Jens Spahn plant großen Wurf: Das sind die Eckpunkte der Pflegereform
Die Pflegereform 2021 soll üppiger ausfallen als erwartet. Zur Kasse bitten will Jens Spahn dafür den Bundesfinanzminister, die Länder - und Kinderlose.
Die Pflegereform im kommenden Jahr soll üppiger ausfallen als erwartet. Das ist den Eckpunkten von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu entnehmen, die dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health vorliegen. So plant der Minister nicht nur, die Eigenbeteiligung für stationäre Pflege auf 700 Euro monatlich zu deckeln. Er möchte die Heimbewohner mit Hilfe der Länder auch bei ihrem Anteil an den Investitionskosten entlasten.
Zudem beabsichtigt Spahn, die staatliche Zulage für private Pflegevorsorge von fünf auf 15 Euro im Monat zu erhöhen. Er will, dass ambulante Sachleistungen und Pflegegeld künftig verlässlich mit der Inflationsrate steigen.
Pflegekräfte sollen nur noch nach Tarif bezahlt werden. Um all das und noch mehr finanziert zu bekommen, ist – wie vielfach gefordert – ein pauschaler Bundeszuschuss an die Pflegeversicherung vorgesehen. Und um Reserven für die alternde Gesellschaft zu bilden, soll auch der Beitragszuschlag für Kinderlose steigen – um 0,1 Beitragspunkte.
„Fast 25 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung in Deutschland ist es an der Zeit, die grundlegenden Strukturen zu überdenken und zukunftsfest zu machen“, heißt es zur Begründung für die auf fünf Seiten ausgebreiteten Maßnahmen. Man brauche, schon demografisch bedingt, mehr Menschen, um Pflegebedürftige zu betreuen. Die Coronakrise habe nochmals deutlich gemacht, wie wichtig eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege sei. Für pflegende Angehörige brauche es, damit sie bei der Stange bleiben, höhere Leistungsbeträge ebenso wie flexiblere Bezugsmöglichkeiten. Und die Pflegebedürftigen selber dürften bei alledem nicht durch steigende Eigenanteile überfordert werden.
100 Euro für jeden Pflegebedürftigen von den Ländern
Um letzteres zu ermöglichen, will Spahn jetzt – anders als bei der Krankenhausfinanzierung – die Bundesländer „verbindlich“ ins Boot nehmen. Sie sollen künftig für jeden vollstationär versorgten Pflegebedürftigen einen monatlichen Investitionskosten-Zuschuss von 100 Euro bezahlen. Das sei „auch deswegen angemessen, weil die Bundesländer bei der Sozialhilfe durch die Deckelung der Eigenanteile um rund eine Milliarde Euro entlastet werden“. Gemäß Sozialgesetzbuch XI, Paragraph 9, seien sie für die Förderung der Investitionskosten ja ohnehin zuständig.
Für die beruflich Pflegenden ist nach Spahns Plänen dreierlei vorgesehen: „bessere Bezahlung, mehr Stellen und mehr Verantwortung“. Tarifentlohnung soll künftig für ambulante wie stationäre Einrichtungen „Voraussetzung für die Zulassung zur Versorgung werden“, heißt es in dem Konzept. Gut ausgebildetes Fachpersonal solle – etwa bei Pflegehilfsmitteln – „eigenständige Verordnungsbefugnisse erhalten“. Und man werde auch „ein Modellprogramm für den Einsatz der Telepflege gesetzlich verankern“. Dass es für die Heime ein Sonderprogramm zur Finanzierung von bis zu 20.000 zusätzlichen Pflegehilfskraft-Stellen geben soll, ist bereits aus dem Entwurf für ein Versorgungsverbesserungsgesetz bekannt.
