Ausbeutung hoch zwei: Kuriere von Essenslieferdiensten stellen heimlich Schwarzfahrer an
Kuriere von Essenslieferdiensten geben ihre Aufträge an Menschen ohne Arbeitserlaubnis weiter. Bisher wird das Problem weitgehend ignoriert.
Die teils prekären Arbeitsbedingungen bei Essenslieferdiensten sorgen regelmäßig für Diskussionen. Auch hierzulande haben Fahrer von Deliveroo oder Foodora dagegen bereits demonstriert. Sie fordern bessere Bezahlung oder die Übernahme von Reparaturen, denn die oft selbstständig arbeitenden Kuriere müssen ihre wichtigsten Arbeitsmittel – Fahrrad und Smartphone – meist selbst stellen.
In Frankreich führt die vergleichsweise geringe Bezahlung inzwischen dazu, dass Fahrer die Aufträge weiterreichen. Oft sind es Migranten ohne Papiere und Arbeitsgenehmigung, die dann das Essen ausfahren. Zwischen 30 und 50 Prozent der Bezahlung müssen sie nach einem Bericht der „New York Times“ dann an die ursprünglich beauftragten Fahrer wieder abgeben.
„Das ist ein großes Problem“, sagte Alexandre Fitussi, der das Geschäft des Lieferdienstes Glovo in Frankreich leitet. Mindestens fünf Prozent der Lieferungen würden nach seinen Angaben illegal ausgeführt und Menschen ohne Papiere dabei ausgebeutet. Auch bei den Anbietern Uber Eats und Deliveroo gibt es das Problem. In Nantes haben die Behörden inzwischen eine Untersuchung eingeleitet.
Lieferung für zwei Euro
Auch in Deutschland gibt es offenbar eine ähnliche Praxis. „Soweit ich weiß, geschieht es auch hier, aber wahrscheinlich in geringerem Ausmaß“, sagt Christian Schwarz, selbst Fahrer bei Deliveroo und Mitglied von Deliverunion, einem Zusammenschluss von deutschen Fahrern, die sich unter dem Dach der Basisgewerkschaft FAU organisieren.
Auch Schwarz, der eigentlich anders heißt, gibt seine Zugangsdaten an einen Freund aus Georgien weiter. Dieser hat keine eigene Gewerbeanmeldung und darf daher nicht als Fahrer für Deliveroo arbeiten. „Er bekommt 100 Prozent der Einnahmen“, betont Schwarz. „So werden wir beide nur von Deliveroo ausgebeutet.“ Er glaubt, dass die meisten Fälle in Berlin so ähnlich seien und Fahrer auf diese Weise Freunden oder Bekannten ohne nötige Arbeitsgenehmigungen oder andere Papiere aushelfen.
Er habe auch schon beobachtet, wie andere Fahrer Fremden erklärt hätten, was sie zu tun haben. Zudem gebe es im Internet Anzeigen, in denen Leute anbieten, Essen für zwei Euro pro Lieferung auszufahren – Deliveroo zahlt im Schnitt fünf Euro pro Lieferung. In den etwa vier „guten“ Stunden am Tag, wenn die meisten Leute Essen bestellen, könne man so auf einen Stundenlohn von 15 Euro und mehr kommen. Doch dazwischen liege der Satz auch oft bei acht Euro und weniger.
„Das Problem ist, dass Deliveroo diese Praxis nicht verbietet und sie sogar in gewisser Weise erleichtert“, sagt der Student, der neben dem Studium seit einem Jahr Essen ausfährt. So steht in den Verträgen explizit, dass die Weitergabe zulässig sei. „Werden Accounts an Freunde oder Verwandte verliehen, sind die Fahrer vertraglich verpflichtet, sicherzustellen, dass diese ebenfalls eine Arbeitserlaubnis nachweisen können“, erklärt Deliveroo auf Anfrage.
„Wir verfolgen einen Null-Toleranz-Ansatz gegenüber Missbrauch und werden bei Bedarf Maßnahmen ergreifen.“ In Frankreich arbeite man eng mit der Regierung zusammen.
Deliveroo stellt keine Kuriere an
Gleichzeitig sei es wichtig, „die legitime Weitergabe von Aufträgen durch die Fahrer als Merkmal einer echten Selbstständigkeit zu gewährleisten“. Denn das britische Unternehmen beschäftigt auch hierzulande keine Angestellten, alle 1500 Fahrer, mit denen Deliveroo in Deutschland arbeitet, sind selbstständig. Damit spart die Firma Sozialabgaben. Doch ein Kern von selbstständiger Tätigkeit ist es eben auch, Aufträge wiederum von anderen durchführen zu lassen.
