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Augen zu und weg. Thomas Müller (M.), Maskottchen Paule und Kevin Trapp verlassen nach dem 2:2 gegen die Niederlande den Platz.
© Ina Fassbender/dpa

Fußball-Nationalmannschaft: Wie das Jahr so das Spiel

Das 2:2 gegen Holland passt in das Bild, das die deutsche Nationalmannschaft 2018 abgegeben hat: Für das DFB-Team ist insgesamt zu wenig rumgekommen.

Das letzte Bild des Jahres dürfte Joachim Löw gefallen haben. Auch weil es in seiner Zurückgenommenheit nicht recht in die dröhnende Umgebung passte. Laute Partymusik schallte durch die Schalker Arena, der Stadionsprecher lobte die sagenhafte Unterstützung des Publikums, das jedoch längst die Flucht ergriffen hatte, genau wie die deutschen Spieler nach ihrer lustlosen Ehrenrunde vor sich leerenden Rängen. Nur Thilo Kehrer und Mats Hummels, die beiden Verteidiger, standen noch auf dem Rasen, sie diskutierten eifrig über das, was in den Schlussminuten passiert war: wie aus einem komfortablen 2:0 der Deutschen gegen harmlose Holländer ein frustrierendes 2:2 geworden war.

Jung und Alt im Gespräch: Seit Wochen wirbt Bundestrainer Löw für diesen Pakt der Generationen. Die Alten lassen die Jungen an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben und geben ihnen Halt; die Jungen wiederum reißen die Alten mit ihrem Elan mit und befreien sie aus ihrer lähmenden Routine. Auch Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, äußerte sich in diesem Sinne. Man müsse mal aufhören mit der Unterteilung in Generationen und die Mannschaft als Ganzes sehen. Der Auftritt gegen die Holländer hatte dafür durchaus schlüssige Argumente geliefert – und auch wieder nicht.

Für das letzte Länderspiel des Jahres holte Bundestrainer Löw zwei etablierte Kräfte – Toni Kroos, 28, und Mats Hummels, 29 – zurück in die deutsche Anfangsformation. Bei Kroos ist es durchaus so, dass ihn das jugendliche Umfeld beflügelt. Schon vor einem Monat im Spiel gegen Frankreich war das gut zu sehen, als Löw zum ersten Mal die Jugend von der Leine ließ und damit seine eigene Angst überwand.

Thomas Müller wirkte wie ein alter Mann

Mit Leroy Sané, Serge Gnabry und Timo Werner in der Offensive werden auch die rückwärtigen Kräfte verstärkt dazu gezwungen, nach vorne zu denken. Bei niemandem ist das offenkundiger als bei Kroos, dem zuletzt ein unguter Drang zur Verschleppung unterstellt worden war. Die drei flinken Stürmer „bieten Optionen in die Tiefe“, sagte der Mittelfeldspieler von Real Madrid. „Das tut unserem Spiel gut.“ Es tut auch Kroos gut, der an beiden Toren beteiligt war: mit dem vorletzten Pass vor Werners 1:0 und mit der Vorlage auf Sané vor dessen 2:0. „Alle drei Spieler vorne sind sehr schnell, gehen sehr gute Wege und haben es in den letzten Spielen sehr gut gemacht“, sagte Bundestrainer Löw.

Das gilt auch für andere Spieler, die bisher gar keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, nun aber die Zeit des Umbruchs für sich zu nutzen scheinen: Thilo Kehrer zum Beispiel, Niklas Süle, Nico Schulz und natürlich der unglaublich talentierte Kai Havertz, der in vielleicht gar nicht mehr so ferner Zukunft die Rolle von Mesut Özil ausfüllen könnte. „Man kann nicht einfach eine neue Mannschaft aus dem Boden stampfen“, sagt Löw. „Aber der Prozess ist in Gang gesetzt und schon ein Stück vorangeschritten.“

Es war kein Zufall, dass die Holländer erst zu Toren kamen, als mit Sané auch der dritte der drei flinken Offensivspieler ausgewechselt war. Der Bundestrainer machte körperliche Gründe für seine Entscheidungen geltend. Aber es war offenkundig, wie der Nationalmannschaft mit einem Mal jegliches Bedrohungspotenzial abhandengekommen war, obwohl Löw drei Spieler mit durchaus prominenten Namen – Marco Reus, Thomas Müller, Leon Goretzka – eingewechselt hatte.

