Entwicklungshilfe: Wie der Fußball den Mädchen in Ghana Träume schenkt
Ghana galt als Land der starken Frauen – dann kamen die Europäer. Bis heute haben es die Mädchen schwer. Ein Fußballprojekt soll daran etwas ändern.
Der Weg rollt wie nicht enden wollende braunrote Wellen auf den sich langsam fortbewegenden Bus der Reisegruppe zu. Links und rechts rauscht die Buschlandschaft vorbei, rauschen Frauen und Männer vor ihren kleinen Verkaufsständen vorbei, rauschen Motorräder vorbei, auf denen Pärchen mit ihren kleinen Babys sitzen. Der Weg türmt sich immer höher. Paul, den Fahrer, kümmert all das nicht. Er weiß ja, dass sie hier immer und immer wieder den dünnen Asphalt auf den sandigen Boden schichten, obwohl der Regen die Straße schnell wieder abträgt und den Weg nahezu unbefahrbar macht. Paul weiß vermutlich aber nicht, dass all das hier, der Weg, die Buschlandschaft, die Babys auf den Motorrädern und auch diese drückende Hitze für den Reisetrupp aus Europa in jeder Hinsicht beeindruckend sind. Sicher steuert er den Bus nach Timber Nkwanta, einer kleinen Gemeinde mit knapp 400 Einwohnern.
Rund zwei Autostunden entfernt von Accra, der Hauptstadt von Ghana, findet dort an einem Dienstag im Oktober ein Fußballspiel statt. Es ist ein besonderes Aufeinandertreffen, weil hier zwei Mädchenmannschaften gegeneinander antreten sollen. In den ländlichen Regionen Ghanas bekommt man das nicht häufig zu sehen. „Mädchen spielen in den Dorfgemeinschaften in der Regel keinen Fußball“, sagt Charles Dankwa. „Sie müssen auf dem Feld mithelfen, und die meisten von ihnen sind ohnehin schon im Alter zwischen 12 und 17 Jahren schwanger. Dann hat sich das mit dem Fußball eh erledigt. Und vieles andere auch.“
"Leider funktioniert hier vieles nicht"
Der 30 Jahre alte Ghanaer arbeitet seit ein paar Jahren als Lehrer an der Timber Nkwanta Basic School im Südosten des Landes. Dankwa hat ein offenes, freundliches Gesicht. Der Mann lacht viel, wenn er aber über die Missstände in seinem Land spricht, verdunkelt sich seine Miene. Er sagt: „Ghana ist ein schönes Land mit liebenswerten Menschen. Nur leider funktioniert hier vieles nicht.“ Dankwa meint das schlechte Trinkwasser, die fehlenden Toiletten, die katastrophalen Straßen, die Armut, den leichtsinnigen Umgang mit Malaria, aber eben auch die Mädchen und Frauen und deren Stellung in der Gesellschaft. „Es herrscht auf dem Land eine Kultur der Zurückhaltung bei Mädchen“, sagt er. „Sie sprechen kaum von sich aus, sondern nur, wenn sie von Lehrern oder Eltern dazu aufgefordert werden. Das muss sich ändern.“
Dabei galt Ghana bis zum 20. Jahrhundert als Land der starken Frauen. Es herrschte ein matriarchalisches System. Den Kern der Familie bildete die Frau, sie besaß das Sorgerecht für die Kinder. Das Matriarchat Ghanas endete, als die Europäer das Land für sich reklamierten und die Geschlechterrollen nach ihrem Verständnis ordneten. Die Frauen von Ghana wurden fortan nicht mehr als stark gesehen. Von bestimmten Berufszweigen wurden sie komplett ausgeschlossen. Auch heute noch sind viele Frauen in Ghana verarmt oder stehen in starker Abhängigkeit zu ihren Männern. Viele von ihnen bieten ihre Waren auf der Straße an. Auf dem Kopf tragen sie Behälter, darin alles Mögliche, Kochbananen, Wasserflaschen, Waschmittel, ja sogar Bügeleisen. Jobs in der Verwaltung oder etwa als Lehrerinnen an der Schule haben Frauen in Ghana meist nicht. Das Durchschnittseinkommen in dem Land liegt derzeit bei knapp 1300 Euro pro Person - im Jahr. Das von Frauen liegt deutlich darunter. Doch es gibt Hoffnung, auch hier auf dem Land, weit weg von der nächsten vernünftigen Straße, weit weg vom nächsten Krankenhaus und der nächsten Universität.
