Eishockey-Weltmeisterschaft in Deutschland: Christian Ehrhoff, übernehmen Sie!
Tobias Rieder fällt aus, Patrick Hager ist gesperrt – nun kommt es im deutschen Team bei der Eishockey-WM auf den Kapitän und seine Erfahrung an.
Das Spiel war schon verloren. Schlimm genug nach zwei Dritteln. Aber Christian Ehrhoff spürte, dass seine Mitspieler auf bestem Wege waren, auch noch ihren Mut zu verlieren. 0:5 stand es gegen die Russen, die besten deutschen Stürmer waren vom Eis. Patrick Hager mit einer Matchstrafe, Tobias Rieder mit einer Verletzung. Aus der Heim-WM der deutschen Eishockeynationalmannschaft schien am Montag in der Kölnarena eine Grusel-WM zu werden. Der Mannschaftskapitän spürte das. Bevor das letzte Drittel begann, klatschte Ehrhoff jeden seiner Mitspieler im Kabinengang ab. „Charakter zu zeigen“ – darum sei es ihm gegangen. Und das gelang dann, sein Team gewann das letzte Drittel und machte aus dem 0:5 ein erträglicheres 3:6.
Die zweite Niederlage im dritten Turnierspiel ist an sich für das deutsche Team keine Katastrophe, aus den Spielen gegen die USA (2:1), Schweden (2:7) und Russland drei Punkte auf dem Konto zu haben, ist in Ordnung vor den Spielen gegen die vier eher schwächer einzuschätzenden Gruppengegner. Doch das Spiel gegen Russland zieht einen gewaltigen Kater nach sich. Hager ist nach seiner überflüssigen Matchstrafe gesperrt und fehlt nun beim das Spiel gegen die Slowakei am Dienstag (20.15 Uhr, live auf Sport 1). Tobias Rieder fällt sogar für den Rest der WM aus, was noch schlimmer wiegt. Der Angreifer von den Arizona Coyotes riss sich im dritten Vorrundenspiel die Syndesmose im rechten Fuß.
Bundestrainer Marco Sturm sagte dazu: „Das ist sehr bitter für uns. Er ist unser absoluter Leader.“ Somit ist sicher Verteidiger Christian Ehrhoff jetzt der Spieler, der mit seinen 34 Jahren in den kommenden Spielen die größte Verantwortung übernehmen muss. Sturm erwartet das auch von seinem Kapitän, der von allen aktiven deutschen Profis die meisten Spiele in der National Hockey League (NHL) gemacht hat (862). Sturm sagt über Ehrhoff: „Er war gegen die Russen sehr, sehr wichtig für unser Spiel. Er ist jetzt ja auch fit.“
Die ersten beiden Spiele bei der WM verpasste Ehrhoff, nun sagt er: "Mir geht es gut"
Das mit der Fitness ist bei Christian Ehrhoff so eine Geschichte, seine erste Saison bei den Kölner Haien war nach seiner Rückkehr aus der NHL in die Deutsche Eishockey-Liga von Rückschlägen begleitet. Wegen einer Verletzung am Rücken konnte der vor einigen Jahren in der NHL bestbezahlte Verteidiger nicht seine alte Form finden. Bei der WM nun musste Ehrhoff in den beiden ersten Spielen passen. Was in seinem Fall offiziell als „Oberkörperverletzung“ firmiert, wirkt wie eine Rücken- oder Schulterverletzung. Auffällig war gegen Russland, dass der an sich fehlerlos spielende Ehrhoff keinen seiner üblichen und gefährlichen Schlagschüsse abgab, da wirkte er gehemmt. Ehrhoff gibt zu dem Thema keine erschöpfende Auskunft. „Körperlich geht es mir ganz gut“, sagt er.
Christian Ehrhoff kann die deutsche Mannschaft führen, das hat er zum Beispiel bei der Heim-WM 2010 demonstriert. Als er aus der NHL nachkam und mit seinem immer noch starken Antritt das Spiel der Deutschen schneller machte, half das enorm. Auch jetzt ist sein Tempo gefragt, so wie auch konzentrierte Arbeit an der blauen Linie des Gegners bei Angriffen. Denn da waren die Deutschen gegen Schweden und die Russen zu oft aus der Position gerutscht.
Es ist auffällig, dass in der Verteidigung gegen die starken Gegner fast alle Spieler überfordert waren – vom jungen Konrad Abeltshauser (München) bis zum gestandenen Frank Hördler (Berlin). Da kommt es jetzt auf die NHL-erfahrenen Dennis Seidenberg (New York Islanders) und eben Ehrhoff an in den kommenden Spielen, zumal ja Verstärkung aus Nordamerika so schnell nicht kommt (siehe Kasten).
Christian Ehrhoff will sich aber nicht lange mit denen aufhalten, die nicht mehr oder noch nicht für das deutsche Team spielen können. „Wir müssen das Positive aus dem Spiel gegen Russland mitnehmen“, sagt er. „Enorm wichtig war, dass wir nicht nur alles gegeben haben, sondern auch ein paar Tore dabei rumgekommen sind.“ Das müsste mental stark machen für die jetzt kommenden Spiele, die sehr wichtig sind im Hinblick auf die Platzierung in der Gruppe und das Ziel Viertelfinale – damit aus der Heim-WM keine Grusel-WM wird. Denn Bundestrainer Sturm wollte ja bei diesem Turnier in Köln „Fortschritte“ bei seinem Team sehen und keine Rückfälle in alte Zeiten.