E-Sports: Überholte Horrorklischees in den Köpfen der Sportfunktionäre
Mit Händen und Füßen sträuben sich die Sportverbände gegen die Anerkennung von E-Sports. So verpasst Deutschland eine Chance. Ein Kommentar.
Sport ist den Deutschen heilig. Also der gute, echte Sport: Übungen für einen starken Körper und eine reine Seele, die den Menschen tüchtig machen.
Das ist auch der Grund, warum sich deutsche Spitzensportverbände, allen voran der Deutsche Olympische Sportverband (DOSB), mit Händen und Füßen gegen die Anerkennung von E-Sport – Wettkämpfe in digitalen Spielen – sträuben, so gut es eben geht. Das Horrorklischee in den Köpfen der Sport-Funktionäre: Im Sport der Zukunft stehen nur noch blasse und übergewichtige Jugendliche auf dem Treppchen.
Dazu kommt: Ein kunstvoll ausgeführter Schlenker mit der Maus mag zwar mit der gleichen mechanischen Akribie eingeübt sein wie der Bewegungsablauf eines Hochspringers, doch nur einer der beiden Vorgänge vermittelt sich auch wirklich jedem Zuschauer.
Und so bemühte man sich auf Seiten des DOSB am Mittwoch bei der Sitzung des Sportausschusses im Bundestag redlich um Gräben und Hierarchien: Statt der vom E-Sport-Verband geforderten „Diskussion auf Augenhöhe“ degradierte der DOSB den E-Sport-Verband kurzerhand zu einem Akteur, mit dem man halt reden müsse, weil es der politische Rückenwind bei E-Sports gebiete. Keinesfalls solle dies aber als Dialog „von Sportverband zu Sportverband“ missverstanden werden. Augenhöhe? Fehlanzeige.
Blick auf die Geldtöpfe
Ein Schelm, wer glaubt, dass der Zutritt in die Runde der offiziell bestätigen Sportarten nicht allein wegen hehrer Ideale verwehrt wird, sondern auch mit Blick auf die Geldtöpfe: Ehrenamt, Steuer-Subventionen und das Ausstellen von Spendenquittungen sind nur einige der Vorteile im Club der offiziellen Sportarten.
Allenfalls als Einstiegsdroge in den „richtigen“ Sport sollen Vereine nach der Vorstellung des DOSB in Zukunft auch E-Sport ins Angebot aufnehmen – sich bei den Spielen aber ausschließlich auf Simulationen echter Sportarten begrenzen.
Ureigene Werte auch im E-Sport
Die Chance, die Deutschland so verpasst: Die den Sportvereinen ureigenen Werte von Leistung (Wettbewerb) und sozialem Engagement (Gemeinschaft) für die Jugendlichen des 21. Jahrhunderts attraktiv zu gestalten. Gleichzeitig bietet E-Sport die Inklusion einer Szene, denen Sportvereine bisher verschlossen blieben: Kindern mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Sowohl in der Spitzen- als auch Breitenförderung haben EU-Staaten wie Frankreich, Belgien, Schweden oder Dänemark längst mit der Förderung der neuen Jugendkultur begonnen: Mit Nationalteams, Reiseerleichterungen und gesetzlichen Anerkennungsprozessen.
Vorschlag zur Güte
Ein Vorschlag zur Güte: Die Anerkennung von E-Sport als Sportart an den Idealen von Turnvater Jahn zu messen, ist eine hohe Hürde. Wie wäre es dagegen mit den real existierenden Problemen des etablierten Sports? Aller Diskussion um gewalthaltige Computerspiele zum Trotz: Es gibt derzeit kein Hooligan-Problem im E-Sport. Auch bei den Kosten für den Steuerzahler durch den Einsatz von Polizei-Hundertschaften bei jedem Bundesligaspiel könnte E-Sports noch einiges an Raum gutmachen.
Was Spielabsprachen, Sportwettenbetrug und Doping angeht, ist der digitale Wettstreit bereits auf einem guten Weg, mit den ganz Großen mitzuhalten. Vielleicht braucht es ja nur den ein oder anderen Korruptionsskandal im E-Sports-Dachverband, bis dann doch allen Beteiligten klar wird, dass die Gemeinsamkeiten die Unterschiede zwischen Sport und E-Sport überwiegen.
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