Italiens Trainer Roberto Mancini und Gianluca Vialli: Zwei ziemlich beste Freunde im EM-Finale
Sie verzückten Italien einst als geniales Sturmduo, haben schwere Zeiten und eine Krebserkrankung überstanden und wollen nun ihre besondere Verbindung krönen.
Anfang der neunziger Jahre ist Italien das Zentrum der Fußballwelt. Die sette sorelle, die als sieben Schwestern bezeichneten großen Klubs, dominieren die Serie A und investieren viele Milliarden Lire in Stars aus aller Welt. Diego Maradona zaubert in Neapel, der AC Mailand gewinnt mit seinen niederländischen Ausnahmekönnern den Europapokal, bei Inter tummeln sich zahlreiche deutsche Weltmeister und mit Roberto Baggio hat sich Juventus Turin den vielleicht besten italienischen Fußballer überhaupt gesichert.
Die schönste Geschichte jener Zeit schreiben allerdings zwei Stürmer, die abseits der großen Fußballmetropolen spielen: Roberto Mancini und Gianluca Vialli. Gemeinsam führen sie Sampdoria Genua 1991 sensationell zur Meisterschaft.
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Die beiden kennen sich schon seit ihrer Jugend, sind enge Freunde, verstehen sich blind und werden von den Medien auf den Spitznamen Gemelli del gol getauft. In diesen Jahren und besonders in der magischen Saison 1990/91 stellen die Torzwillinge die sieben Schwestern in den Schatten und begeistern Italien. Das ist ziemlich genau 30 Jahre her – und seitdem hat niemand die Dominanz der großen Klubs aus Turin, Mailand und Rom gebrochen.
Die Geschichte von Mancini und Vialli wird während dieser Europameisterschaft rauf und runter erzählt – und wäre sie nicht so genau dokumentiert, dürfte man sie eigentlich gar nicht glauben. Es klingt wie ein kitschiges Drehbuch oder ein Märchen, wie sich die Wege der einstigen Sturmpartner nach Jahrzehnten und einer schweren Krankheit Viallis bei der italienischen Nationalmannschaft wieder treffen und sie die Azzurri nur drei Jahre nach dem absoluten Tiefpunkt der verpassten WM-Qualifikation wieder zum Erfolg führen.
Kennengelernt haben sich Vialli und Mancini vor mehr als 40 Jahren
Mancini ist mittlerweile 56 und commissario tecnico, wie der Nationaltrainer in Italien genannt wird. Vialli ist ein Jahr älter und Teammanager. Im EM-Finale gegen England an diesem Sonntag (21 Uhr, ZDF und MagentaTV) können sie gemeinsam den größten Erfolg ihrer sportlichen Karriere erreichen – und das am Ort, an dem ihre gemeinsame Geschichte als aktive Fußballer endete. Im alten Wembleystadion verloren sie mit Sampdoria 1992 das letzte Finale im Europapokal der Landesmeister nach Verlängerung gegen den FC Barcelona.
Vialli wechselte anschließend nach Turin, Mancini einige Jahre später zu Lazio Rom. Die goldenen Jahre von Sampdoria waren vorbei, die Verbindung der Gemelli del Gol besteht bis heute. „Ich habe mit ihm einige der schönsten Momente meines Lebens als Fußballer erlebt, wir waren jung und haben eine Mannschaft, die vorher nichts gewonnen hat, fast aufs Dach von Europa geführt“, sagt Mancini in einer Dokumentation des italienischen Fernsehsenders Rai. „Uns verbindet eine Freundschaft, nein, mehr als Freundschaft, wir sind wie Brüder.“
Kennengelernt haben sich Vialli und Mancini vor mehr als 40 Jahren in Coverciano am Rande von Florenz. Damals glich das Trainingszentrum des italienischen Verbandes eher einer Militärkaserne, mit großen Schlafsälen und Doppelstockbetten. Die Nachwuchsfußballer waren 14, vielleicht 15 Jahre alt und der hoch talentierte Mancini war damals schon so bekannt, dass Vialli später scherzte, er habe ihn anhand der Panini-Bildchen erkannt.
Nach mehreren gemeinsamen Jahren in den Jugendnationalmannschaften kreuzten sich die Wege 1984 auch im Verein. Vialli hatte den Kleinstadtverein US Cremonese gerade in die Serie A geschossen und wechselte zu Sampdoria, wo Mancini schon seit zwei Spielzeiten unter Vertrag stand. Über die Jahre entwickelten sie sich zum besten italienischen Sturmduo und gewannen mit Sampdoria mehrmals die Coppa Italia, 1990 den Europacup der Pokalsieger und ein Jahr später die Meisterschaft.
Mancini war eine Mischung aus Spielmacher und Torjäger, gesegnet mit viel Talent und einer beeindruckenden Leichtigkeit. Er war allerdings auch impulsiv, exzentrisch, launisch und so etwas wie ein italienischer Günter Netzer – was kaum zu glauben ist, wenn man sieht, wie staatsmännisch er heute an der Seitenlinie und in Interviews auftritt. Vialli war eher ein Arbeiter, ein Strafraumstürmer, der sich durch seinen Torriecher und seine Physis auszeichnete.
„Wir waren unterschiedlich, aber wir haben uns gut ergänzt“, erzählte Vialli vor einigen Jahren im englischen Fernsehen. „Wenn du zwei Stürmer hast, die sich nicht darum kümmern, ob der andere drei Tore schießt und er selbst keins, ist das fantastisch.