Oliver Bierhoff: "Ich habe Lust, dass es so weitergeht"

Klare Botschaft. "Löw Raus" fordern einige Zuschauer im Schalker Stadion.
Klare Botschaft. "Löw Raus" fordern einige Zuschauer im Schalker Stadion.
© Leon Kuegeler/Reuters

Goretzka leistete sich vor dem 1:2 am eigenen Strafraum den entscheidenden Ballverlust. Reus drehte hier noch einen Kringel, schlug da einen Haken und weckte damit ungute Erinnerungen an den Daddelfußball, den die Deutschen bei der WM gespielt hatten. Und Thomas Müller wirkte in der Offensive wie ein alter Mann, dem per Gnadenakt noch der 100. Länderspieleinsatz gewährt werden musste.
So blieb den Deutschen die Chance verwehrt, das annus horribilis wenigstens mit einem guten letzten Eindruck zu beenden. „Jeder hätte sich heute gerne belohnt. Aber das zieht sich durch das Jahr 2018, dass uns das nicht gelingt“, sagte Löw. „Die Gesichter waren in der Kabine alle etwas nach unten gerichtet.“

Das historische Vorrundenaus bei der Weltmeisterschaft, der Abstieg in der Nations League, sechs Niederlagen, unter anderem gegen Österreich und Südkorea, tausende leere Plätze im Prestigeduell gegen den großen alten Rivalen Holland – all das hätte man sich vor einem Jahr, als die Deutschen noch als WM-Favorit galten, in seinen schlimmsten Träumen kaum vorstellen können. Selten ist ein Imperium so schnell zerfallen wie das der Nationalmannschaft.

Joachim Löw geht mit viel Mut ins neue Jahr

Für Manuel Neuer, den Kapitän, hätte es daher nicht zu diesem Jahr gepasst, „dass wir uns mit einem 2:0 verabschieden“ – auch wenn er nicht alles schlecht fand: „Für uns war es grundsätzlich enttäuschend, viel zu wenig, vor allem bei der WM – das wissen wir.“ Aber die Spiele seit dem Sommer seien mit Ausnahme des Auftritts in Amsterdam gegen Holland (0:3) ordentlich bis gut gewesen. Trotzdem: „Bei allem ist ein bisschen zu wenig rumgekommen“, sagte Neuer. „Das ist das, was am Ende hängen bleibt.“

Für das Spiel gegen Holland galt das genauso wie für das gesamte Länderspieljahr. Und auch wenn das Ergebnis angesichts des bereits feststehenden Abstiegs zweitrangig war: Die Deutschen hatten sich wenigstens zum Schluss noch einen Sieg gewünscht, auch zur Selbstvergewisserung. „Wenn man nach diesem Jahr ein Fazit ziehen muss, fällt das sicher nicht positiv aus“, sagte Toni Kroos. „Die Frage ist: Wie reagiert man darauf? Ich finde, wir haben angedeutet, in welche Richtung es gehen kann. Ein Erfolgserlebnis hätte natürlich gut getan, um ein Stück weit bestätigt zu werden.“

Die letzten drei Spiele waren in der Tat ein Bruch mit der Vergangenheit, ein spätes Bekenntnis des Bundestrainers zum entschiedenen Neuanfang. „Man sieht, dass die Atmosphäre stimmt, dass sich die Spieler gegenseitig helfen“, sagte Manager Bierhoff. „Ich habe Lust, dass es so weitergeht.“ So dürftig, wie es sogar der Bundestrainer suggeriert hat, sind die personellen Möglichkeiten vielleicht doch nicht. „Ich gehe irgendwie mit einem guten Gefühl in die Winterpause“, sagte Joachim Löw zum Abschied, „mit viel Mut für das nächste Jahr.“

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