Nach der Bundestagswahl: VW-Chef Müller ist schockiert über AfD-Erfolg
Die Börse reagiert gelassen, aber das Ergebnis der AfD macht Firmenbossen und Verbänden zu schaffen. Siemens-Chef Kaeser: "Niederlage der Eliten".
Am Tag nach der Wahl herrschte Ruhe an den Börsen, aber Betroffenheit in einigen Chefetagen. Der Wahlerfolg der Alternative für Deutschland (AfD) sei „schockierend“, sagte Volkswagen-Chef Matthias Müller. „Das zweistellige Ergebnis für eine solche Protestpartei ist aus meiner Sicht schockierend. Es wird unser Land verändern und die demokratische Stabilität auf die Probe stellen“, warnte Müller am Montag in Wolfsburg. Deutschland sei in den vergangenen Jahrzehnten politisch und wirtschaftlich erfolgreich gewesen, weil es ein weltoffenes, tolerantes und international orientiertes Land sei.
Siemens-Chef Joe Kaeser: Eliten haben versagt
Auch Siemens-Chef Joe Kaeser, ein Anhänger und Unterstützer von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), reagierte am Montag entsetzt und selbstkritisch. Der „fulminante“ Einzug der AfD ins Parlament sei „auch eine Niederlage der Eliten in Deutschland“, betonte Kaeser. „Wir haben ihre Wähler als Menschen am Rand der Gesellschaft abgetan.“ Für den Wohlstand im Land und für den Zusammenhalt der Gesellschaft sei es aber entscheidend, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlten, einzubinden und ihnen Perspektiven zu geben, mahnte der Konzernchef.
In der Ablehnung der AfD sind sich alle einig
Obwohl sich die AfD in ihrem Parteiprogramm einen eher wirtschaftsliberalen Anstrich gibt, Steuern senken und den Staat verschlanken will, gehen Unternehmen, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften auf deutliche Distanz zu den Rechtspopulisten. IG Metall-Chef Jörg Hofmann führte das zweistellige Wahlergebnis der Partei auf eine „Verunsicherung“ der Menschen zurück. Den Parteien sei es bisher nicht gelungen, überzeugende Konzepte zur Digitalisierung der Arbeitswelt, zu gerechten Bildungschancen, sicheren Renten und einer wirksamen Mobilitäts- und Energiewende zu entwickeln, meint der Gewerkschafter, „auch das hat die AfD gestärkt.“
In der Ablehnung der AfD sind sich Arbeitgeber- wie Arbeitnehmervertreter einig. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte am Montag alle demokratischen Parteien im Parlament auf, sich für eine freiheitliche, offene Gesellschaft einzusetzen und so auch den wirtschaftlichen Erfolg des Landes zu sichern. Auch die Familienunternehmen in Deutschland sehen die AfD kritisch. „Die AfD ist eine Partei, die auf Protektionismus setzt und damit konträr zu den Prinzipien von Familienunternehmern steht“, sagte Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée dem Tagesspiegel.
Überrascht hat ihn der Erfolg der AfD aber nicht. „Große Koalitionen machen die politischen Ränder stark. So verwundert es nicht, dass es die AfD in den Bundestag geschafft hat“, betont der Verbandschef, der 6000 familiengeführte Unternehmen vertritt. Als eine von mehreren Oppositionsparteien werde die Partei aber „wenig Einfluss auf die Wirtschaftspolitik Deutschlands haben“, glaubt von Eben-Worlée.
Die Börse reagiert gelassen, der Euro gibt nach
Der Deutsche Aktienindex reagierte am Montag gelassen auf den Wahlausgang. Anfängliche Verluste konnte der wichtigste deutsche Börsenindex bereits am Morgen wettmachen und drehte im Laufe des Tages ins Plus. Dagegen verlor der Euro gegenüber dem Dollar an Boden. Dahinter steckt die Sorge, dass die Euro-kritische FDP in einer möglichen „Jamaika“-Koalition mit der Union und den Grünen eine stärkere finanzpolitische Integration in der Euro-Zone, wie sie etwa Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron verfolgt, ablehnt. Die Energieindustrie fürchtet dagegen vor allem die Grünen, die den Ausstieg aus der Braunkohle und der Atomkraft forcieren wollen. Eine Befürchtung, die Anleger teilen: Die Aktien der Energieversorger gehörten am Montag zu den Verlierern an der Börse, allen voran Papiere von RWE.
Bloß keine Hängepartie, sagen die Verbände
Neben der AfD sorgt sich die Wirtschaft vor allem um das Tempo. Eine schnelle Regierungsbildung und mehr Investitionen in Zukunftsbereiche stehen auf dem Wunschzettel der Wirtschaftsverbände. Gespräche über eine „Jamaika“-Koalition dürften nicht zu einer Hängepartie werden, forderten das Handwerk und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). „Der Wahlausgang macht die Regierungsbildung nicht leicht“, räumte DIHK-Präsident Eric Schweitzer ein. „Wir brauchen in diesen Tagen eine stabile Regierung.“ Schweitzer regte mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur an, nötig sei ein „Koalitionsvertrag für Investitionen“. Eine Forderung, die auch der Maschinenbauverband VDMA teilt. „Wir brauchen ein klares Signal für einen digitalen Aufbruch, für Bildung und Forschung, eine innovationsfreundliche Steuerpolitik und vor allem Vorfahrt für Flexibilität und gute Ideen“, erklärte Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.