Marc-André ter Stegen siegt mit dem FC Barcelona: Neuer-Herausforderer gefunden
Kategorie Klos oder Kategorie Kahn? Nach dem Champions-League-Sieg mit dem FC Barcelona wird Marc-André ter Stegen mit Manuel Neuer verglichen - und gilt nun als ernsthafter Herausforderer des Welttorhüters.
Marc-André ter Stegen trottete mit gesenktem Kopf durch seinen Strafraum. Er wendete den Jubelfeierlichkeiten den Rücken zu – als wollte er am liebsten gar nicht sehen, was in der Kurve auf der anderen Seite des Olympiastadions gerade passierte. Dabei waren es ter Stegens Kollegen vom FC Barcelona, die dort gerade das finale Tor zum 3:1 gegen Juventus Turin feierten, den Schlusspfiff und damit den Gewinn der Champions League. Kurz bevor der Torhüter die Torlinie erreichte, schien er sich zu besinnen. Er wendete, ballte kurz die Fäuste und machte sich gemächlichen Schrittes auf den Weg Richtung Ostkurve. „Ich war einfach sehr zufrieden in dem Moment“, sagte er später. „Da fällt natürlich auch eine Last ab.“
Ter Stegen, der gebürtige Mönchengladbacher und einzige Deutsche im Finale von Berlin, war auch im weiteren Verlauf immer ein bisschen spät dran. Bei der Siegerehrung bekam er den Pokal als vorletzter Spieler in die Hände. Selbst Jordi Masip, der dritte Torhüter, hatte sich noch an ihm vorbeigedrängelt. Ter Stegen hielt den Pokal kurz vor die Brust und reichte ihn gleich weiter. „Für mich ist es nicht wichtig, ob ich das Ding als Erster in der Hand habe oder nicht“, sagte er. „Eigentlich braucht man gar keinen Pokal. Die großen Erinnerungen bleiben im Kopf und im Herzen.“
Vor einem Jahr ist ter Stegen für zwölf Millionen Euro Ablöse von Borussia Mönchengladbach zum FC Barcelona gewechselt, und schon nach seiner ersten Saison ist auf den Laufwerken Kopf und Herz bereits eine Menge Speicherplatz belegt. Ter Stegen ist jetzt Spanischer Meister und Pokalsieger, dazu Gewinner der Champions League, und mit der deutschen U-21-Nationalmannschaft kann er in diesem Monat bei der Europameisterschaft in Tschechien sogar noch das persönliche Quadrupel schaffen. Nicht schlecht für einen 23-Jährigen, dessen Titelsammlung bis dahin aus der gewonnen U-17-EM im Jahr 2009 bestand.
Marc-André ter Stegen: Kategorie Klos oder Kategorie Kahn?
Ter Stegen ist nach Stefan Klos, Bodo Illgner, Oliver Kahn und Manuel Neuer der fünfte deutsche Torhüter, der die Champions League gewonnen hat. Die breite Öffentlichkeit war sich bisher nicht sicher, ob der hochbegabte junge Mann es künftig eher in die Kategorie Klos oder Kahn schaffen würde. Es waren vor allem zwei seiner bisherigen drei Länderspiele, die die Zweifel genährt haben. Bei seinem Debüt gegen die Schweiz im Mai 2012 kassierte ter Stegen fünf Gegentore. Und ein Jahr später, beim 3:4 gegen die USA, ließ er einen Rückpass über seinen Spann ins Tor rutschen.
Für das Fachpublikum hingegen ist längst klar, dass ter Stegen zu einer prägenden Figur auf seiner Position werden kann. Gianluigi Buffon, die Torhüterlegende des unterlegenen Finalisten Juventus, hat seinen deutschen Kollegen schon wahrgenommen, als der noch bei seinem Lieblingsverein Borussia Mönchengladbach unter Vertrag stand. „Ich mag seine Art zu spielen“, bekundete der 37-Jährige. „Er ist ein sehr verlässlicher Torwart.“ Und Ottmar Hitzfeld, als Trainer zwei Mal Champions-League-Sieger, sieht ter Stegen bereits jetzt „fast auf einem Niveau mit Manuel Neuer“ und künftig als klare Nummer zwei unter den deutschen Torhütern.
Was Manuel Neuer mit der Hand macht, macht Marc-André ter Stegen mit dem Fuß
Das, was Neuer mit der Hand macht, macht ter Stegen mit dem Fuß: den Ball über 40 Meter zum eigenen Mann spielen. Gegen Juventus gelangen ihm in der ersten Halbzeit zwei Pässe, die der große Andrea Pirlo vermutlich kaum besser hinbekommen hätte, den ersten nach links, den zweiten nach rechts, millimetergenau in den Fuß seines Mitspielers. „Ich habe nie einen Torwart gesehen, der den Ball so gut mit den Füßen spielt“, sagt Barcelonas Kapitän Xavi. Darüber hinaus beherrscht ter Stegen aber auch das torhüterliche Kerngeschäft. Gegen Juve musste er nur zwei Mal richtig eingreifen, und beim ersten Mal hatte er Pech, dass Alvaro Morata nach seiner glänzenden Parade gegen Carlos Tevez zum zwischenzeitlichen 1:1 abstaubte. „Ein Gegentor ärgert einen immer“, sagte ter Stegen. „Aber es war schwierig, noch zu überlegen, wo man den Ball hinlegt.“
Seine Art, das Torwartspiel zu interpretieren, prädestiniert ter Stegen vermutlich wie keinen Zweiten für den FC Barcelona. Wenn Luis Enrique seine Feldspieler mit ausladenden Handbewegungen nach vorne treibt, eilt ter Stegen im Spurt hinterher. Im Olympiastadion postierte er sich zeitweise genau in der Mitte zwischen Strafraum und Mittellinie. Xavi glaubt, dass der Deutsche für die nächsten 15 Jahre Barcas Torwart werden kann – obwohl ter Stegen in dieser Saison noch seinem neun Jahre älteren Kollegen Claudio Bravo den Vortritt in der Liga lassen musste. „Natürlich ist das nicht befriedigend“, sagte er.
Ter Stegen ist für seinen Ehrgeiz bekannt, er will am liebsten immer spielen – und vor dem Finale von Berlin hat er sogar gesagt, dass selbst der Champions-League-Titel kein Ersatz dafür sein könne, dass er in der Liga nicht gespielt habe. Ob er diese Meinung geändert habe, wurde er weit nach Mitternacht gefragt. „Wenn ich jetzt was dazu sage“, antwortete Marc-André ter Stegen, „sagt ihr wieder: Der hat se ja nicht alle.“
Unser Interview „Ich konnte ein paar Sachen – er kann alles“ mit Torwarttrainer Uwe Kamps über seinen früheren Schützling ter Stegen finden Sie hier.