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Chinas Guo Ailun siegte mit seinem Team zum WM-Auftakt gegen die Elfenbeinküste.
© AFP

Große Pläne mit der WM: Wie China das Basketball-Zentrum der Welt werden will

400 Millionen Menschen in China spielen Basketball. Die WM soll das Land jetzt zum Zentrum der Sportart machen. Vor allem mithilfe eines Mannes.

Charles Barkley gehört zu den besten Basketballspielern aller Zeiten. Charles Barkley wird als provokanter wie unterhaltsamer Experte im US-Fernsehen geschätzt. Charles Barkley hat einmal live auf Sendung einem Esel den Hintern geküsst.

Im November 2002 war das. Barkley hatte eine Wette verloren, Schuld daran war Yao Ming: Niemals würde der Chinese in seiner ersten NBA-Saison mehr als 19 Punkte in einem Spiel erzielen, hatte Barkley getönt. Bereits nach acht Spielen in der größten Basketball-Liga der Welt wurde er eines Besseren belehrt. Ming erzielte gegen die Los Angeles Lakers 20 Punkte, und Barkleys Lippen machten Bekanntschaft mit einem Eselgesäß.

Die Skepsis war groß, als sich die Houston Rockets zuvor dafür entschieden hatten, einen 2,29 Meter großen Riesen aus Shanghai beim NBA-Draft als ersten Spieler des gesamten Talentejahrgangs auszuwählen und in ihr Team zu holen. Doch Yao Ming hat den Basketball verändert. Nicht so sehr in sportlichem Maße, aber umso mehr in seiner globalen Statik.

Inzwischen ist China zum größten internationalen Markt der NBA aufgestiegen. 300 bis 400 Millionen Chinesinnen und Chinesen spielen selbst Basketball. Und mit der gerade anlaufenden Weltmeisterschaft, in die das deutsche Team am Sonntag um 14.30 Uhr (live bei Magentasport) in Shenzhen mit dem ersten Gruppenspiel gegen Frankreich einsteigt, wird das Land der Mitte nun auch zum Zentrum der Basketballwelt. Im Sommer 2015 vergab der Weltverband Fiba die WM zum ersten Mal nach China. Bei der 18. Auflage des Turniers werden in den kommenden zwei Wochen erstmals 32 Teams an den Start gehen und an acht Austragungsorten um den Titel spielen.

Eine gewichtige Rolle bei der Vergabe spielte erneut Yao Ming. Der heute 38-Jährige hat seine Spielerkarriere längst beendet und ist inzwischen zum Präsidenten des Chinesischen Basketball-Verbandes aufgestiegen. Er ist der Wegbereiter der Basketballbegeisterung in China.

So sieht es auch Henning Harnisch: „Yao Ming spielt da sicherlich die überragende Rolle“, sagt der 169-malige deutsche Nationalspieler. „Zu Yao Ming haben Leute Vertrauen. Sie glauben, dass er etwas Richtiges denkt und macht.“ Harnisch ist Vizepräsident von Alba Berlin und betreut zugleich als Botschafter das seit 2011 laufende China-Programm des Basketball-Bundesligisten. Mit dem möchte der Verein den deutsch-chinesischen Dialog fördern und „Basketball nutzen, um ein Miteinander herzustellen“, wie Harnisch es ausdrückt.

Alba pflegt ebenfalls Verbindungen nach China

Alba hat dazu verschiedene Basketballprojekte in den Regionen Peking, Shanghai, Guangdong sowie in Hongkong ins Leben gerufen. Regelmäßig reisen Verantwortliche, Teams und Coaches aus dem Verein nach China, um dort durch Turniere, Trainingscamps oder Fortbildungen an Schulen und Universitäten die Verbindungen zu stärken. Mit den Basketballverbänden von Peking und Shanghai hat Alba Kooperationsverträge geschlossen, ein Projektkoordinator arbeitet fest vor Ort. Auch der chinesischen Community in Berlin werden Angebote unterbreitet. „Basketball ist bei uns ein Medium zum Austausch“, sagt Harnisch.

