Serie: Berlin trainiert für Olympia (2): Claudia Pechstein: Geschichte auf Kufen
Sie hat die zehnte olympische Medaille im Visier: Claudia Pechstein wird in Pyeongchang fast 46 Jahre alt sein und hat vor den Spielen nur ein Ziel.
Am 9. Februar beginnen in Pyeongchang die Olympischen Winterspiele. Einige Berliner Athleten sind im Kampf um Medaillen in Südkorea am Start. Wir stellen sie in den kommenden Wochen vor.
Es ist dieser Wille. Dieser Wille, schneller zu sein als die anderen und es denen zu zeigen, die ihr mit einer zu Unrecht ausgesprochenen Strafe einen Teil ihrer Karriere geraubt haben. Claudia Pechstein will diesen Kampf gewinnen. Sie will diese olympische Medaille, mindestens noch eine. Fünfmal Gold, zweimal Silber und zweimal Bronze hat sie schon erlaufen. In Pyeongchang, bei ihrer siebten Teilnahme bei Olympischen Spielen, soll die zehnte Medaille dazukommen. Wahrscheinlich am 16. Februar im 5000-Meter-Rennen.
Sechs Tage nach ihrem letzten Auftritt in Pyeongchang wird Pechstein 46 Jahre alt. Keine Frage, bei einem Medaillengewinn hätte sie im Eisschnelllauf wieder einmal Einmaliges geleistet. Nach ihrem letzten Auftritt bei den Spielen von Südkorea wohlgemerkt. Ob sie nach Südkorea aufhört, das weiß sie nicht. Pechstein hat ja schon 2014 in Sotschi kurz nach ihrem unglücklichen Abgang mit Platz fünf über 5000 Meter alle erstaunt, als sie angekündigte, ein Karriereende sei jetzt „kein Thema“. Über 3000 Meter war sie Vierte geworden. Sotschi war eine verpasste Chance von Pechstein, die bei den Spielen von Russland diese eine Mininuance zu verkrampft wirkte. Aber was heißt das schon, wer so knapp scheitert wie die Berliner Polizeibeamtin in Sotschi-Adler, der ist absolute Weltklasse.
In jedem Fall habe sie diesmal vor den Spielen in Südkorea vor allem anderen die Spiele im Kopf, sagt sie. Die Europameisterschaften Anfang Januar gehörten nicht zu ihrem Programm. „Für mich zählt 2018 nur Olympia, dem ist alles andere untergeordnet“, sagt Pechstein. Ihre Spezialstrecke, die 5000 Meter, wurden bei der EM in Kolomna, im russischen Eisschnelllauf-Zentrum, ohnehin nicht gelaufen.
Für Claudia Pechstein heißt es: Alles auf Pyeongchang also oder genauer gesagt Gangneung – denn dort werden die Eisschnelllaufwettbewerbe ausgetragen, an der Ostküste von Südkorea am Ostmeer. Bereits am 10. Februar stehen dort die 3000 Meter auf dem Programm. Es könnte möglich sein, dass Claudia Pechstein deswegen am Tag zuvor bei der olympischen Eröffnungsfeier nicht die Fahne der deutschen Mannschaft trägt. Aber da ist noch nichts entschieden. Ob nun als Fahnenträgerin oder noch wichtiger dann als Medaillenträgerin: Die strahlende Siegerin, wie aus dem einst inszenierten „Zickenkrieg“ mit Anni Friesinger, wird es wohl kaum noch geben. Die reife Pechstein hat genug mit sich selbst zu tun.
Die zweijährige Sperre durch den Weltverband ISU wegen angeblichen Blutdopings, weswegen sie Olympia 2010 in Vancouver verpasste, wirkt eben nach. Es ist längst bescheinigt, dass eine von ihrem Vater geerbte Blutanomalie ihre Werte zum Schwanken bringt und kein Dopingmittel.
Dem Tagesspiegel hat Claudia Pechstein im vergangenen Frühjahr gesagt: „Die Wunden meiner Unrechtssperre werden nie gänzlich verheilen. Die Spiele in Vancouver sind mir durch die Bosse des Weltverbandes gestohlen worden. Jede Medaille, die ich seit meinem Comeback gewonnen habe, ist eine schallende Ohrfeige für den Weltverband, der sich 2009 nicht zu blöde war, zu behaupten, in meinem Alter seien solche Top-Leistungen, wie ich sie bringe, sauber nicht möglich.“
Einer Pechstein kann niemand unterstellen, dass sie nicht fit sei
Claudia Pechstein wird sich vor den Spielen besonders auf die 5000 Meter konzentrieren. Es sei ihr klar gewesen, dass sie ein neues Trainingsumfeld brauche, hat sie gesagt. Ihr „Team Pechstein 2018“ mit dem erfahrenen Trainer Peter Mueller habe dazu beigetragen, dass sie „im Rennen die nötigen Körner hatte, das Tempo bis zum Ende hochzuhalten beziehungsweise sogar noch zu beschleunigen“.
Natürlich gibt es sie zur Genüge, die Lobeshymnen auf die reifende Pechstein, die nicht nachlassen will in ihrer Leistung. Einer Pechstein kann niemand unterstellen, dass sie nicht fit sei. Und relativieren lässt sich ihre Leistung auch nicht, dass sie als Sprinterin im Eisschnelllauf in ihrem Alter wohl kaum noch derartig erfolgreich wäre, ist logisch. Kondition lässt sich über die Jahre antrainieren, Schnellkraft nicht. Ein 45 Jahre alter Snowboarder auf Weltniveau sei eben kaum vorstellbar, sagt der Berliner Sportmediziner Torsten Dolla.
Robert Bartko, Sportdirektor bei der Deutschen Eisschnelllauf-Gesellschaft (DESG), hat gesagt: „Claudia Pechstein ist ein Vorbild von ihrer Willensstärke und Leidenschaft her, sie ist eine große Sportlerin.“
Das ist keine Frage und womöglich wird sie auch noch eine große Sympathieträgerin, wenn die Berlinerin dann in Südkorea ihre zehnte (oder sogar auch elfte) Medaille holt. Am 20. November hat Claudia Pechstein in Stavanger zum 33. Mal im Weltcup über die 5000 Meter triumphiert, mit 45 Jahren. Fast 20 Jahre nach ihrem ersten Sieg im Weltcup. „Ich habe hier Eisschnelllauf-Geschichte geschrieben. In diesem Alter wird wohl nie wieder einer Athletin ein Weltcupsieg gelingen“, hat Pechstein nach dem Erfolg gesagt.
Ihre Aussagen nach dem Auftritt beim olympischen Rennen am 16. Februar in Südkorea werden mindestens genauso spannend, wie das Rennen selbst. Erst recht, wenn sie denn triumphiert. Als älteste Olympiasiegerin aller Zeiten könnte sich Claudia Pechstein übrigens nicht feiern. Den olympischen Altersrekord hält Oscar Gomer Swahn, ein Sportschütze. In Stockholm gewann der Schwede 1912 seine letzte von drei Goldmedaillen, in der Disziplin „Laufender Hirsch“, Sparte Einzelschuss. Er war damals 64 und wurde acht Jahre später bei den Sommerspielen von Antwerpen der bisher älteste olympische Medaillengewinner. Mit 73 Jahren. Claudia Pechstein hat also womöglich noch viel vor sich.
Bisher erschienen: Die Eishockeyspieler Frank Hördler, Jonas Müller und Marcel Noebels.