Fahndung nach zweitem Torhüter: Wer wird Ersatz von Nationalkeeper Manuel Neuer?
Marc-André ter Stegen, Bernd Leno oder doch ein anderer: Wer könnte künftig Ersatzmann von Nationaltorhüter Manuel Neuer werden? Das Angebot ist so üppig wie vielleicht noch nie.
Marc-André ter Stegen muss sich langsam ein bisschen Sorgen machen um seinen Ruf. Anscheinend ist dem Torhüter des FC Barcelona inzwischen alles Schlechte zuzutrauen. Zumindest impliziert das eine Agenturmeldung zur jüngsten Niederlage seines Vereins vor einer Woche. „Barça wankt auch ohne ter Stegen“, titelte die Deutsche Presseagentur nach dem 1:2 beim FC Sevilla. Als wenn es der Normalfall wäre, dass Barça wankt, wenn ter Stegen im Tor steht.
Der 23-Jährige hat es sich allerdings auch ein bisschen selbst zuzuschreiben, dass überhaupt ein Zusammenhang konstruiert wird zwischen seinem Mitwirken und Niederlagen seiner Mannschaft. Es gab zuletzt Spiele, in denen Barcelona mit ihm so viele Gegentore kassiert hat wie sonst in einem kompletten Monat, in der Champions League sogar eins aus 55,5 Meter Entfernung. Das alles summiert sich zur ersten kritischen Situation seiner Karriere, für die viele bisher keine Grenze nach oben gesehen haben. Und das auch noch in einer Zeit, in der es um die künftige Stellung in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft geht. Bundestrainer Joachim Löw fahndet derzeit intensiv nach neuen Torhütern – für die Rolle des Ersatzmannes hinter Manuel Neuer.
Deutschlands Nummer eins ist natürlich sakrosankt, Neuer trägt den offiziellen Beinamen „Bester Torhüter der Welt“, sogar gegen einen Zwerg wie Georgien schafft es die Nationalmannschaft, so zu spielen, dass ihr Torhüter der beste Mann auf dem Platz ist. Und selbst wenn Neuer mal einen Fehler macht, kann das eigentlich nur am Fehler liegen, aber ganz sicher nicht an ihm. Die ausgewiesenen Begabungen ter Stegen und Bernd Leno, Kevin Trapp, Ron-Robert Zieler und Ralf Fährmann, Loris Karius und Timo Horn haben sich also definitiv nicht den besten Zeitpunkt für ihre Begabung ausgesucht. „Wir haben zurzeit so viele herausragende Torhüter, dass wir gar nicht allen gerecht werden können“, sagt Andreas Köpke, der Torwarttrainer der Nationalmannschaft.
Leno entspricht dem Ideal des Publikums
So üppig war das Angebot vielleicht noch nie: Vier deutsche Torhüter – Neuer, Leno, Trapp und ter Stegen – spielen in der Champions League. „Das ist für ihre weitere Entwicklung gut – und auch für die Nationalmannschaft“, sagt Köpke, der im Auftrag des Bundestrainers ein mehrmonatiges Casting für die Position des Ersatztorhüters bei der EM 2016 betreibt. „Jeder muss sich immer wieder neu empfehlen.“ Im September hatte Köpke ter Stegen und den Hannoveraner Zieler eingeladen, zu den Länderspielen in Irland und gegen Georgien in der vergangenen Woche durften ter Stegen und Bernd Leno vorsprechen. „Im Training machen beide einen wahnsinnsguten Eindruck“, sagte Joachim Löw. „Bernd Leno hält auch mal einen, der gar nicht zu halten ist. Er ist sehr athletisch, sehr präsent und, obwohl er zum ersten Mal dabei ist, auch sehr selbstbewusst.“
Der Leverkusener entspricht vermutlich am ehesten dem traditionellen Ideal des deutschen Publikums: Seine Paraden sind spektakulär, er ist überragend auf der Linie, was gerade in Zusammenschnitten der Sportschau sehr vorteilhaft rüberkommt, vorteilhafter jedenfalls als ein abgelaufener Ball kurz vor dem eigenen Strafraum. Umso ärgerlicher war es für Leno, dass er im ersten Bundesligaspiel nach seiner Nominierung einen Rückpass über den Fuß ins Tor flutschen ließ. Ter Stegen ist das auch schon passiert, obwohl gerade dessen fußballerische Fertigkeiten gerühmt werden. Für Köpke ist der frühere Torhüter von Borussia Mönchengladbach daher der Kandidat, „der das Torwartspiel, das wir wollen, am ehesten verinnerlicht hat“.
Wie Hund und Katze oder Kahn und Lehmann
Dass Leno und ter Stegen, beide Jahrgang 1992, in der vergangenen Woche gemeinsam bei der Nationalmannschaft unter einem Dach wohnten, war eine interessante Konstellation. Beide stehen seit der U 17 in direkter Konkurrenz zueinander, und den Erzählungen nach verstehen sie sich so gut wie Hund und Katze oder Kahn und Lehmann. Laut dem Bundestrainer ist das „ein bisschen ein Märchen“. Von Animositäten oder einer Antipathie sei nichts zu spüren, berichtete Joachim Löw. „Der Umgang ist völlig normal und professionell. Das ist uns wichtig.“
Die beiden nachwachsenden Talente sollten vermutlich weniger ihre fachliche Qualität belegen; es ging vielmehr um den Nachweis ihrer sozialen Kompetenz: Könnten sie ihren unbändigen Ehrgeiz auch unter den verschärften Bedingungen eines großen Turniers und ohne realistische Einsatzchancen unter Kontrolle halten? Hoffnung auf mehr besteht für Leno und ter Stegen erst einmal nicht. „Beide kämpfen um die Stellung hinter Manuel Neuer“, sagt Löw. Und das vermutlich noch einige Jahre. Manuel Neuer verschwendet mit 29 noch keine Gedanken an die Karriere nach der Karriere. „Grundsätzlich stehe ich voll im Saft“, sagt er. Für Bernd Leno und Marc-André ter Stegen klingt das vermutlich gar nicht gut.