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Hilfe beim Anziehen. Aus Expertensicht fehlen in den Pflegeheimen vor allem Assistenzkräfte.
© epd

Folgen von Corona für die Pflege: Alleingelassen und überfordert

Wie sich die Pandemie auf die Pflege auswirkt: Eine Studie zur Belastung in den Heimen und bei ambulanten Diensten zeichnet ein bedrückendes Bild.

Die Corona-Pandemie hat die Pflegebedürftigen und das Personal in Heimen und ambulanten Diensten enorm belastet. Das belegt eine rückblickende Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) für die Zeit zwischen März und Juni vergangenen Jahres, die dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health vorliegt. Und die Brisanz dieser Situation sei, so betonen die Autoren, „auch in der zweiten Welle nicht gemildert“. Für die Untersuchung wurden deutschlandweit knapp 2.000 Mitarbeiter aus Heimen und ambulanten Diensten befragt. Die telefonische Befragung für die Heime fand im Juli, für die ambulanten Dienste im August und September statt.

Konkret berichteten 84 Prozent der befragten Pflegeheim-Mitarbeiter, dass sich während der Pandemie Stimmung, Lebensfreude, geistige Fähigkeiten und Orientierung der Bewohner „merklich verschlechtert“ hätten. 61 Prozent erlebten zudem, dass in ihren Einrichtungen die externe Unterstützung bei der Versorgung nachließ, etwa durch Therapeuten, Kliniken und Fachärzte oder auch Angehörige. Bei den ambulanten Pflegediensten beobachtete dies nur knapp ein Viertel der Befragten – bei direkter Konfrontation mit Corona-Verdachtsfällen waren es dort allerdings auch 37 Prozent.

Probleme mit Kliniken, Gesundheitsämtern und Fachärzten

„Unsere Studie unterstreicht, dass Gesundheit, Lebensqualität und die dringend erforderliche Unterstützung pflegebedürftiger Menschen in ihrem Alltag durch die Corona-Pandemie teilweise erheblich gefährdet sind“, sagt ZQP-Vorstandschef Ralf Suhr. Dies zeigt sich auch daran, dass 37 Prozent der ambulanten Dienste angaben, in mindestens einem Fall neue Versorgungsanfragen abgelehnt zu haben. Im Mittel wurden von diesen Diensten 8,5 Anfragen abgelehnt. Von den Pflegeheimen berichteten 62 Prozent über einen Aufnahmestopp. Zudem gingen die Besuche für die Bewohner dort drastisch zurück.

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Bei der Frage nach Einrichtungen, bei denen es mit der Zusammenarbeit besonders gehapert habe, wurden von ambulanten Pflegekräften am häufigsten Krankenhäuser und Gesundheitsämter genannt. In der stationären Pflege standen Probleme mit Facharztpraxen an erster Stelle. Konkret gaben 24 Prozent der Befragten an, die Versorgung der Pflegebedürftigen durch Fachärzte habe sich verschlechtert. 21 Prozent nannten hier Krankenhäuser und Physiotherapie.

Stark zurückgegangen ist den Angaben zufolge auch die Hilfe durch ehrenamtliche Begleiter. Dies bestätigten mehr als ein Viertel der Befragten – für die Hilfe durch Angehörige sogar 39 Prozent. Letzteres dürfte aber auch auf die besonders harten Besuchsrestriktionen während der ersten Infektionswelle zurückzuführen sein, die man mittlerweile als Fehler wertet: Mehr als vier Fünftel der Befragten berichteten, dass in ihren Einrichtungen zeitweise ein vollständiges Besuchsverbot verhängt worden sei.

Vor allem die psychische Belastung ist gestiegen

Die Studie untermauert außerdem, dass die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals pandemiebedingt weiter zugenommen hat. 40 Prozent der Befragten aus ambulanten Diensten berichteten von mehr körperlicher und 58 Prozent von stärkerer psychischer Belastung. In den Pflegeheimen lagen die entsprechenden Quoten bei 39 beziehungsweise 65 Prozent der Befragten. Grund für die Mehrbelastung seien zusätzliche Aufgaben im Zuge der Pandemie gewesen, heißt es in der Studie.

Zur psychischen Belastung beigetragen haben dürfte der Studie zufolge der sicherheitsrelevante Mangel an Schutz-/Hygienematerial in der ersten Welle. Die Studie zeigt hier einen statistischen Zusammenhang. In der ambulanten Pflege waren die drei Artikel, an denen es zeitweise „erheblich“ mangelte: einfacher Mund-Nasen-Schutz (51 Prozent), höherwertige Masken wie etwa FFP2 (45 Prozent) sowie Hände-Desinfektionsmittel (40 Prozent). In stationären Einrichtungen lagen die entsprechenden Quoten bei 36, 42 und etwa 30 Prozent (Schutzkittel und Handdesinfektionsmittel). Hier hat sich die Situation mittlerweile – auch wenn nach wie vor immer mal wieder von Knappheit berichtet wird – deutlich entspannt.

„Die Lage ist absolut alarmierend“

Allerdings warnen die Studienautoren vor den Folgen der nach wie vor bestehenden Personalknappheit. „Der schon vor der Pandemie teilweise eklatante Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften könnte einen verstärkenden Corona-Effekt erfahren und damit auch die Patientensicherheit weiter destabilisieren“, heißt es in dem Text. Gleichzeitig wünschen sich die Verfasser Lerneffekte. „Es wäre zu hoffen, dass Wissen, Problembewusstsein und Sorgfalt in Hinsicht auf Hygienemaßnahmen in der Pflege durch die Corona-Krise dauerhaft steigen, weil die Bedeutung dieser Themen durch die Pandemie eine erhebliche zusätzliche Wahrnehmung erlangt hat.“

Die Arbeitssituation in der Langzeitpflege sei schon vor der Pandemie vielerorts „äußerst angespannt“ gewesen, betonte Suhr. Es sei „sehr bemerkenswert“, was vor diesem Hintergrund in vielen Einrichtungen und Diensten nach wie vor geleistet werde. Dennoch sei die Lage „derzeit absolut alarmierend“. Hoffnung auf etwas mehr Entspannung mache die angelaufene Impfkampagne. Gleichzeitig sei es „sehr wichtig, dass auch das Gesundheitspersonal von der Möglichkeit einer raschen Impfung Gebrauch macht“.

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