Japans setzt weiter auf Atomenergie: Als wäre nichts gewesen
Drei Jahre nach Fukushima ist in Japan von Umdenken keine Spur: Die Regierung hält an der Atomkraft fest - und will heimischen Konzernen beim Export von Know-how helfen.
Als am 11. März 2011 zuerst die Erde bebte, dann riesige Wellen auf Japans Ostküste hereinbrachen und bald darauf 20 000 Menschen starben, lag eine der bis dahin in Japan für besonders sicher gehaltenen Technologien plötzlich in Trümmern. Im Kraftwerk Fukushima Daiichi schmolzen die Kerne von drei Reaktoren, ein weiterer Brüter wurde so stark beschädigt, dass er fast zusammenkrachte. Bei der schwersten Atomkatastrophe seit dem GAU im ukrainischen Tschernobyl 1986 schienen die Atomgegner endgültig recht zu haben: „Diese Technologie ist nicht zu beherrschen“, klang es von vielen Seiten aus aller Welt.
Auch in Japan wurde man kleinlaut. Alle Reaktoren des Landes wurden heruntergefahren, obwohl die Atomenergie bis zum März 2011 noch 30 Prozent des Energiemixes ausgemacht hatte. Die Regierung verkündete kurzerhand sogar einen permanenten Atomausstieg, auch wenn sie bald darauf wegen des erbitterten Widerstands von Industrie, internationaler Politik und Opposition einknickte. Alternative Energiequellen sollten künftig gestärkt werden.
Toshiba: Neues Atomkraftwerk in Bulgarien geplant
Dreieinhalb Jahre später wird einmal mehr deutlich, dass Japans Atombranche nicht so leicht totzukriegen ist. Den letzten Hinweis dafür gab es Anfang des Monats: Westinghouse Electric, der US-Ableger des japanischen Technologiekonzerns Toshiba, stehe kurz vor dem Abschluss eines Deals über den Bau eines Atomkraftwerks in Bulgarien, berichtete das japanische Blatt „Nikkei Shimbun“. Um 500 Milliarden Yen (rund 3,6 Milliarden Euro) soll es gehen, ab 2025 würde der mittelgroße Bau in Betrieb sein. Eine Sprecherin von Toshiba in Tokio sagte dazu bisher nur, man sei „einer Einigung nahe“. Das würde bedeuten: Bulgarien könnte zum wichtigen Energielieferanten für Europa werden, und Japan ein wichtiger Kraftwerksbauer bleiben.
Ein solcher Geschäftsabschluss wäre nicht nur für Toshiba ein großer Erfolg. Für die Branche des ganzen Landes könnte der Deal als wichtiges Signal dienen, dass auch nach der Katastrophe von Fukushima Atomtechnologie aus Japan kommen kann. Toshiba baute zwei der drei Reaktoren im Nordosten Japans, die bis heute vor sich hin schmoren und ein ständiger Gefahrenherd sind. Und Toshiba ist nun eines jener Unternehmen, die darauf pochen, auch unfallfreie Kraftwerke bauen zu können.
Shinzo Abe als Lobbyist der japanischen Atombranche
Ähnliches verspricht Mitsubishi Heavy Industries, das mit der Unterstützung von Japans Regierung zuletzt einen Auftrag in der Türkei bekam, an vier neuen Atomreaktoren am Schwarzen Meer mitzubauen. Dem vorausgegangen waren bilaterale Verhandlungen zwischen Japans Premierminister Shinzo Abe, der anders als seine Vorgängerregierung ein Atombefürworter ist, und dem türkischen Pendant Recep Tayyip Erdogan.
Auch in Indien hat sich Shinzo Abe als oberster Lobbyist der japanischen Atombranche zu erkennen gegeben. Das Land, das auch Atomwaffen besitzt, will daheim sechs Kernreaktoren bauen. Hitachi, Mitsubishi Heavy Industries und Toshiba, die allesamt wichtige Komponenten in Japan herstellen, sollen dabei helfen. Bei anderen Auslandsbesuchen hat Abe ebenfalls für die Atombranche seiner Heimat geworben – unter anderem in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Vietnam, Indonesien und neben Bulgarien auch in weiteren osteuropäischen Ländern.
Wiederbelebung der Atomenergie soll Wachstum fördern
Die Hoffnung der japanischen Regierung stützt sich hierbei zum einen auf zu erwartende Beschäftigungseffekte und Steuereinnahmen im Inland. Die Wiederbelebung der Atomenergie gilt als eines der Elemente von Abes Wachstumspolitik. Andererseits ist Abes Liberaldemokratische Partei wie kaum eine andere mit der Industrie und insbesondere den Atombefürwortern verflochten. In einem Gastbeitrag für die „Japan Times“ schreibt Jeff Kingston, Politikprofessor an der Tokioter Temple Universität, Shinzo Abe hege den Wunsch, bald eine „Nuklearexportsupermacht“ zu werden.
Da wäre es wichtig, die Energiequelle auch im Inland am Leben zu halten. Denn in Japan selbst ist die Beliebtheit der Atomenergie eher niedrig. Die Mehrheit der Bevölkerung ist für den Atomausstieg – wegen des mangelnden Vertrauens in die Sicherheit der Reaktoren und der Angst vor einer weiteren Katastrophe.
Das Problem: Verglichen mit der Zeit vor der Atomkatastrophe sind die Strompreise stark gestiegen. Auch mit diesem Argument hat sich Japans Regierung dazu entschlossen, japanische Atomkraftwerke bald wieder laufen zu lassen. Ein Papier der Regierung von Anfang dieses Jahres bezeichnet die Kernkraft als „wichtige Basisenergie.“ Mehrere Kraftwerksbetreiber haben der Atomregulierungsbehörde Bewerbungen vorgelegt, damit zumindest einige der insgesamt 48 kommerziellen Reaktoren unter den mittlerweile verschärften Sicherheitsbestimmungen wieder ans Netz dürfen.
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