Fünf Prozent mehr als Ausgleich für Kostensteigerungen
Daneben gilt es für den Minister, die ungleich kostengünstigere Pflege in den eigenen vier Wänden zu stärken und hier auch gestiegene Kosten der vergangenen Jahre auszugleichen. Dafür sollen ambulante Pflegesachleistung, Pflegegeld und Mittel für die Tagespflege zum 1. Juli 2021 erstmal in einem Kraftakt um fünf Prozent erhöht werden. Für die Zeit ab 2023 verspricht das Papier dann jährliche Steigerungen entsprechend der Inflationsrate. Auch für Pflegehilfsmittel zum Verbrauch ist etwas mehr Geld vorgesehen. Die Pauschale dafür soll von 40 auf 60 Euro monatlich steigen.
Daneben plant Spahn, die Leistungen für zuhause Gepflegte flexibler kombinierbar zu machen. Aus dem Wirrwarr diverser Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege etwa soll nun ein allgemeines „Entlastungsbudget“ mit einem Gesamtjahresbetrag von jährlich 3.300 Euro werden. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen frei entscheiden können, ob sie lieber Leistungskomplexe oder Zeitkontingente in Anspruch nehmen. Und nach Krankenhausaufenthalten sollen sich Pflegebedürftige zur Entlastung ihrer Angehörigen auch regelhaft in Kurzzeitpflege erholen können. Dafür werde eine neue Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geben, verspricht das Papier. Titel: „Übergangspflege nach Krankenhausbehandlung“.
Im Gegenzug will der Minister die GKV von den Kosten für geriatrische Reha entlasten. Für über 70-Jährige sollen solche Maßnahmen künftig zur Hälfte von der sozialen Pflegeversicherung getragen werden. „Damit setzen wir wesentliche Impulse für die Krankenkassen, ihren älteren Versicherten mehr Rehabilitationsmaßnahmen anzubieten“, heißt es in Spahns Eckpunkten. Geriatrische Rehabilitation könne helfen, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu verzögern. Insofern nütze das nicht nur den Betroffenen, es trage auch zur Nachhaltigkeit der Pflegeversicherung bei.
Bundeszuschuss aus Steuern soll helfen
Bleibt die Finanzierung. Eine Kostenschätzung für die Reform findet sich nicht in dem fünfseitigen Konzept. Allerdings gibt es Ideen zur Finanzierung. So soll der Bund „wie für Zeiten der Kindererziehung“ die Beitragszahlungen für pflegende Angehörige übernehmen. Und für weitere gesamtgesellschaftliche Aufgaben – genannt werden dezidiert „die Vermeidung von Überforderung durch zu hohe Eigenanteile, die beitragsfreie Versicherung von Kindern und nicht erwerbstätigen Partnern sowie das Pflegeunterstützungsgeld“ – erhalte die Pflegeversicherung künftig einen pauschalen Bundeszuschuss.
Darüber hinaus gibt es die Absichtsbekundung, „Nachhaltigkeit “und „Demografiefestigkeit“ zu fördern. Konkret ist dafür dreierlei vorgesehen. Eine deutliche Verlängerung der Ansparphase beim Pflegevorsorgefonds „durch weitere Einzahlungen auch nach dem beizubehaltenden Auszahlungsbeginns ab dem Jahr 2035 bis zum Jahr 2050“. Eine Erhöhung des im Jahr 2005 eingeführten Beitragszuschlags für Kinderlose um 0,1 Beitragssatzpunkte, gezielt für diesen Fonds.
Und eine Verdreifachung der unter Spahns Vorvorgänger Daniel Bahr erfundenen Zulage für private Pflegevorsorge von derzeit fünf auf bis zu 15 Euro im Monat. Ergänzend sollen zudem „neue Vorsorgeprodukte gefördert werden, die auf die Deckung der verbleibenden Eigenanteile insbesondere bei stationärer Pflege zielen“, heißt es in Spahns Papier. Und auch die Möglichkeiten zur Kooperation von Kranken- und Pflegekassen mit Angeboten privater Kranken- und Pflegezusatzversicherungen würden ausgebaut.