Ein Jahr vor den Winterspielen in Peking: Zwischen Blase und Olympia-Boykott
In einem Jahr sollen die Olympischen Spiele in Peking stattfinden. Doch mit der Pandemie und den Boykottaufrufen steht China vor großen Schwierigkeiten.
Der Panda schwankt. Schwerfällig verlagert er sein Gewicht vom linken auf das rechte Bein, gleichzeitig versucht das Olympia-Maskottchen im Takt der Musik auf und ab zu wippen. „Love is here, love is here – ranshao de xuehua“, singt neben ihm die chinesische Schauspielerin Yang Mi, der in den Sozialen Medien 110 Millionen Menschen folgen, was selbst für chinesische Verhältnisse furchtbar viele sind. „Die Liebe ist da, die Liebe ist da – brennende Schneeflocken“, singt sie. Doch so richtig in die Gehörgänge einbrennen will sich der behäbige neue Olympiasong nicht, der am Donnerstag um kurz nach Mitternacht bei der Neujahrsgala im chinesischen Staatsfernsehen für mehrere hundert Millionen Zuschauern zum Besten gegeben wurde.
Kein Vergleich jedenfalls zur abwechslungsreichen Darbietung des chinesischen Staraufgebots, das 2008 mit „Beijing huan ying ni“ die Welt zu den Olympischen Spielen in Peking fröhlich willkommen geheißen hatte. Aber ein Jahr vor der Rückkehr der Olympischen Spiele nach Peking ist ohnehin vieles anders als vor 13 Jahren.
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Vom 4. bis zum 20. Februar 2022 will die chinesische Hauptstadt die Besten des Wintersports zu den Olympischen Winterspielen empfangen. Doch mit der weltweiten Coronapandemie und den lauter werdenden Boykottaufrufen wegen Chinas Verstößen gegen die Menschenrechte in Xinjiang, Tibet und Hongkong stehen die Spiele vor gewaltigen Schwierigkeiten. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sieht das anders, naturgemäß möchte man sagen. „In einem Jahr wird Peking Geschichte schreiben als die erste Stadt, die sowohl die Sommer- als auch die Winterausgabe der Olympischen Spiele ausrichtet“, sagte Thomas Bach in einer Videobotschaft. „Nachdem wir gesehen haben, wie China die Coronavirus-Krise überwindet, sind wir sehr zuversichtlich, dass unsere chinesischen Gastgeber in voller Zusammenarbeit mit dem IOC für sichere Olympische Spiele sorgen werden.“
Doch wie das funktionieren soll, kann im Moment keiner konkret beantworten. China hat die Pandemie, die in Wuhan ihren Anfang nahm, mit gewaltigen Anstrengungen in den Griff bekommen. Doch außerhalb Chinas grassieren das Virus und seine neuen Mutationen weiter. „Die Pandemie wird uns auch noch 2022 beschäftigen“, sagt die Virologin Melanie Brinkmann. Also auch während der Winterspiele von Peking.
Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wären gut vorstellbar
Zu Chinas Anti-Corona-Maßnahmen zählen strikte Einreisebestimmungen, jeder Neuankömmling aus dem Ausland muss mindestens 14 Tage in einem Quarantänehotel verbringen. Sollen die mehr als 10.000 Athleten aus allen Ecken der Welt im kommenden Jahr ebenfalls 14 Tage Quarantäne in einem Hotelzimmer verbringen? Was würde das für ihre sportliche Form bedeuten? Was ist mit den tausenden Betreuern, Zuschauern und Journalisten, die zu den Spielen anreisen werden? Und welche Rolle können Impfungen spielen? Nur mit einer Corona-Warn-App können sich Chinas Bürger Zutritt zu vielen Einrichtungen verschaffen – werden die Olympia-Besucher auch diese App verpflichtend benötigen?
Chinas Staatspräsident Xi Jinpung und IOC-Präsident Thomas Bach haben sich über diese Fragen vor zwei Wochen ausgetauscht. Viel wurde aus dem Gespräch nicht berichtet. Bach sprach von einem „Werkzeugkasten“, der für die verschobenen Sommerspiele von Tokio und die Winterspiele in Peking entwickelt worden sei. Darunter sollen „Einreiseverfahren, Quarantäne, Tests, persönliche Schutzausrüstung, Kontaktverfolgung und auch Impfungen“ fallen.
Eine Ahnung wie diese Spiele aussehen könnte, erhielten Sportjournalisten zuletzt, als das Tokioter Organisationskomitee einen genauen Stundenplan von ihnen forderte. Sie sollten alle ihre Aktivitäten während der ersten 14 Tage der Sommerspiele festlegen. Spontane Abstecher zu sportlichen Überraschungen sind damit unmöglich. Zudem sollen sie sich nur zwischen Pressezentrum, Sportstätten und Unterkunft bewegen dürfen. Es gibt kaum Ausnahmen. „Die Zeit“ schreibt von einer geplanten „Superblase“. Derartige Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wären bei den überwachungsfreudigen Pekinger Sicherheitsbehörden auch mehr als gut vorstellbar.
