Seehofers Baustelle: Was hat die Offensive für mehr Wohnraum gebracht?
1,5 Millionen neue Wohnungen sollten in dieser Legislatur entstehen. Am Dienstag zieht der Bund Bilanz. Die Kritik ist schon groß – vor allem an einem Mann.
Am Tag bevor der Bund die Bilanz der im Jahr 2018 beschlossene „Wohnraumoffensive“ zieht, haben Regierungsmitglieder, politische Gegner und die Verbände ihr Urteil vorweggenommen. Kritik gibt es vor allem am unverändert großen Mangel an bezahlbaren Wohnungen in Ballungsgebieten, der trotz der zusätzlicher Milliarden des Bundes für den sozialen Wohnungsbau der Länder anhält.
Eine Ursache dafür sehen Kritiker in der Fusion des Bauressorts mit dem Innenministerium, an dessen Spitze „Teilzeit-Bauminister“ Horst Seehofer (CSU) mit seinen vielen Aufgaben überfordert gewesen sei.
Den neuen Ressortzuschnitt gibt es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik und er erntete noch stärkere Kritik als das vorangegangene Doppelministerium für Bauen und Umwelt. Der damaligen Ministerin Barbara Hendricks (SPD) wurde eine Vorliebe für die Umwelt nachgesagt. Sie habe mit höheren Umweltauflagen (Enev) gestiegene Baukosten in Kauf genommen. Andererseits hatte Hendricks runde Tische einberufen und Strategien zur Einsparung von Kosten durch die Vereinfachung von Bauabläufen entwickelt.
Umgesetzt wurden diese aber bis heute nicht – und das beklagt die Branche. Die verheißungsvollen Ansätze seien unter Seehofer sogar zurückgedreht worden, meinen einige. Seehofer selbst hatte dagegen erklärt, die Koalition erreiche ihre politischen Ziele. 1,5 Millionen neue Wohnungen sollten in dieser Legislaturperiode entstehen. Aber: Der CSU-Politiker zähle die erst geplanten oder gerade begonnenen Objekte mit, hatte ein Bündnis aus Mieterbund, IG Bau, Caritas, Deutscher Baustoff-Fachhandel und Mauerwerks- und Wohnungsbau-Gesellschaft erklärt: „Aber im Rohbau und auf dem Papier kann man nicht wohnen!“
Es müssten jährlich 375.000 Wohnungen fertig werden
„Das Neubauziel wird klar verfehlt“, sagt auch die Geschäftsführerin des Branchendachverbandes Zentraler Immobilien-Ausschuss Aygül Özkan. Zur Bekämpfung der Wohnungsnot müssten jährlich 375.000 neue Wohnungen fertig werden. Dieses Ziel sei in dieser Legislaturperiode „nie erreicht“ worden. SPD-Bauexperten im Bundestag rechnen beim Neubau mit „einer Größenordnung von 1,2 Millionen neuen Wohnungen“ – 300.000 weniger als versprochen.
Der Bund allein ist dafür nicht verantwortlich. Zumal der Bund sogar fünf Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau an die Länder überwiesen und diese Mittel sogar aufgestockt hatte. „Dafür haben wir sogar das Grundgesetz geändert“, halten die Bundestagsmitglieder der SPD, Sören Bartol und Bernhard Daldrup, der Großen Koalition zugute.
Weitere Erfolge aus Sicht der SPD-Politiker: Die Einführung des Baukindergeldes, 6,5 Milliarden Euro, von denen 310.000 Haushalte profitieren sollen, die Halbierung der Maklerprovision für Käufer, steuerliche Extra-Vorteile für Bauherren preiswerter Wohnungen, die Übertragung von Baugrundstücken des Bundes an die Kommunen, Förderungen für den Kauf von Genossenschaftsanteilen und zur Gründung von Genossenschaften seien weitere Ergebnisse der Regierungsarbeit. Schließlich werde auch noch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in den Wohnungsbau einsteigen, etwa zur Versorgung von Bundesbediensteten.
„Alle Ziele des Wohngipfels wurden verfehlt“, sagt dagegen Daniel Föst, bau- und wohnungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. „Der Neubau stockt, die Eigentumsquote sinkt erstmals seit 1993, der Klimaschutz in Gebäuden kommt nicht voran und in den Metropolen herrscht weiter Wohnungsnot und die Mieten steigen.“
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Seehofer habe als „Teilzeit-Bauminister“ wenig unternommen, um die Wohnkosten zu senken. Föst fordert einen „Reboot für den Wohnungsbau“ und will Dachaufstockungen „radikal erleichtern“, Bauwirtschaft und Behörden vollständig digitalisieren sowie Regulierungen abschaffen.
Der Mietendeckel hat die Mieten in Berlin gesenkt
Das trifft einen Nerv in der Branche. ZIA-Chefin Özkan sagt: Der „gewaltige Berg von 20.000 verschiedenen Bauvorschriften“ müsse abgetragen, Vorschriften auf Notwendigkeit geprüft werden.
„Einzig Berlins Mietendeckel hat sich für einen Teil der Mieter als mietsenkend erwiesen“, bilanziert das „Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“. In der Stadt liege die Kaufkraft acht Prozent unter dem deutschen Durchschnitt, die Mieten aber 56 Prozent darüber. Statt Gesetze zur dauerhaften Mietsenkung und Rechtssicherheit für das Wohnen zu erlassen, gehe Bauminister Seehofer gegen den Mietendeckel vor. Und auch wenn wieder Wohnungen mit Sozialbindung gebaut würden, fielen doch weit mehr jedes Jahr aus eben dieser Bindung heraus.
60.000 Sozialwohnungen fallen aus der Bindung, nur 25.000 entstehen neu, sagt der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. „Und das, was gebaut wurde, ist für viele Menschen nicht bezahlbar.“