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Gute Laune: Superstar Anthony Davis trägt in der kommenden NBA-Saison das Trikot der Los Angeles Lakers.
© Burt Harris/dpa

BIG FOUR - Die US-Sport-Kolumne: Wechsel-Wahnsinn in Milliardenhöhe

Die NBA erlebt zurzeit den wildesten Transfersommer ihrer Geschichte. Superstars wechseln ihre Teams – und folgen dabei einem Trend der letzten Jahre.

Zuletzt ist es doch sehr ruhig geworden auf dem Twitter-Account von Adrian Wojnarowski, man ist fast geneigt zu sagen: gespenstisch still. Im Moment schickt der Angestellte des US-amerikanischen Sportsenders „ESPN“ vielleicht fünf, sechs Tweets pro Tag in die Welt hinaus – für viele Benutzer des Kurznachrichtendienstes eine hohe Frequenz, für Wojnarowski dagegen weit unter Durchschnitt an der Grenze zur Beschäftigungslosigkeit. Die Stellenbeschreibung des 50-Jährigen, Spitzname: Woj, lässt bereits erahnen, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet: mit dem Handel von Gerüchten und Informationen, mit neuen Verträgen und Vereinswechseln. Als „Senior Insider“ der National Basketball Association (NBA) zapft er Quellen an, die im Regelfall nicht namentlich genannt werden wollen, dafür aber umso besser informiert sind.

In genau dieser Funktion als Insider muss sich Wojnarowski seit Anfang Juli die Finger wundgetippt haben. Schließlich hat die NBA gerade den wildesten Transfersommer ihrer 73-jährigen Geschichte erlebt: Von Kevin Durant über Anthony Davis und Kawhi Leonard bis hin zu Russell Westbrook haben zahlreiche Superstars den Verein gewechselt und die vermeintlich zementierten Kräfteverhältnisse in der weltbesten Basketball-Liga verschoben.

Allein am ersten Tag der sogenannten Free Agency – also jener Phase, in der sich vertragslose Spieler neu orientieren dürfen – investierten die 30 NBA-Klubs etwa drei Milliarden Dollar in neue Spielerverträge. Böse Zungen behaupten, die Sommerpause sei wesentlich spannender verlaufen als die letzten fünf Spielzeiten, in denen die Golden State Warriors immer die Finalserie erreichten und drei Meisterschaften gewannen.

Dass im Sommer 2019 die Verträge einiger großer Spieler auslaufen würden, war hinlänglich bekannt. Anders als im europäischen Sport sind grundsätzliche Vertragsinhalte wie Laufzeit und Verdienst in den USA kein streng gehütetes Geheimnis, im Gegenteil: durch die Gehaltsobergrenze sind die Klubs verpflichtet, das Salär ihrer Angestellten öffentlich zu machen. Die Frage lautete also nicht, ob der Wechsel-Wahnsinn irgendwann beginnen würde, sondern nur: Wann? 

Den Anfang machte am 1. Juli der mehrfache All-Star Kevin Durant von den Golden State Warriors. Das Transferfenster war gerade zwei Minuten offen, als der 30-Jährige seinen Wechsel zu den Brooklyn Nets via Instagram bestätigte. Mehr als 40 Millionen Euro jährlich bringt ihm der Deal ein – obwohl er nach einem in der Finalserie erlittenen Achillessehnenriss die komplette nächste Saison auszufallen droht.

Darüber hinaus verpflichtete der Klub aus dem bevölkerungsreichsten Stadtteil New Yorks zwei weitere Spieler aus dem oberen Regal: Kyrie Irving von den Boston Celtics und Durants Kumpel DeAndre Jordan schlossen sich ebenfalls den Brooklyn Nets an – und machten die Franchise damit über Nacht zu einem heiß gehandelten Titelkandidaten.

Kumpels, die auf Titeljagd gehen

Damit folgten Durant, Irving und Jordan einem Trend, der sich in den bereits seit längerer Zeit abgezeichnet hat in der NBA: Befreundete Spieler sprechen sich im privaten Rahmen darüber ab, wo ihre sportliche Zukunft liegt und finden sich dann am neuen gemeinsamen Standort zusammen. Für den Anfang dieser Entwicklung zeichneten die Boston Celtics vor gut zehn Jahren verantwortlich: Seinerzeit schmiedeten die US-Nationalspieler Kevin Garnett, Ray Allen und Paul Pierce den Plan, ein Team mit drei Superstars zu bilden und somit ihre Chancen auf den Gewinn einer Meisterschaft massiv zu steigern. Mit Erfolg: Ein Jahr später gewann das Trio mit den Celtics den NBA-Titel.

Das Beispiel sollte Schule machen: In Miami taten sich 2010 Dwyane Wade, Chris Bosh sowie LeBron James zusammen und holten in den folgenden vier Jahren zwei Meisterschaften. Ähnlich lief es 2016 bei den Golden State Warriors: Nach der sensationellen Finalniederlage des Topfavoriten gegen die Cleveland Cavaliers ergänzte der Verein seinen ohnehin hochklassigen Kader mit dem vielleicht besten Individualisten der Liga: mit Kevin Durant. In der Folge musste sich Durant, der James für seinen Wechsel nach Miami scharf kritisiert hatte, einiges anhören.

Ab durch die Mitte: In der Finalserie holte sich Kawhi Leonard als bester Spieler mit den Toronto Raptors den NBA-Titel. Nun wechselt er zu den Los Angeles Clippers.
Ab durch die Mitte: In der Finalserie holte sich Kawhi Leonard als bester Spieler mit den Toronto Raptors den NBA-Titel. Nun wechselt er zu den Los Angeles Clippers.
© Ezra Shaw/AFP

Mittlerweile sind zusammengebastelte Superstar-Teams keine Seltenheit mehr. James’ aktueller Arbeitgeber etwa, die Los Angeles Lakers, bemühen sich gerade nach Kräften, ihrem besten Mann starke Adjutanten an die Seite zu stellen. Im Zuge dessen verpflichteten die Lakers einen der begehrtesten Free Agents des Sommers: Anthony Davis von den New Orleans Pelicans. Um den 2,06-Meter-Mann finanzieren zu können, trennten sich die Lakers von ihrer halben Mannschaft; auch der Berliner Moritz Wagner, der bei Alba das Nachwuchsprogramm durchlaufen hat, ist davon betroffen. Wagner verdient sein Geld künftig in der US-Hauptstadt bei den Washington Wizards.

Das vorletzte große Wechselbeben löste schließlich Kawhi Leonard aus. Der 28-Jährige war erst vor einem Jahr von den San Antonio Spurs zu den Toronto Raptors gewechselt und hatte den kanadischen Klub direkt in seiner ersten kompletten Saison zum Titel geführt. Nun schließt sich Leonard dem zweiten NBA-Klub aus der Glitzer-Metropole Los Angeles an, den LA Clippers – und wird mehrmals in der Saison auf einen Klub treffen, bei dem sich zwei weitere Ausnahmekönner zusammengetan haben: James Harden und Russell Westbrook, einst in jungen Jahren gemeinsam für die Oklahoma City Thunder aktiv, gehen nach Westbrooks Wechsel künftig gemeinsam bei den Houston Rockets auf Punktejagd.

Westbrook war – zumindest bisher – die letzte prominente Personalie im verrücktesten Transfersommer der NBA-Geschichte. Es sieht also so aus, als könnte Adrian Wojnarowski demnächst tatsächlich ein paar Tage Urlaub machen; die neue NBA-Saison beginnt erst am 19. Oktober.

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