Co-Living: 620 Euro für ein Bett in der Exklusiv-WG
Erst Co-Working, jetzt Co-Living – zu Besuch bei dem neuen Wohnmodell für junge Leute der Gründer- und Tech-Szene.
An einem typischen Wochentag steht Adam Ambrozy um 7 Uhr auf und meditiert im Zimmer einer mit Stuck verzierten Altbauwohnung. An der Wand hängen Notizzettel, auf denen „What problems do people have?“ oder „Design first version“ steht. Um 8:30 Uhr geht Adam in sein Büro, zwei Stockwerke darunter.
Adam stammt aus Polen und lebt seit April in Berlin in einem Co-Living-Space des Unternehmens Happy Pigeons. Co-Living heißt gemeinsam leben und arbeiten unter einem Dach. Anders als beim Co-Working teilen sich die Bewohner nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch eine Wohnung, manchmal auch ein Schlafzimmer. Hinzu kommen Yoga, Fitness oder gemeinschaftliches Ausgehen. Es gibt mehrere Anbieter für Co-Living in Berlin. Der größte ist rent24 mit inzwischen mehr als 100 Zimmern. Zur Ausstattung des Hauses gehören Büros, Kicker, ein Kino und und gegen Zusatzgebühr auch Beratungen durch Experten – etwa ein Crashkurs zur Gründung einer Kapitalgesellschaft.
WG Casting für einen Platz unter jungen Talenten
Bei Happy Pigeons ist alles eine Nummer kleiner. Die Berliner Kai und Marc Drwecki haben im April 2017 mit einer Altbauwohnung im Prenzlauer Berg angefangen, im Folgejahr kamen drei Wohnung hinzu, zwei davon in Charlottenburg. Insgesamt zehn Leute leben und arbeiten hier zusammen. Externe Mitglieder nutzen zusätzlich nur das Co-Working-Angebot. Der Platz ist begrenzt. Anders als bei rent24 ist eine Buchung nicht einfach per Internet möglich: Die Gründer casten Bewerber – Schufa oder Kaution brauchen sie nicht. Zum „relativ langen Bewerbungsprozess“ gehören ein Interview mit den Gründern und ein Gespräch mit einem normalen „Member“. Erst dann entscheiden sie, wer „der richtige Fit ist“, wie Kai Drwecki sagt – und einen Mietvertrag bekommt. Die Mindestmietdauer liegt bei drei Monaten, im Schnitt bleiben die Kunden sechs Monate. Ein Durchschnittszimmer in der Exklusiv-WG kostet 620 Euro im Monat, ein Arbeitsplatz im Kreise junger Talente aus allen möglichen Ländern inklusive.
Gründer fühlen sich wohl
Co-Living erinnert ein wenig an Zweck-WGs. Nur dass ein Rundum-Paket angeboten wird – von der Reinigung der Wohnungen über das Sportprogramm bis zur Abendgestaltung. Für Menschen, die von Ort zu Ort reisen, sofort ihre Arbeit aufnehmen wollen und sich trotzdem Gemeinschaft wünschen, „ist das Konzept ideal“, sagt Vermieter Marc Drwecki.
Adam ist so ein Mensch. Studiert hat er in Manchester, anschließend arbeitete er in Brasilien und Portugal an seiner Dissertation und diversen Projekten. Jetzt ist er in Berlin und hat in der Wohnung von Happy Pigeons schon das nächste Unternehmen gegründet – Innential. Mit einer eigens entworfenen Software will er die Produktivität von Arbeitnehmern messen und analysieren. Anschließend soll das Programm direkt Maßnahmen anbieten, um das Ergebnis zu verbessern. Bald will er das Start-up verkaufen. Wie lange er noch bei Happy Pigeons bleiben wird, weiß er noch nicht: „Ich mag Berlin. Ich glaube, falls ich hierbleibe, dann bleibe ich bei Happy Pigeons, bis ich eine Familie gründe.“
Leonhard Rosenauer