching ist jedes Tier nachverfolgbar. So können die Bauern wissen, wohin das Fleisch geht – denn für die Tonne ist es zu gut.

Alexandra Duong

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