Und mit diesem Medium lassen sich in China eine Menge Menschen erreichen. Das hat die NBA bereits in den späten achtziger Jahren erkannt. Damals sorgte Ligachef David Stern dafür, dass NBA-Spiele auch im chinesischen Staatsfernsehen übertragen werden. Inzwischen dauert die Partnerschaft zwischen beiden Parteien über drei Jahrzehnte an. Während der NBA-Play-offs verfolgen bis zu 40 Millionen Menschen in China die Spiele jeweils live – und das bereits am Vormittag, aufgrund des Zeitunterschieds. Als Yao Ming im Oktober 2002 sein erstes NBA-Spiel bestritt, waren es gar mehr als 200 Millionen Zuseherinnen und Zuseher.

Yao Ming (links) löste die Basketball-Euphorie in China aus.
Yao Ming (links) löste die Basketball-Euphorie in China aus.
© AFP

„Wenn sich unsere globalen Partner die NBA anschauen, dann sind die USA und China die beiden größten Märkte für sie“, sagt Derek Chang. Seit 2008 operiert die NBA mit einem eigenständigen Unternehmen in China, Chang ist dessen Geschäftsführer. „Manche von ihnen fangen sogar an, China fast als die größere Möglichkeit für ihre Weiterentwicklung anzusehen“, sagt er. Besonders der schnell wachsende chinesische Mittelstand lässt sich mit der NBA gut erreichen.

Keine Sportliga, weder national noch international, ist in China populärer. NBA-Teams vermarkten sich dort inzwischen auch eigenständig und stellen dafür chinesischsprachiges Personal ein. „Wenn es ein zweites Zentrum des Basketball-Universums gibt, dann ist das China“, sagt Scott O’Neil, der Geschäftsführer der Philadelphia 76ers. Zum chinesischen Neujahrsfest produziert die Liga Videos, in denen Stars wie Stephen Curry oder James Harden ihre Fans in Fernost grüßen. Zusätzlich tragen die Teams in einigen Spielen spezielle Trikots mit chinesischen Aufdrucken.

Um ihren Bekanntheitsgrad in China weiter zu erhöhen, setzen Liga und Teams vor allem auf die Sozialen Medien. Etwa 640 Millionen Menschen haben dort der Liga zufolge in der Saison 2017/18 NBA-Inhalte zu Gesicht bekommen – das entspricht fast der Hälfte der chinesischen Bevölkerung.

hinas Tech-Riese Tencent ließ es sich 2015 rund 500 Millionen US-Dollar kosten, fünf Jahre lang Spiele und Highlights auf den eigenen digitalen Kanälen zeigen zu können – zu denen auch der von mehr als einer Milliarde Chinesen genutzte Messengerdienst WeChat gehört. Seitdem hat sich das Publikum auf diesen Kanälen verdreifacht, im Juli wurde der Vertrag um fünf weitere Jahre verlängert.

Henning Harnisch sieht den chinesischen Hype um die NBA allerdings auch kritisch: „Das sorgt vor allem dafür, dass bei den jungen Leuten so eine falsche Idee davon ankommt, wie Basketball aussieht und läuft“, sagt Albas China-Botschafter. Denn der chinesische Basketball kommt trotz der nationalen Begeisterung weiterhin nur schwer in die Gänge.

Obwohl in keinem Land der Erde mehr Menschen Basketball spielen, hat es außer Yao Ming kein weiterer Spieler zum Weltstar gebracht. Das chinesische Nationalteam, das am Samstag seinen WM-Auftakt gegen die Elfenbeinküste mit 70:55 gewann, kann außerhalb Asiens keine nennenswerten Erfolge vorweisen. Und die chinesische Profiliga CBA gilt trotz ihrer fürstlichen Gehälter als sportlich zweitklassige Möchtegern-NBA.

