Winterspiele in Südkorea: Wer soll die Deutschlandflagge bei Olympia tragen?
Für Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ist die mögliche Wahl zur Fahnenträgerin für die Winterspiele in Pyeongchang auch ein Politikum.
Es ist nur ein kurzer Auftritt. Ein Pop-up-Startum. Kurz für hunderte Millionen Fernsehzuschauer rein ins Bild marschiert und dann sofort wieder raus aus dem Bild marschiert. Oder erinnert sich jemand noch ohne großes Nachdenken daran, dass Skirennfahrerin Maria Höfl-Riesch in Sotschi 2014 als Fahnenträgerin vor der deutschen Mannschaft ins Olympiastadion schritt?
Womöglich würde die Geschichte mit der Fahne auch diesmal, zehn Tage vor den Winterspielen in Pyeongchang die Öffentlichkeit nicht groß bewegen, wenn Skirennfahrerin Viktoria Rebensburg, Rodlerin Natalie Geisenberger, der Nordische Kombinierer Eric Frenzel und Eishockeyprofi Christian Ehrhoff nur in der Auswahl für diese Ehre wären. Aber es ist eben auch noch Claudia Pechstein dabei. 45 Jahre reif, erfolgreichste Winterolympionikin aller Zeiten, die zu ihren siebten Spielen fährt – aber eben auch die Frau, die polarisiert wie kaum eine andere Sportlerin. Kurz nach der Fahnen-Nominierung sagte Pechstein: „Das bestärkt mich darin, meinen Kampf gegen die Ungerechtigkeit, die ich ertragen musste, auch juristisch bis zum Ende weiter zu führen.“
Allein die Vorwahl der um einen Teil ihrer Laufbahn betrogenen Eisschnellläuferin macht die Wahl der Fahnenträgerin oder des Fahnenträgers diesmal zu einem Teil des „Politikums Pechstein“, wie sie es selbst nennt. Ihr Lebensgefährte, Mentor und Mentaltrainer Matthias Große sagt zu einer möglichen Wahl Pechsteins: „Das wäre der i-Punkt auf der Rehabilitation, mehr geht sportpolitisch nicht.“
Die Fahne in den Händen, um sich zu rehabilitieren also, um weiter zu kämpfen in diesem zähen Dauerkampf gegen einen Feind, den sie, die Berliner Polizistin, nicht zu packen bekommt, gegen ein System, das sie nicht fassen kann. Die zweijährige Sperre durch den Weltverband ISU wegen angeblichen Blutdopings, weshalb sie Olympia 2010 in Vancouver verpasste, ist ihr Thema: „Jede Medaille, die ich seit meinem Comeback gewonnen habe, ist eine schallende Ohrfeige für den Weltverband, der sich 2009 nicht zu blöde war, zu behaupten, in meinem Alter seien solche Top-Leistungen, wie ich sie bringe, sauber nicht möglich.“
Pechstein wurde bescheinigt, dass eine Blutanomalie ihre Werte zum Schwanken bringt und kein Dopingmittel. Sie sei „Opfer, nicht Täter“, sagt Alfons Hörmann, Chef des Olympischen Sportbundes (DOSB) und verwies angesichts der Nominierung für die Fahnen-Wahl auf ihre Erfolge von „historischem Ausmaß“. Er habe aber „Verständnis, dass der eine oder andere auch Skepsis“ habe.
Kölns Torwart-Legende Peppi Heiß kämpft für Ehrhoff
Und Pechstein hat einen Gegenspieler, mit dessen Auswahl sie und der Auserwählte selbst nicht gerechnet hatten: Christian Ehrhoff steht auch zur Wahl. Als Kapitän der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft steht er vielleicht nicht so im Fokus, ist aber unbestritten ein Mannschaftspieler und Star im Sport. Jeder Eishockeyfan kennt Christian Ehrhoff, weltweit. In seiner besten Zeit hatte der vom Niederrhein stammende Verteidiger in der nordamerikanischen Profiliga NHL einen Vertrag über 40 Millionen Dollar bei den Buffalo Sabres – von dem Kontrakt zehrt Ehrhoff, inzwischen 35 Jahre alt und in Deutschland bei den Kölner Haien aktiv, immer noch. Sein Ex-Klub Buffalo muss noch bis zur Saison 2027/2028 pro Spielzeit 857 000 Dollar an ihn zahlen.
Es spricht viel dafür, dass es ein Fahnen-Duell Pechstein gegen den Eishockey-Millionär wird. Die Bundespolizistin trommelt über soziale Netzwerke, in der Eishockeyszene passiert ähnliches. Einer von Kölns anderen Nationalspielern, Moritz Müller, sieht Ehrhoff im Vorteil. „Wenn man sieht, wie viele Fans an jedem Wochenende in die Arenen strömen, dann ist das schon gewaltig“, sagte Müller dem „Kölner Express“. Auch Kölns Torwart-Legende Peppi Heiß (drei Olympiateilnahmen) kämpft nun für Ehrhoff und sagte dem Blatt: „Das wäre fürs deutsche Eishockey grandios.“
Claudia Pechstein hat ihr eigenes Team
Aber die Eishockeyfans werden womöglich nicht unisono für Ehrhoff stimmen, wie auch nicht alle Anhänger des Wintersports für Pechstein stimmen dürften. Daher wird das Ergebnis der Publikumswahl im Internet (Abstimmung auf: www.teamdeutschland.de) sicher ebenso spannend, wie das zur Hälfte in die Wertung eigene Votum der 154 deutschen Athleten. Darunter sind immerhin 25 Eishockeyspieler und eben auch viele Wintersportler aus Bayern – was gegen Pechstein spräche, zumal die Eisschnellläufer eine kleine Fraktion stellen und die Hälfte der deutschen Läufer auch noch mit Viktoria Rebensburg studiert hat.
Claudia Pechstein gilt nicht eben als Teamplayerin, sie hat ein eigenes Team, einen eigenen Trainer und mit der deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) weniger zu tun – und nun also soll sie ein Team anführen? Christian Ehrhoff hat als Profi mehr Geld verdient als die anderen vier Kandidatinnen und Kandidaten je zusammen verdienen werden und wird mit der deutschen Mannschaft in Südkorea eher nicht zu einer Medaille kommen. Warum also Ehrhoff?
Rebensburg, dem bodenständigen Eric Frenzel oder Rodlerin Natalie Geisenberger lässt sich weder ein streitbares Image noch Geldgier vorwerfen, also wären sie womöglich die idealen Kandidaten. Aber natürlich, auch das lässt sich diskutieren: Zumindest die Nordische Kombination als auch das Rodeln sind Sportarten, die fast exklusiv bei den übertragenden Fernsehsendern ARD und ZDF weltberühmt sind. Bei den Olympischen Spielen spielen sie in der allgemeinen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Wer je in einem zu dreiviertel leeren Pressezentrum bei olympischen Rodelwettbewerben war, weiß, dass da kaum ein Journalist, der nicht aus der Alpenregion stammt, einen Fuß über die Schwelle setzt. Und wie man es auch dreht und wendet: Von den Erfolgen her liegt Claudia Pechstein klar vor den anderen vier Kandidaten, das ist unstrittig.
Die Abstimmung für die Fahnenträgerin oder den Fahnenträger läuft bis zum 4. Februar. Athleten- und Publikumswahl zählen zu je 50 Prozent. Das Ergebnis wird am 8. Februar verkündet, einen Tag vor der Eröffnungsfeier. Und zwei Tage später ist dann womöglich schon wieder Nebensache, wer die Fahne getragen hat.