Das Liefergeschäft boomt weiterhin: Die Schweizer Großbank UBS prognostiziert global bis 2030 ein jährliches Wachstum von 20 Prozent auf dann 365 Milliarden Dollar. Der Markt ist aber auch noch stark umkämpft. Neben Firmen wie Delivery Hero und der Takeaway-Gruppe (Lieferando) mischt auch der Mobilitätsdienst Uber mit seiner Tochter Uber Eats mit. Auch Amazon ist kürzlich in das Geschäft eingestiegen: Die Amerikaner sicherten sich einen größeren Anteil an Deliveroo. Insgesamt hatten Geldgeber im Mai 575 Millionen Dollar in Deliveroo investiert, Amazon war dabei der größte Einzelinvestor.
Missbrauch gibt es dabei in vielen Ländern. So wurden im Mai in Singapur zwei Fahrer festgenommen, die für Deliveroo und Foodpanda Lieferungen durchführten. Es handelte sich um Malaien, die keine Arbeitsgenehmigung hatten. Das Arbeitsministerium forderte die Lieferdienste auf, ihre Prozesse zu verbessern, um die illegale Durchführung von Aufträgen zu verhindern.
Überprüfung per Gesichtserkennung?
„Wir überlegen nun auch, ob man zur Überprüfung die Gesichtserkennung oder den Fingerabdrucksensor des Smartphones nutzen könnte“, sagt ein Sprecher von Delivery Hero, der Muttergesellschaft von Foodpanda. Allerdings gebe es dabei auch datenschutzrechtliche Bedenken. In Deutschland stellt sich die Frage allerdings nicht, da Delivery Hero sein Europageschäft verkauft hat.
In welchem Umfang Subunternehmer und illegal Beschäftigte hier eingesetzt werden, ist unklar. „Uns liegen speziell zur Beschäftigung von Menschen ohne Arbeitserlaubnis in der Plattformökonomie keine Informationen vor“, sagt ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Doch obwohl das Phänomen auch hier existiert, dürfte die illegale Auftragsweitergabe in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern deutlich geringer sein, da hierzulande weniger selbstständige Fahrer unterwegs sind.
Denn Deliveroo tut sich auf dem deutschen Markt schwer: Vor gut einem Jahr hat sich das Unternehmen aus zehn deutschen Städten zurückgezogen und ist seither nur noch in Berlin, München, Köln, Hamburg und Frankfurt am Main aktiv. Uber Eats scheut trotz wiederkehrender Gerüchte bislang den Schritt nach Deutschland. Und die Marken Foodora sowie Lieferheld sind inzwischen verschwunden, nachdem Lieferando das hiesige Geschäft und die Dienste von Delivery Hero übernommen hat.
„Das freiberufliche Arbeitsmodell ist illegal“
Die Lieferando-Mutter Takeaway hat jedoch einen anderen Ansatz und setzt auf angestellte Fahrer. „Wir möchten nicht über den Preis auf Kosten der Mitarbeiter konkurrieren“, erklärt das Unternehmen und geht sogar noch weiter: „Das freiberufliche Arbeitsmodell ist unserer Meinung nach illegal“, sagt ein Unternehmenssprecher.
„Essenslieferdienste und verwandte Unternehmen, die die ,Gig Economy‘ missbrauchen, um ihre Arbeitskosten zu senken, und sich weigern, ihre Verantwortung zu übernehmen, sollten proaktiv gezwungen werden, sich an geltende und neue Gesetze zu halten.“
Neue Regeln stehen auch auf der politischen Agenda. Als „sozialpolitischer Wilder Westen“ hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Zustände bei manchen Lieferdiensten in der Vergangenheit bezeichnet. „Die tun cool, behandeln ihre Mitarbeiter aber schlecht“, sagte Heil der „Wirtschaftswoche“.
Um das zu ändern, hat das Ministerium eine abteilungsübergreifende Projektgruppe unter Federführung der neu geschaffenen Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft eingerichtet. „Diese wird bis zum Herbst dieses Jahres Handlungsszenarien für gute Arbeit in der Plattformökonomie erarbeiten“, sagte ein Ministeriumssprecher.