Discounter: Sauber werden: Die Billigketten wandeln sich
Kik, Schlecker und Co. wollen raus aus der Schmuddelecke. Die Investition ins Image lohnt sich, sagen Forscher.
Manches ist weit weg, wie die Näherinnen in Bangladesch, die rund um die Uhr und schlecht bezahlt schuften, in baufälligen Fabriken. Manches scheint dagegen ganz nah, wie die Kassiererinnen im Supermarkt um die Ecke, die bespitzelt und schikaniert werden, nicht zur Toilette gehen dürfen, zu wenig verdienen.
In die Skandale um schlechte Arbeitsbedingungen und miese Löhne sind besonders häufig Discounter verwickelt, die Drogeriekette Schlecker und der Textilhändler Kik, die Lebensmittelketten Lidl und Netto gerieten in der Vergangenheit immer wieder in die Schlagzeilen.
Bei Schlecker aber soll nun alles anders werden. Erst im vergangenen Jahr war die Drogeriemarktkette unter Druck geraten, weil sie versucht hatte, in großem Stil fest angestellte Mitarbeiter durch Leiharbeiter zu ersetzen. Das von Anton Schlecker gegründete Unternehmen ist berüchtigt für den harten Umgang mit seinen Beschäftigten.
Nun haben die Kinder des Patriarchen, Lars und Meike Schlecker, das Ruder übernommen (siehe Interview). Der Konzern, der mit beliebten Ketten wie Rossmann und dm konkurrieren muss, will ein guter Arbeitgeber werden. Dafür haben Lars und Meike Schlecker einen Kodex geschaffen. Die neuen Führungsgrundsätze enthalten etwa die Anweisung, Mitarbeiter nicht schon bei einem Zuspätkommen abzumahnen und Betriebsräte bei Konflikten frühzeitig einzubinden. Die Gewerkschaft Verdi, die in die Erstellung der Regeln mit eingebunden wurde, zeigte sich zufrieden. „Das ist das erste Mal, dass ich bei Schlecker nachvollziehbare Managementmethoden erkenne“, sagte der zuständige Verdi-HandelssekretärAchim Neumann.
Auch die Textilkette Kik poliert schon längere Zeit an ihrem Image. Das Unternehmen berief den Manager Michael Arretz in die Geschäftsführung – zur Qualitätssicherung und fürs Nachhaltigkeitsmanagement, führte einen Mindestlohn von 7,50 Euro ein, kündigte an, die Lieferanten in Bangladesch stärker unabhängig überprüfen zu lassen. Ab Herbst soll eine neue Kampagne, bei der die eigenen Mitarbeiter von den Plakaten lächeln, zeigen, dass es Spaß macht, bei Kik zu arbeiten. Auch der Umbau einiger Filialen ist geplant. Damit hat Schlecker schon begonnen und so nach eigenen Angaben in den neuen Geschäften den Umsatz um bis zu 30 Prozent gesteigert.
Wie wichtig die Arbeit am Image für Unternehmen ist, zeigen etliche Studien. Die Marktforscher der GfK ermittelten, dass Schlecker nach der breiten Kritik an der Ausdehnung der Leiharbeit in den ersten vier Monaten des vergangenen Jahres rund 16 Prozent an Umsatz einbüßte. Knapp die Hälfte davon sicherten sich Konkurrenten wie dm und Rossmann.
„Die Umsatzeinbußen durch Boykotte treffen die Unternehmen, auch wenn sie kurzfristig sind“, sagt Bettina Willmann, Psychologin und Bereichsleiterin am Institut für Handelsforschung (IfH) in Köln. Eine Umfrage des Instituts unter Konsumenten zeigt, dass mehr als die Hälfte schon Unternehmen boykottiert haben, darunter 27 Prozent Kik, 24 Prozent Schlecker und 12 Prozent Lidl.
Zwar sind die meisten Boykotte nicht von Dauer, sagt der Psychologe und Konsumforscher Hans-Georg Häusel. „Konsumenten suchen zunächst nach dem größten Nutzen, der soziale Aspekt ist Nebensache“, sagt er. Nur wenige würden langfristig große Umwege machen, um ein Unternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen aufzusuchen. Dennoch kehren nach Skandalen nicht alle Kunden zurück. „Rund zehn Prozent bleiben bei ihrem Boykott“, sagt Häusel.
Ein schlechter Ruf kann sich zudem lange halten. Die Beratungsgesellschaft Nymphenburg ermittelte, dass die Konsumenten kaum Vertrauen zu den Marken Kik, Schlecker und Lidl haben – und dass, obwohl etwa der Bespitzelungsskandal bei Lidl mehr als drei Jahre zurückliegt.
Die Discounter müssen ihr Image auch aufbessern, weil heute viele Kunden stärker nach Einkaufserlebnissen und besonderen Produkten suchen, meint Häusel. „Der Konsument ist nie zufrieden.“
Zudem, so glaubt Psychologin Willmann, gebe es heute unter den Konsumenten eine stillschweigende Erwartung, dass Firmen sich anständig und fair verhalten. „Der Druck der Öffentlichkeit und der Wunsch in der Gesellschaft nach Nachhaltigkeit sind größer geworden“, sagt sie. Nachhaltigkeit sei heute ein Wettbewerbsfaktor. „Wenn die Kunden vor zwei Geschäften stehen, die den gleichen Nutzen und Preis bieten, entscheiden sie sich für die Marke mit der größeren Strahlkraft“, meint auch Häusel.
Kann man vom „mündigen“ Konsumenten denn verlangen, dass er nur ethisch und ökologisch verantwortungsbewusst einkauft? Ja, meint SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier: Erdbeeren im Winter und T-Shirts für fünf Euro seien nicht „überlebensnotwendig“. Die Politik, sagte er kürzlich auf einem Kongress in Berlin, dürfe auf die Unterstützung „sensibler gewordener Verbraucher“ vertrauen. Im Laden finde die „Abstimmung mit dem Einkaufskorb“ statt.
Allerdings macht es einen Unterschied, ob das Fehlverhalten der Unternehmen eine direkte Bedrohung für den Kunden darstellt. „Am schlimmsten ist der Imageschaden, wenn Kunden direkt betroffen sind, wie beim Fleischskandal bei Real“, sagt Häusel. 2005 war aufgeflogen, dass Mitarbeiter der Supermarktkette Fleisch nach Ablauf der Haltbarkeitsfrist umetikettiert hatten. Die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter fielen weniger ins Gewicht, sagt Häusel. „Je weiter weg das Problem ist, desto schneller wird es vergessen und die Kunden kehren zurück.“ Zudem können es sich nicht alle Konsumenten leisten, Billiganbieter zu boykottieren. „Bei den Ärmeren steht der Preis an erster Stelle“, sagt Häusel. Verbraucherschützer und Wissenschaftler wie der Bremer Politikprofessor Frank Nullmeier warnen vor zu hohen Erwartungen an die Konsumenten: „Wenn man jeden Kaufakt moralisiert und zu einer politischen Entscheidung macht, ist das eine Überforderung der Verbraucher.“
Mitarbeit: Heike Jahberg
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