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Binnen eines Jahres sind die Energiepreise um mehr als elf Prozent gestiegen.
© dpa

Preise steigen um 3,8 Prozent: Inflation frisst Lohnerhöhung

Reale Tarifeinkommen sinken erstmals seit 2011. Vor allem Energie und Nahrungsmittel sind deutlich teurer als vor einem Jahr.

Die Corona-Pandemie hat den Gewerkschaften das Tarifgeschäft erheblich erschwert, die Einkommen stiegen im ersten Halbjahr nur um 1,6 Prozent. Und dazu drückt die Inflation auf die Kaufkraft. Im Juli lagen die Verbraucherpreise nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes um 3,8 Prozent über dem Vorjahresmonat. Energie (plus 11,6 Prozent) und Nahrungsmittel (plus 4,3 Prozent) verteuerten sich überdurchschnittlich. Ferner wirkt sich der so genannte Basiseffekt der Mehrwertsteuersenkung im zweiten Halbjahr 2020 aus. Nach Angaben der Statistiker trägt das 1,6 Prozent zur Inflationsrate bei. Um die Konjunktur anzukurbeln, hatte die Bundesregierung den Satz von 19 auf 16 Prozent reduziert. Seit Anfang dieses Jahres sind wieder 19 Prozent zu zahlen.

EZB will zwei Prozent Inflation

Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt eine Inflationsrate von zwei Prozent im Euroraum an und richtet ihre Geldpolitik entsprechend aus. Für eine Übergangszeit nimmt sie ausnahmsweise das Überschreiten dieser Zielmarke in Kauf, um weiter mit billigem Geld die Konjunkturerholung nach der Corona-Rezession anschieben zu können.
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Für die Arbeitnehmer bedeutet die hohe Inflation weniger Kaufkraft. „Erstmals seit zehn Jahren fällt die um die Preissteigerung bereinigte reale Tariflohnentwicklung mit einem Minus von 0,2 Prozent leicht negativ aus“, teilte die Böckler-Stiftung des DGB zur Entwicklung im ersten Halbjahr mit. In den vergangenen 20 Jahren seien die Tariflöhne nur drei Mal langsamer als die Preise gestiegen, und zwar 2006, 2007 sowie zuletzt 2011 nach der Finanzkrise.

Schlechte Bedingungen für Gewerkschaften

In diesem Jahr liegen die Ursachen dafür auf der Hand: Die Gewerkschaften konnten während der Pandemie kaum zu größeren Versammlungen, Warnstreiks oder gar zu Arbeitskämpfen aufrufen, um höhere Tarifabschlüsse durchzusetzen. Und die Arbeitgeber aus der Industrie und Teilen der Dienstleistungsbranche argumentierten mit coronabedingten Umsatz- und Ergebniseinbrüchen, sodass es kaum Verteilungsspielräume gäbe.

Ohne Berücksichtigung der schon in früheren Jahren vereinbarten Tariferhöhungen wäre die Halbjahresbilanz für die Gewerkschaften noch trüber ausgefallen. „Werden nur die im 1. Halbjahr 2021 getätigten Neuabschlüsse berücksichtigt, so steigen die Tariflöhne um 1,1 Prozent“, hat die Böckler-Stiftung ausgerechnet. Die 2020 oder früher vereinbarten Tarifabschlüsse machen dagegen 2,0 Prozent aus, so dass sich insgesamt eine Tariferhöhung von 1,6 Prozent ergibt.

Große Tarifkonflikte stehen noch bevor

„Nachdem die Tariflöhne in den Jahren 2018 und 2019 mit Zuwächsen von 3,0 beziehungsweise 2,9 Prozent relativ kräftig angestiegen waren, standen die Tarifauseinandersetzungen seit Frühjahr 2020 ganz im Zeichen der Corona- Krise“, meint der Leiter des Böckler-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. 2020 gab es noch zwei Prozent und im laufenden Jahr bislang 1,6 Prozent, was Schulten mit dem „nach wie vor sehr unsicheren Pandemieverlauf“ erklärt. Der könnte auch die noch anstehenden Tarifkonflikte beeinflussen. In den kommenden Monaten stehen Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen von einigen Millionen Beschäftigten an. Im Einzelhandel mit rund drei Millionen Mitarbeitenden wird im September verhandelt, ebenso in der Bauindustrie für rund 900 000 Beschäftigte. Es folgte dann im Herbst die Tarifrunde für dem öffentlichen Dienst der Länder mit mehr als einer Million Tarifbeschäftigten. Zuzüglich der Beamten und Versorgungsempfänger ist der Tarifvertrag der Bundesländer für gut drei Millionen Menschen relevant.

Streikende aus Berliner und Brandenburger Einzelhandelsunternehmen protestieren für ihre Lohnforderung.
Streikende aus Berliner und Brandenburger Einzelhandelsunternehmen protestieren für ihre Lohnforderung.
© dpa

Der Handel zahlt freiwillig zwei Prozent

Es sei gut möglich, meinte Schulten, „dass am Ende des Jahres die heute vorgelegte Zwischenbilanz für 2021 noch etwas nach oben korrigiert werden kann“. Im Handel, dem öffentlichen Dienst der Länder und auf dem Bau seien den Beschäftigten in der Coronazeit „ganz besondere Leistungen abverlangt“ worden. Dafür erwarteten die Arbeitnehmer nun „eine entsprechende materielle Anerkennung“. Im Einzelhandel sind einige Arbeitgeber bereits vorgeprescht und haben die Einkommen freiwillig um zwei Prozent erhöht. Diese Prozente würden dann nach einem Tarifabschluss für die gesamte Branche verrechnet.

1000 Euro Corona-Prämie bei VW

In vielen Verträgen vereinbarten die Tarifparteien die Zahlung einer steuerfreien Corona-Prämie. Sie liegt in den meisten Fällen zwischen 300 und 500 Euro. Mit 1000 Euro fällt Volkswagen aus dem Rahmen. Weitere Besonderheiten im ersten Halbjahr: In der Energiewirtschaft und dem Nahrungsmittelgewerbe lagen die Tarifabschlüsse über zwei Prozent. Und im größten privaten Krankenhauskonzern Helios steigen die Tarifeinkommen im Schnitt um 2,8 Prozent. Ferner schaffte es die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in der Fleischwirtschaft einen Mindestlohn von 10,80 Euro pro Stunde zu vereinbaren. Weitere Anhebungen bis 12,30 Euro zum Jahresende 2023 sind vereinbart. Der gesetzliche Mindestlohn liegt derzeit bei 9,60 Euro und steigt bis Juli nächsten Jahres auf 10,45 Euro.

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