Auch Niels Giffey will mit dem deutschen Nationalteam bei der WM in China auftrumpfen, so wie beim Testspielsieg in Jiangmen gegen Australien.
Auch Niels Giffey will mit dem deutschen Nationalteam bei der WM in China auftrumpfen, so wie beim Testspielsieg in Jiangmen gegen Australien.
© imago/kolbert-press

„Was ist denn jetzt der chinesische Basketball?“, stellt Harnisch deshalb die Identitätsfrage. Basketballerische Tradition ist in China eigentlich mehr als genügend vorhanden: Bereits vier Jahre nach Erfindung der Sportart durch den kanadischen Pädagogen James Naismith im Jahr 1891 brachten christliche Missionare das Spiel nach China. An Universitäten und auch in militärischen Kreisen erfreute sich Basketball bald großer Beliebtheit, selbst Mao Zedong soll ein Anhänger der Sportart gewesen sein.

1935 wurde Basketball gar zum chinesischen Volkssport erklärt, ein Jahr später nahm Chinas Nationalteam erstmals an den Olympischen Spielen in Berlin teil. An international konkurrenzfähigen Strukturen mangelt es jedoch bis heute. „Basketball ist auf eine sehr anarchische Art präsent“, sagt Harnisch.

Mit Yao Ming an der Spitze des nationalen Verbandes soll sich das ändern. Erste Reformen in der Nachwuchsarbeit sowie in der Liga hat er bereits angeschoben. Ming möchte ein universitäres Basketballprogramm nach Vorbild der US-Colleges etablieren und der Liga durch eine höhere Anzahl von Spielen und längere Play-offs zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Der Einfluss der NBA lässt sich auch bei diesen Vorhaben kaum übersehen.

Ming steht in engem Austausch mit den Bossen der nordamerikanischen Profiliga, um von deren Knowhow zu profitieren. Als Mitglied der Hall of Fame stehen ihm dazu alle Türen offen. Von einem eigenen Ansatz, der die spezifischen Bedingungen und Potenziale des chinesischen Basketballs berücksichtigt, um die Sportart nach vorne zu bringen, scheinen die Pläne jedoch weit entfernt.

Fast alles fokussiert sich auf Yao Ming

Einen solchen Ansatz bräuchte es aber, betont Henning Harnisch. Das Problem macht er jedoch nicht an Yao Ming fest. Der muss sich trotz seiner herausragenden Rolle in das starre System der chinesischen Bürokratie einordnen. „Er ist ein wahnsinnig umsichtiger und kluger Typ“, sagt Harnisch, der Ming persönlich kennengelernt hat. „Aber ich möchte nicht in seiner Haut stecken. An ihm wird vieles von dem festgemacht, was alles passieren soll.“

Die nun stattfindende Weltmeisterschaft sieht Alba Berlins Vizepräsident deshalb als eine große Chance: „Die chinesische Basketballwelt wird den Weltbasketball jenseits der NBA in einem Turnier ganz anders kennenlernen“, sagt er. Zumal die alles dominierenden US-Amerikaner in diesem Jahr mit einem stark geschröpften Team antreten, für das nahezu alle großen NBA-Stars abgesagt haben. So gab es im Vorbereitungsspiel gegen Australien die erste Niederlage nach 13 Jahren und 78 Spielen.

Die US-Profis gelten zwar nach wie vor als der Favorit auf den Titel, doch nun besteht für Spieler und Teams außerhalb des NBA-Kosmos erst recht die Chance, dem Turnier ihre eigene Note zu geben. Ein Titelgewinn der Serben oder die Wahl eines Euroleague-Spielers wie Griechenlands Regisseur Nick Calathes zum besten Spieler des Turniers würde die chinesische Basketballwelt sicherlich nicht auf einen Schlag umkrempeln. Auftritte dieser Art vor den Augen des chinesischen Publikums würden aber zeigen: Es kann auch anders gehen.

Eva-Lotta Schwarz

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