Eigentlich hätten die Winterspiele 2022 ja in München oder Stockholm stattfinden können, doch die jeweilige Bevölkerung entschied sich aus Umweltschutz- und Kommerzialisierungsgründen dagegen. Das IOC hatte am Ende nur noch die Wahl zwischen Peking und Almaty, Kasachstan. Beides sind nicht gerade Wiegen des Wintersportes. Doch Peking lockte immerhin mit der Aussicht auf die Erschließung eines riesigen neuen Marktes. „China hat sich zum Ziel gesetzt, 300 Millionen seiner Bürger zu ermutigen, einen Wintersport anzufangen“, schreibt Xinhua.
Menschenrechtsorganisationen fordern den Boykott
Ging es für Peking bei den Spielen von 2008 noch darum, eine politische Coming-Out-Party auf der Weltbühne der Supermächte zu feiern, sind die Chinesen einen Schritt weiter: Nun zählt China neben den USA zu den einflussreichsten Mächten der Welt, die Spiele 2022 sollen den globalen Einfluss weiter unterstreichen. Da kommt sogar das Coronavirus gar nicht so ungelegen. Die reibungslose Olympia-Vorbereitung demonstriere die „Stärke der Parteiführung und des sozialistischen Systems in China“, sagte Xi Jinping unlängst.
Das autoritäre China ist seit 2008 politisch und wirtschaftlich selbstsicherer und mächtiger geworden. Mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz hat es die Demokratiebewegung in Hongkong niedergeschlagen. Deshalb und wegen der Umerziehungslager in Xinjiang nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mehr als eine Millionen Uiguren gefangen gehalten werden sollen, sprechen sich 180 Menschenrechtsorganisationen für einen Boykott der Spiele in Peking aus. Staats- und Regierungschefs sollten dem Ereignis fernbleiben, fordern sie.
Ein Gruppe von sechs republikanischen Senatoren will eine Neuvergabe der Spiele erreichen. Die chinesische Regierung begehe „Völkermord" an den muslimischen Uiguren in der Provinz Xinjiang, beschränke die Menschenrechte der Bürger in der Sonderverwaltungszone Hongkong und bedrohe Taiwan, begründete der Republikaner Rick Scott diese Forderung. Auch aus Kanada und Großbritannien gibt es Boykottforderungen.
„Einen Boykott der Spiele sehe ich nicht, weil darunter zuallererst die Athletinnen und Athleten leiden würden“, sagt Alfons Hörmann, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). „Und ich denke, das kann und darf nicht der richtige Weg sein.“ Hu Xijin, Chef der staatlich kontrollierten Global Times, schreibt auf Twitter – das im übrigen in China verboten ist: Der Boykott sei eine unpopuläre Idee, die keine große Unterstützung bekommen werde. „China wird jedes Land, das sich dieser Forderung anschließt, mit ernsthaften Sanktionen belegen“. Eine Drohung, die Chinas neue Selbstsicherheit unterstreicht.
China ist keine Wintersportnation
Ohne Corona und Boykottforderungen würde man ein Jahr vor den Spielen eher über den Stand der Vorbereitungen sprechen. Da liegt Peking 2022 erwartungsgemäß gut im Rennen. Obwohl die Sportstätten in Zhangjiakou und in Yanqing in der Provinz Hebei neu fertiggestellt werden mussten. Besonders beeindruckt der teure Anschluss der 190 Kilometer von Peking entfernten Stadt Zhangjiakou an das Hochgeschwindigkeitsnetz. Die Sportstätten für Langlauf, Biathlon, Alpine Wettbewerbe und Skispringen sind nun in weniger als einer Stunde von Chinas Hauptstadt aus zu erreichen. In Peking werden einige Stadien der Spiele von 2008 wieder verwendet. Im spektakulären Vogelneststadion finden Eröffnungs- und Schlussfeier statt, das Schwimmstadion soll nun die Curling-Wettbewerbe beherbergen.
Sportlich wird es allerdings schwer für die Gastgeber, den ersten Platz im Medaillenspiegel aus dem Jahr 2008 zu wiederholen. China ist keine Wintersportnation, zuletzt in Pyeongchang 2018 landeten die Sportler unter der roten Fahne auf Rang 16. Das hindert die Funktionäre freilich nicht, hohe Ansprüche zu stellen. „Uns wurde gesagt: Gold oder gar nichts“, sagte der ehemalige chinesische Skeletonnationaltrainer, der Kanadier Jeff Pain. „Alle anderen Medaillen seien irrelevant.“
Chinas aktueller Biathlon-Nationaltrainer Ole Einar Björndalen bestätigt das: „Der Druck ist groß, sie verlangen, dass wir die Athleten immer härter trainieren.“ Seine Aufgabe sei es daher, den Athleten Ruhepausen zu verschaffen, erzählt Norwegens Biathlon-Legende der „South China Morning Post“. Eine chinesische Biathlon-Medaille wolle er aber nicht versprechen und das gilt eigentlich auch gleich für alles: Zurzeit kann für die Winterspiele 2022 kaum einer irgendetwas versprechen.