Abigails Vorbild ist Stephen Appiah
Die Hoffnung sieht Charles Dankwa Anfang Oktober direkt vor seinen Augen. Er sitzt in einem blauen Plastikstuhl und beobachtet das Fußballspiel zwischen den beiden Mädchenmannschaften der Schule. Die Mädchen sind meist zwischen 13 und 16 Jahre alt, sie alle rennen dem Ball hinterher. Selbst ein Huhn befindet sich auf dem zum Fußballfeld umfunktionierten Ackerplatz und es passt auch ganz gut zu dem wilden Treiben. Nur ein Mädchen, das, wie sich später herausstellt, mit 20 Jahren schon eine erwachsene Frau ist, ragt aus der Hektik dieses Spiels heraus, weil es seine Position hält. Sie trägt rote Schuhe zu ihrem weißen Dress. „Das ist Abigail“, sagt Dankwa. Sie besucht die Senior High School in der nächstgelegenen Stadt. Wenn sie keinen Unterricht hat, spielt sie Fußball oder trainiert andere Mädchen.
„Ich wollte ein Star werden wie Stephen Appiah“, erzählt Abigail wenig später mit leiser, aufgeregter Stimme, „deswegen habe ich angefangen zu spielen.“ Stephen Appiah ist der frühere Mannschaftskapitän der ghanaischen Nationalmannschaft, ein Held in einem fußballverrückten Land. „Meine Eltern haben akzeptiert, dass ich Fußball spielen will, weil sie es gut fanden, dass ich wie er sein wollte“, sagt Abigail.
Scouts wurden bereits auf das Projekt aufmerksam
Der Sport und speziell der Fußball laufen permanent Gefahr, ihre gesellschaftspolitische Bedeutung zu überhöhen. Hier aber, in der Einöde Ghanas, kann der Fußball ohne jede Übertreibung von großer Bedeutung sein. „Der Fußball ist in Ghana ein Motor, um die Gesellschaft voranzutreiben“, sagt Daniela Hensel, Pressereferentin bei Plan International. Die Kinderhilfsorganisation startete im Jahr 2013 ein Fußballprojekt im Südosten Ghanas. 25 Mädchenteams – darunter auch die Mannschaften von Timber Nkwanta – wurden mit Fußballschuhen und Trikots ausgestattet, Fußballcamps wurden organisiert und rund um die Spiele wurden Workshops mit den Mädchen abgehalten. Die wichtigsten Fragen darin: Wie kann ich eine frühe Schwangerschaft verhindern? Welche Folgen hat für mich eine frühe Heirat? „Der Fußball ist ein Vehikel, um auf diese Herausforderungen und ihre Lösungen aufmerksam zu machen“, sagt Hensel. „Und die Mädchen wissen natürlich auch: Wenn sie schwanger werden, können sie erstmal kein Fußball mehr spielen.“
Entwicklungshilfe ist immer auch eine schwierige Angelegenheit. Inwieweit kommt sie bei den Menschen an? Und warum glauben wir, dass unser Lebensstandard maßgebend auch für andere Länder und Gesellschaften sein muss? Das sind normative Fragen, mit denen sich der Lehrer Charles Dankwa nicht beschäftigen will. „Wir haben durch den Fußball mehr Schülerinnen denn je. Er macht die Mädchen selbstbewusster und ihre Eltern stolz auf sie“, sagt er. Inzwischen hätten sogar Scouts hin und wieder mal bei seinen Fußballerinnen vorbeigeschaut. „Zwei Mädchen haben es schon in eine überregionale Auswahl geschafft.“
Abigail ist nicht darunter. Sie hat jetzt neue Ziele, sie will zunächst zum Militär, weil man da viel Sport treibt, erzählt sie. Später dann will sie Ghana verlassen. Sie träumt von Japan. Was ihre Eltern davon halten? „Die finden das gar nicht gut“, sagt sie. Aber was ist das Leben schon ohne Träume? In Ghana träumen viele Menschen von einem besseren Leben. Der Fußball, das zeigt die kleine Dorfgemeinde in Timber Nkwanta, kann solche Träume schenken.
Der Bericht wurde ermöglicht durch die Unterstützung von Plan International Deutschland.