E-Sport-Profi mit Behinderung: Wettbewerb auf einem Niveau
Niklas Luginsland hat Glasknochen. Deswegen sitzt er im Rollstuhl. Bei seiner Leidenschaft beeinträchtigt ihn das aber nicht: Er ist professioneller E-Sportler.
Mit vier Jahren sah Niklas Luginsland zum ersten Mal ein Spiel des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart im Stadion. Gegner war Schalke 04. Luginsland war mit seinen Eltern da. Damit war die Fußball-Leidenschaft geweckt. Rund 20 Jahre später, im August 2018, erfüllte sich für Luginsland ein Traum: Er spielt für seinen Lieblingsverein professionell Fußball. Virtuell. Als Fifa E-Sportler.
Mit dem 23-Jährigen hat das Stuttgarter Team ganz besonderen Zuwachs bekommen - denn Luginsland hat eine seltene Erbkrankheit: Osteogenesis imperfecta - auch Glasknochen genannt. Seine Knochen sind extrem zerbrechlich. Bereits im Alter von fünf Jahren hatte er mehr als 40 Knochenbrüche und wird sein Leben lang im Rollstuhl sitzen. Doch in seiner Leidenschaft fühlt er sich dadurch nicht beeinträchtigt: "Der E-Sport ermöglicht mir einen Wettbewerb auf Augenhöhe. Das bedeutet für mich: Gleiche Bedingungen, ohne eben durch mein Handicap eingeschränkt zu sein."
Sein ausgezeichnetes spielerisches Niveau hat er bereits bei einigen Turnieren des Vereins unter Beweis gestellt. "Niklas ist hochintelligent und ein echtes Vorbild in Sachen virtueller Fußball", sagt Reinhard Heitzmann, Unternehmer und Gründer der Firma "eSportsReputation". Diese beschäftigt sich seit drei Jahren mit dem Thema E-Sport und Inklusion und hat Luginsland im vergangenen Jahr zum VfB vermittelt. Für Firmengründer Heitzmann ist er damit ein perfektes Beispiel dafür, welche Möglichkeiten E-Sport für Menschen mit Behinderung bietet.
Was man sich genau unter E-Sport vorstellen kann, bringt der e-Sport-Bund Deutschland (ESBD) in seiner Satzung vom 26. November 2017 auf den Punkt: "eSport […]ist das sportwettkampfmäßige Spielen von Video- bzw. Computerspielen, insbesondere auf Computern und Konsolen, nach festgelegten Regeln." Im Wettkampf zählen dabei vor allem drei grundlegende Elemente: die motorische Leistung der Spieler am Eingabegerät, ihre Reaktion auf Bildschirminhalte sowie die gedankliche Beherrschung des Spielablaufs. Da die Bewegungen auf dem Eingabegerät extreme Genauigkeit und Koordination erfordern, spricht man bei E-Sport auch von einer "Präzisionssportart".
Barrieren sind viel kleiner
Für Luginsland machen vor allem diese Wettbewerbskomponenten sowie die sehr realitätsgetreue Simulation des Spiels den besonderen Reiz aus. Eine Erfahrung, die für ihn im realen Fußball nie möglich gewesen wäre: "Dafür ist bei mir einfach die körperliche Voraussetzung nicht gegeben." Deshalb schätzt er vor allem das inklusive Potenzial, das ihm der E-Sport bietet: "Die grundsätzlichen Barrieren sind für mich sehr viel kleiner als im physischen Sport. Aus meiner persönlichen Perspektive entwickelt sich der Fifa E-Sport da in die richtige Richtung."
Um sich stetig zu verbessern und in den Rängen der Elite zu bestehen, trainiert Luginsland, der schon als Sechsjähriger erstmals an der Konsole spielte, täglich ein bis zwei Stunden am Computer. Bei der Weekend League - den Duellen, die am Wochenende stattfinden - kommt er sogar auf vier Stunden. Das Training findet entweder online oder im Zuge privater Treffen statt - ein richtiges Trainingszentrum hat der VfB Stuttgart bislang noch nicht. Doch die harte Arbeit lohnt sich, denn Luginsland hat es in dieser Saison bereits bei einigen regionalen Turnieren unter die Top drei geschafft. Für internationale Wettbewerbe oder sogar die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft hat es allerdings noch nicht gereicht. Das hatte vor allem zeitliche Gründe, denn parallel zu den Spielen des Bundesligisten hat Luginsland im Februar sein Bachelorstudium im Public Management abgeschlossen. Daran anknüpfend möchte er ab dem Wintersemester 2019 ein Masterstudium aufnehmen.
Bis es im Oktober so weit ist, will er seine Zeit voll und ganz dem E-Sport widmen. Über seine Erfahrungen, die er als E-Sportler gesammelt hat, sprach er kürzlich öffentlich auf dem zweiten Berliner "German E-Sports Summit". Dort war er von der Fachkonferenz des ESBD als Gast geladen gewesen. Seine lebensfrohe Art und sein offener Umgang mit der Thematik kamen gut an. "Ich wollte aufzeigen, dass durch den E-Sport Barrieren überwunden werden können. Für viele ist es beeindruckend, zu sehen, dass Menschen mit einem deutlich erkennbaren Handicap auf dem gleichen hohen Niveau spielen, wie alle anderen im Team auch", sagt Luginsland. Trotzdem hat er in der Vergangenheit auch negative Erfahrungen gesammelt: "Manche denken vielleicht: Der wurde nur wegen seiner Behinderung fürs Team verpflichtet. Ich will gemeinsam mit dem VfB zeigen, dass das nicht so ist." Mit seiner positiven Einstellung und seinem Erfolg gilt Luginsland für viele Rollstuhlfahrer als großes Vorbild. Seine Devise lautet: "Einfach auch mal machen, und nicht gleich direkt den Kopf in den Sand stecken!"
Jana Rudolf