Auto1 geht an die Börse: Acht Milliarden für einen Gebrauchtwagenhandel
Die Berliner Auto1-Gruppe handelt in großem Maßstab mit Gebrauchtwagen. Vor dem Börsengang sind die Erwartungen riesig.
Sieben New Yorker Telefonbücher könne man füllen, wenn man das Angebot von Amazon.com ausdrucke, so heißt es stolz in einer Pressemitteilung vom Oktober 1995. Heute erscheint es nostalgisch, sich Amazon als Buchhändler vorzustellen. Digitale Shops haben mittlerweile selbst Marktsegmente erobert, die früher als versanduntauglich galten. Eines davon: Autos.
Am Donnerstag geht mit der Auto1-Gruppe ein Unternehmen an die Börse, das große Erwartungen der Anleger*innen weckt. Mit 7,9 Milliarden Euro wird das Berliner Startup bewertet. „Der Börsengang ist der Startschuss für die nächste Etappe in unserer Wachstumsgeschichte“, sagte Mitgründer und Vorstandschef Christian Bertermann am Dienstag. Die Aktien wurden zu 38 Euro zugeteilt, am oberen Ende der Preisspanne von 32 bis 38 Euro. Der Börsengang ist 1,8 Milliarden Euro schwer, davon fließt eine Milliarde direkt an die Gruppe.
Der Umsatz ging zurück
Man kann sich das Geschäftsmodell ein wenig vorstellen wie Ebay für Autos: 120.000 KFZ wurden im dritten Quartal 2020 über die verschiedenen Kanäle der Auto1-Gruppe verkauft. Der Umsatz liegt mit 769 Millionen Euro zwar 17 Prozent unter dem des Vorjahreszeitraums, aber das hat nach Firmenangaben auch mit der Coronakrise zu tun.
Der Markt für gebrauchte Autos ist in Deutschland etwa doppelt so groß wie der für Neuwagen. Viele davon werden von kleinen Händlern oder unter Privatleuten verkauft. Auto1 beziffert den Markt auf 700 Milliarden Euro, davon werde aber nur ein Prozent online verkauft. Die Berliner Firma, bis zum Börsengang das wertvollste Startup Europas, will in Zukunft mehr gebrauchte Autos direkt an die Endkund*innen bringen. Dafür soll das separate Handelsportal Autohero ausgebaut werden.
Ein Abo für die Lenkradheizung
Auch die traditionsreichen Autobauer setzen auf digitalen Vertrieb. BMW kündigte Mitte Januar an, bis in vier Jahren eins von vier Fahrzeugen digital verkaufen zu wollen. Das Auto werde vor die Haustür geliefert. Dabei sollen auch die Autohäuser helfen. BMW hat aber noch mehr vor: ein Abomodell für Extras. Die Lenkradheizung wird also verbaut, nutzen können sie aber nur diejenigen, die sie digital gegen Geld freischalten lassen. Ein Geschäft, mit dem sich gute Rendite machen lässt.
Überhaupt scheinen die Vorbehalte gegen Online-Shopping immer weiter zurückzugehen. Das gilt sogar für Sperrgut: 2020 verbrachten die meisten Menschen mehr Zeit in der eigenen Wohnung als in den Jahren davor. Offenbar kauften sie deshalb auch mehr Möbel. Unter den großen Gewinnern durch den Wechsel zu Onlineangeboten ist auch die deutsche Versandmarke Otto. Die Zahl aktiver Kund*innen auf der Plattform otto.de stieg um knapp 30 Prozent auf 9,4 Millionen. Besonders gefragt seien Möbel- und Einrichtungsgegenstände gewesen, teilte das Unternehmen mit. Besonders gefragt seien 2020 Artikel zur Ausstattung des Homeoffice, vor allem Schreibtische, Bürostühle und Regale gewesen. „Auch bei Sofas und Betten ist die Nachfrage deutlich gestiegen, genauso wie bei Matratzen, Teppichen, Bettwaren und Dekorationsartikeln“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel.
Auch Brillen und Düfte gehen digital über die Theke
Selbst Sehhilfen kaufen Menschen zunehmend online. Der Brillenhändler Misterspex schreibt auf Nachfrage: „Wir sind auch 2020 wieder zweistellig gewachsen. Im Vorort-Geschäft gab es aufgrund der Lockdowns zwangsläufig einen Shift, überkompensiert wurde das aber im Online-Handel.“ Neben dem Onlineshop hatte das Unternehmen zuletzt immer mehr Filialen eröffnet. 2020 führte die Firma mit sitz an der Greifswalder Straße in Berlin sogar einen Online-Sehtest ein.
Ein weiteres Produkt, das früher kaum jemand ohne Ausprobieren gekauft hätte: Düfte. Das zur Pro7-Sat1-Gruppe gehörende Unternehmen Flaconi freute sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum über 45 Prozent mehr Umsatz im dritten Quartal 2020. „Das Interesse der Kunden lag während des ersten Lockdowns stark auf Suchbegriffen, die sonst eine eher untergeordnete Rolle spielen: Beispielsweise Handgel, Flüssigseife und Selbstbräuner waren unter den Top 10 zu finden“, sagte Flaconi-Manager Christoph Honnefelder dem Tagesspiegel.
Die Auto1-Gruppe ist ein besonders spektakulärer Börsengang. Aber auch andere Online-Händler erhalten sehr hohe Bewertungen. Das Münchner Unternehmen Mytheresa sorgte zuletzt an der Wall Street für Aufsehen. Zwischenzeitlich wurde der in mehreren Ländern verfügbare Onlineshop für teure Bekleidungsmarken mit drei Milliarden US-Dollar bewertet.
Onlineangebote sind allerdings nicht immer langlebig. Die erste Pressemitteilung von Amazon erwähnt auch stolz, dass ihr Angebot auf einer Empfehlungsliste des Dienstes Netscape auftauche. Netscape stellte vor 13 Jahren seinen Dienst ein.
Jonas Bickelmann
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