Wir wollten nur gewinnen, da gab es keinen Neid.“ Doch wie unter leiblichen Geschwistern gab es auch zwischen Vialli und Mancini einige Streitigkeiten. So redeten sie zwischenzeitlich zehn Tage nicht miteinander und sprachen sich, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, nur mit ihren Nachnamen an. Auslöser soll ein Fehlpass im Training gewesen sein. Wer diesen gespielt hat, darüber können sich Vialli und Mancini auch heute noch vortrefflich streiten.
Trotz der kleinen Reibereien war die Zeit bei Sampdoria die beste ihrer Karrieren. Trainer Vujadin Boskov hatte damals eine herausragende Mannschaft zur Verfügung, mit dem langjährigen Nationaltorwart Gianluca Pagliuca und Pietro Vierchowod.
Die unumstrittenen Stars waren aber Vialli und Mancini, deren Gehälter angeblich gleich hoch waren, und die in Genua bereits zu ihren aktiven Zeiten Legendenstatus erreichten. Vereinspräsident Paolo Mantovani erwies ihnen auf eine ganz spezielle Art seinen Respekt. Seine zwei Schäferhunde hörten auf die Namen: Luca und Roberto. Die Geschichte sei wahr, bestätigte Vialli später in einem Interview mit dem „Corriere della Sera“. „Ich weiß aber nicht, ob ich mich darüber freuen soll.“
Während Mancini als Trainer viel rumgekommen ist, war es um Vialli für viele Jahre ruhig geworden. Nach seiner Zeit als Spielertrainer des FC Chelsea und einer kurzen Episode in Watford war er lange nur noch als TV-Experte zu sehen.
Doch auch aus dem Fernsehen zog er sich zurück – aus schwerwiegenden Gründen. 2018 wurde bekannt, dass er unter Bauchspeicheldrüsenkrebs litt. Mehrere Operationen und 17 Monate Chemotherapie zehrten so an seinem Körper, dass er zwischenzeitlich einen zusätzlichen Pullover unter der Kleidung trug, damit die Leute nicht sahen, wie dünn er geworden war.
Mittlerweile hat er den Krebs besiegt, aber die Gefahr einer erneuten Erkrankung bleibt. „Der Krebs ist ein ungewollter Begleiter, der mit mir in den Zug eingestiegen ist“, sagte Vialli kürzlich. „Ich muss weiterreisen und hoffe, dass dieser Begleiter mich in Ruhe weiterleben lässt.“
2019, damals kämpfte Vialli noch gegen die Krankheit, holte Mancini seinen alten Sturmpartner in sein Team. Was wie ein bloßer Freundschaftsdienst wirkte, hat sich allerdings bereits ausgezahlt. Einige Spieler haben Vialli als Kinder noch spielen sehen, alle respektieren ihn und das merkt man auch, wenn er zu ihnen spricht.
Denn Vialli ist kein Hütchenaufsteller, er vermittelt der Mannschaft seine Erfahrung, beeindruckt trotz seiner schweren Erkrankung mit einer unheimlich positiven Lebenseinstellung und ist ein weiterer Vertrauter für Mancini. „Nach so vielen Jahren wieder zusammenzuarbeiten, ist sehr schön. Wir denken, dass wir immer noch jung sind, aber die Zeit vergeht auch für uns“, sagte der Trainer zur Wiedervereinigung mit Vialli.
Mancini legt extrem viel Wert auf Geschlossenheit – und das gilt nicht nur für die Mannschaft. Neben Vialli haben auch die Co-Trainer Alberico Evani, Attilio Lombardo und Fausto Salsano mit Mancini bei Sampdoria gespielt. Sie kennen sich, schätzen sich und wissen alle genau, was Mancini will. „Wir bekommen viele wichtige Ratschläge. Vialli und die anderen Mitglieder im Trainerstab waren Champions. Das ist sehr wichtig für unsere großartigen Leistungen“, sagte Flügelstürmer Federico Chiesa jüngst.
Wenn es nach den Italienern geht, werden am Sonntag weitere Jubelbilder folgen
Wie eng das Verhältnis zwischen Mancini und Vialli ist, konnte man am eindrücklichsten im mühsamen Achtelfinale gegen Österreich sehen. Nach dem Führungstor in der Verlängerung sprintete Vialli die Stufen von seinem Platz auf der Tribüne in die Coachingzone hinunter und umarmte Mancini innig. Es ist eines der Bilder dieser EM.
Wenn es nach den Italienern geht, werden am Sonntag weitere Jubelbilder folgen. Seit 33 Spielen ist die Mannschaft ungeschlagen, zuletzt verlor sie im Herbst 2018. Mancini hat die Nationalmannschaft am tiefsten Punkt ihrer jüngeren Geschichte übernommen und den Spielern das Selbstvertrauen zurückgegeben – auch wenn sich diese erst mal an die Ambitionen des Trainers gewöhnen mussten.
„Auch wir haben ihn anfangs für verrückt gehalten, als er uns gesagt hat, dass wir uns in den Kopf setzen sollen, die EM zu gewinnen“, sagte Kapitän Giorgio Chiellini in einem Interview mit der Uefa. „Jetzt steht das bevor, wovon wir seit drei Jahren träumen. Das, was der Trainer uns nach und nach eingebläut hat, bis es Realität wurde.“
Wer mit Sampdoria Genua die Meisterschaft gewonnen hat, schreckt auch vor einer Europameisterschaft nicht zurück.