Siemens: Abbau Ost befürchtet
Wieder einmal bereitet Konzernchef Joe Kaeser einen Stellenabbau vor und provoziert Betriebsräte und die IG Metall – vor allem auch in Berlin.
Der Vorstandsvorsitzende des Weltkonzerns Siemens gehört selbstverständlich zur Elite des Landes. Deshalb waren die Worte Joe Kaesers kurz nach der Bundestagswahl auch wohlwollend aufgenommen worden, weil Selbstkritik in diesen Kreisen eher selten ist. Kaeser hatte den Wahlerfolg der AfD als eine „Niederlage der Eliten“ bewertet. „Es muss die Aufgabe von uns allen sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen Perspektive zu geben“, hatte der Spitzenmanager gesagt. Für Wohlstand, Zusammenhalt „und für Frieden und Freiheit ist genau das letztlich entscheidend“.
IG Metall spricht von Eliteversagen
Einen so hohen Ton hört man selten in der Wirtschaft – und deshalb erinnert sich jetzt auch die IG Metall daran. Nur vier Wochen nach den Äußerungen des Siemens-Chefs erlebe man nun genau das Gegenteil. Den Beschäftigten werde durch lancierte Pläne zum Stellenabbau die Perspektive genommen. „Es wird getäuscht, gemauert und ausgegrenzt“, schimpfte der ostdeutsche IG-Metall-Chef Olivier Höbel am Freitag Richtung Kaeser. „Der geplante Kahlschlag würde vor allem Standorte und Arbeitsplätze im Osten treffen, und das wäre fatal für die Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und die weitere Entwicklung der Zivilgesellschaft.“ Höbels forscher Appell an Kaeser: „Sie sind Teil der gesellschaftlichen Elite, also verhalten Sie sich auch entsprechend verantwortlich gegenüber Ihren Arbeitnehmern.“
Angeblich elf Standorte in Gefahr
Eigentlich pflegen die Betriebsparteien bei Siemens und die IG Metall einen behutsamen Umgang. Derzeit jedoch sind die Arbeitnehmervertreter auf der Palme, weil der Konzern in zwei der größten Sparten erheblich Arbeitsplätze abbauen und womöglich sogar ganze Standorte schließen will. Elf der 23 Standorte aus den Bereichen Energie und Automatisierung „sollen geschlossen oder verkauft werden, wobei es insbesondere die ostdeutschen Standorte besonders hart treffen könnte“, mutmaßt die IG Metall.
Der Konzern dementiert: Alles ist offen
Die „FAZ“ will aus dem Unternehmen erfahren haben, dass Kaeser die Werke in Görlitz (800 Mitarbeiter), Erfurt (500), Leipzig (270) und Offenbach (600) komplett schließen will. „Fehlende Aufträge, Überkapazitäten, harter Wettbewerb und erheblicher Preisdruck zwingen nicht nur zum Stellenabbau, sondern auch zur Schließung von Werken“, schreibt die Zeitung und bezieht sich damit offenkundig auf Angaben und Erklärungen aus dem Konzern. Das wiederum dementiert Siemens: „Es gibt keine Beschlusslage, sondern nur Planungsstände, die sich ständig verändern.“ Und weil dem so sei, habe das Management die Arbeitnehmervertreter -in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses am vergangenen Donnerstag auch nicht konkret über Abbaupläne informieren können. „Wir haben Klartext gefordert, das Ergebnis der Sitzung ist jedoch ein Armutszeugnis der verantwortlichen Manager", heißt es in einer Erklärung der Betriebsräte. Die Firmenseite habe konkrete Aussagen verweigert, „das ist auch ein Schlag ins Gesicht der Mitarbeiter“. Fazit der geplatzten Veranstaltung, zu der ein paar Dutzend Betriebsräte aus dem ganzen Bundesgebiet nach München gereist waren: „Immer ist der Markt schuld, nie der Vorstand.“
Das Berliner Dynamowerk ist 111 Jahre alt
Zum wiederholten Male in Gefahr ist das 111 Jahre alte Dynamowerk in Berlin-Siemensstadt an der Nonnendammallee. 850 Beschäftigte bauen dort Großmaschinen, unter anderem Antriebe für Schiffe oder Walzwerkmotoren für Stahlwerke. Ein stark zyklisches Geschäft, und seit geraumer Zeit ist das Werk nicht gut ausgelastet und schreibt rote Zahlen, wie es im Unternehmen heißt. Der Betriebsrat führt das indes auch auf die Strategie zurück, immer mehr Komponenten nicht im Werk selbst zu produzieren, sondern bei Lieferanten zu kaufen. Um Abläufe und Auslastung zu verbessern, habe man Vorschläge gemacht, sagt der Betriebsratsvorsitzende Predrag Savic. Ohne Reaktion vom Arbeitgeber. Nun verlören die Beschäftigten, nach diversen Restrukturierungen und Sozialplänen, langsam die Geduld. „So fährt man die Belegschaft sauer“, beschreibt Savic die Folgen der Firmenpolitik.
Am 9. November wird Bilanz gezogen
Am 9. November, wenn Vorstandschef Kaeser in München die Bilanz des vergangenen Geschäftsjahres vorstellt, das bei Siemens von Oktober bis September läuft, will Savic mit seinen Kollegen aus den anderen Berliner Werken eine Bilanz aus Sicht der Arbeitnehmer ziehen. Die fällt für Kaeser, der nach Einschätzung des Betriebsrats „weit weg von der Belegschaft ist“, nicht gut aus. Offenkundig hat am Donnerstag, als erstmalig in der Siemens-Geschichte eine Sitzung des Wirtschaftsausschusses abgebrochen wurde, ein heißer Herbst begonnen.
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