Überraschender Tabellenführer der Bundesliga: Wie lange kann sich Borussia Mönchengladbach an der Spitze halten?
Dass Mönchengladbach plötzlich Tabellenführer der Bundesliga ist, will niemand überbewerten. Aber nur Zufall ist der Erfolg nicht. Eine Analyse.
Die Tabelle der Fußball-Bundesliga bietet nach dem siebten Spieltag endlich wieder ein gewohntes Bild. An der Spitze ist alles wie gehabt – zumindest für Fußballfans aus Österreich. Marco Rose belegt mit seiner Mannschaft Platz eins, dahinter folgt Oliver Glasner. So war das schon in der vergangenen Spielzeit, in der „tipico Bundesliga“. Rose gewann mit RB Salzburg den Titel, Glasner wurde mit dem Linzer ASK Zweiter. In Deutschland aber ist die Rangfolge gewöhnungsbedürftig. Nicht Bayern München führt die Tabelle an. Nicht Borussia Dortmund oder Rasenballsport Leipzig. Seit Sonntag ist Borussia Mönchengladbach Spitzenreiter. Vor dem VfL Wolfsburg.
Ein „schöner Nebeneffekt“ sei die Tabellenführung, sagte Mittelfeldspieler Christoph Kramer nach dem 5:1-Erfolg gegen den FC Augsburg und dem damit verbundenen Satz auf Platz eins. „Sie sollte unseren Blick nicht vernebeln“, warnte Sportdirektor Max Eberl. Und auch Marco Rose will „die Dinge in keiner Form überbewerten“. Dass die Fans am Sonntag von der Meisterschaft sangen, wertete Borussias Trainer vor allem als Ausdruck ihrer humoristischen Ader. Es sind eben erst sieben Spiele gespielt, nicht dreiunddreißig.
Die Erfahrungen der jüngeren Geschichte mahnen nachgerade zu einer realistischen Einordnung. Erst acht Monate ist es her, als die Gladbacher, damals noch unter Trainer Dieter Hecking, als eine Art Geheimtipp auf den Meistertitel gehandelt wurden. Nach dem 20. Spieltag der vergangenen Saison lagen sie auf Platz zwei, hinter Borussia Dortmund, aber noch vor den Bayern. Doch aus den folgenden 14 Spielen holte die Mannschaft ganze 13 Punkte und schaffte es am Ende gerade eben noch in die Europa League.
Nimmt man allerdings allein das vergangene Wochenende, lässt sich zumindest erahnen, was die Gladbacher ihrer Konkurrenz an diesem Spieltag voraus hatten: die Lust und Gier auf die Tabellenführung. Die Bayern unterlagen im eigenen Stadion dem Tabellenzwölften Hoffenheim, Borussia Dortmund spielte zum dritten Mal hintereinander nur 2:2, Leipzig und Leverkusen nahmen sich beim 1:1 gegenseitig die Punkte ab, und Schalke kassierte im Heimspiel gegen den Vorletzten Köln in der Nachspielzeit noch den Ausgleich.
Borussia Mönchengladbach hingegen führte gegen Augsburg bereits nach 13 Minuten 3:0. „Wir hatten einen richtig guten Tag“, sagte Rose. „Wir waren sehr fleißig gegen den Ball, haben ein gutes Gegenpressing gespielt und auch viele gute Entscheidungen mit dem Ball getroffen.“
Nicht reden – machen!
Borussias neuer Trainer erzählte nach dem Spiel, dass er am Samstagabend, nach dem verpatzten Sprung der Schalker auf Platz eins, viele Nachrichten auf sein Handy bekommen habe, in denen es um die mögliche Tabellenführung ging. Rose sprach das auch vor der Mannschaft an. „Mir war es wichtig, das zu thematisieren. Das Thema war da, aber keiner hat darüber gesprochen“, sagte er. „Wir haben uns gesagt, dass wir diese Möglichkeit auch ergreifen müssen – nicht durch reden, sondern auf dem Platz.“
Erst in diesem Sommer hat der 43 Jahre alte Rose in Mönchengladbach als Trainer angefangen. Seine Verpflichtung ist als Aufbruch in eine bessere Zukunft verkauft worden – und war vor allem ein klarer Bruch mit Borussias Geschichte, ein tiefgreifender Paradigmenwechsel. In den vergangenen Jahren standen die Gladbacher immer für gepflegten Ballbesitzfußball. Rose hingegen entstammt der Jürgen-Klopp-Schule, die eher Wert auf das Spiel gegen den Ball legt. Der Blick auf die Tabelle legt nahe, dass die Gladbacher den Wandel erstaunlich gut hinbekommen haben – doch das täuscht ein wenig.
In der Liga feierten sie zwar am Sonntag ihren vierten Sieg hintereinander. In diese Zeit fielen allerdings auch zwei erratische Auftritte im Europapokal. Gegen den Wolfsberger AC unterlagen die Borussen im eigenen Stadion 0:4, und gerade mal drei Tage vor dem überzeugenden Erfolg gegen die Augsburger hatten die Gladbacher beim 1:1 gegen Basaksehir Istanbul alles vermissen lassen, was Rose sehen will: Mut, Tempo, Leidenschaft. Sportdirektor Eberl hat schon bei der Verpflichtung des neuen Trainers durchklingen lassen, dass der Umbau Zeit benötige. Intern geht man von einem Jahr mit insgesamt drei Transferperioden aus, um den Kader fit zu machen für die Zukunft. „Wir haben sehr, sehr viel Arbeit vor uns“, sagt Rose immer wieder. Auch nach dem 5:1 gegen Augsburg hat er das getan.
Die Statistik zeigt: Rose wirkt
Generell aber weisen die Auftritte in die richtige Richtung. Die Mannschaft wirkt immer textsicherer, und der Wandel lässt sich auch statistisch belegen: Die Gladbacher erspielen sich mehr Chancen als in der Vorsaison, sie laufen mehr, sie sprinten mehr, führen mehr Zweikämpfe – und foulen auch mehr. Marco Rose wirkt, möglicherweise auch psychologisch.
Wenn man sich seine Vita anschaut, gibt es mehr als nur vage Hinweise darauf, dass er es schafft, seine Siegermentalität auch auf seine Mannschaften zu übertragen. Dass Rose mit RB Salzburg in Österreich sämtliche Titel abräumte, sollte man angesichts der herausragenden finanziellen Möglichkeiten des Klubs nicht überbewerten. Aussagekräftiger sind die internationalen Erfolge. Rose führte die Salzburger bis ins Halbfinale der Europa League, dazu gewann er mit deren U 19 den Titel der Youth League.
Wie stabil Roses Gewinnermentalität auf seine Mannschaft abstrahlt, wird womöglich schon das erste Spiel als Tabellenführer zeigen. In knapp zwei Wochen, nach der Länderspielpause, treten die Gladbacher bei Borussia Dortmund an. Zuletzt haben sie gegen den BVB acht Mal hintereinander verloren.