Hertha kassiert bis zu 20 Millionen Euro: Wechsel von John Anthony Brooks nach Wolfsburg perfekt
John Anthony Brooks hätte zur prägenden Figur von Hertha BSC werden können, jetzt wechselt der Verteidiger zum VfL Wolfsburg.
Ein gutes halbes Jahr, bevor John Anthony Brooks auf der großen Bühne Profifußball aufgetaucht ist, haben die Experten ihn schon auf dem Schirm gehabt. Im Januar 2012 war Hertha BSC mit Trainer Michael Skibbe im Trainingslager in Belek, und zum Kader des Berliner Bundesligisten gehörten damals auch ein paar Talente aus dem eigenen Nachwuchs, unter anderem Jerome Kiesewetter, Abu Bakarr Kargbo und eben Brooks, damals 18 Jahre alt. Sie durften schon mal die raue Profiluft schnuppern. Ein bekannter Spielerberater beobachtete Herthas Einheiten in der Türkei und wurde schließlich auf Brooks aufmerksam. „Hat der schon einen Berater?“, fragte er. Hatte er.
Das Talent des Innenverteidigers ist früh aufgefallen. Mit 19 debütierte Brooks für Hertha in der Zweiten Liga und wurde gleich Stammspieler. „John ist ein Spieler mit einer außergewöhnlichen Begabung“, hat Jos Luhukay, sein damaliger Trainer, gesagt. „Er begeht extrem wenige Fouls, weil er gut antizipiert, und auch in der Spieleröffnung hat er sich unglaublich gut entwickelt.“ Mit 20 wurde der gebürtige Berliner zum ersten Mal für die A-Nationalmannschaft der USA, der Heimat seines Vaters, berufen, mit 21 nahm er an der WM in Brasilien teil. Und jetzt, mit 24, verschafft er seinem bisherigen Arbeitgeber eine Rekordablöse. Am Mittwoch wurde der Transfer als perfekt vermeldet. Brooks erhält beim VfL Wolfsburg einen Fünfjahresvertrag, Hertha im Gegenzug eine Ablöse von bis zu 20 Millionen Euro.
Dass Brooks dieses Geld wert sein kann, hat er an guten Tagen schon bewiesen, wenn er seine Aufgaben mit einer aufreizenden Selbstverständlichkeit erledigt. Er besitzt eine gute Übersicht, ist schnell zu Fuß, kopfballstark und mit seinem stabilen linken Fuß prädestiniert für den Spielaufbau. Es hat bei Brooks aber auch viele nicht ganz so gute Tage gegeben, an denen er schläfrig und phlegmatisch wirkte und ein bisschen verhuscht. Erst am letzten Spieltag der gerade abgelaufenen Saison, beim 2:6 gegen Bayer Leverkusen, hat der US-Nationalspieler wieder in der Rolle des zerstreuten Professors geglänzt.
Herthas Manager Michael Preetz hat bei der Mitgliederversammlung am Dienstag von intensiven Gesprächen mit Brooks berichtet. „Wir lassen ihn nicht gerne ziehen“, sagte er. Das liegt an seiner unbestreitbaren Qualität als Fußballer. „Es gibt wenige Innenverteidiger in der Bundesliga, die dieses Potenzial haben“, findet Trainer Pal Dardai. Darüber hinaus hätte Brooks das Potenzial besessen, die Identifikationsfigur für Herthas Fans zu werden. Mit 14 ist er von der kleinen Hertha aus Zehlendorf zur großen nach Westend gewechselt. Dardai hat ihn schon vor anderthalb Jahren als künftigen Kapitän der Bundesligamannschaft gesehen, Manager Preetz ihn noch im Januar als „zentrale Figur in unserer Mannschaft und in unseren Planungen“ bezeichnet.
"Klinsmann macht ihn verrückt"
Die Trauer über seinen Weggang wird bei Hertha nicht nur durch die hohe Ablöse aus Wolfsburg gelindert. Es hat zumindest latente Zweifel gegeben, wie weit es für Brooks nach oben gehen kann: ob die Grenze für ihn tatsächlich nur der Himmel ist, wie es sein früherer US-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann einmal behauptet hat. Wenn der Innenverteidiger von Dienstreisen aus den USA zurückkehrte, war er noch über die 1,93 Meter hinausgewachsen, die als Körpergröße in seinem Pass eingetragen sind. Klinsmann hat bei Brooks nie mit Lob gegeizt – bei Hertha waren sie darüber nur bedingt glücklich. „Klinsmann macht ihn verrückt mit seinen Mails“, hat einmal jemand aus der sportlichen Führung des Vereins geklagt.
Brooks ist auch für die Trainer bei Hertha kein einfacher Typ gewesen. Immer wieder mussten sie ihn auf dem Weg in den Himmel auf den Boden zurückholen. Mit Journalisten hat er selten gesprochen. Doch das hatte weniger mit Arroganz zu tun als mit – Angst. Bei den seltenen Interviews kauerte Brooks fast zusammengesunken in seinem Sitz, seine Stimme zitterte. Abseits des Platzes war von Selbstgewissheit wenig zu spüren. Den Anforderungen des täglichen Lebens begegnete Brooks mit einer gewissen Naivität.
Davon zeugt auch seine Entscheidung für den VfL Wolfsburg.
„Meine aktuelle Herausforderung heißt Hertha, hier bin ich zu Hause. Alles ist schön. Ich bin glücklich“, hat Brooks erst vor drei Monaten im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt. Hertha hätte ihm in der neuen Saison Spiele in der Europa League bieten können, während die Wolfsburger sich nur dank der Relegation überhaupt den Verbleib in der Bundesliga gesichert haben. Und es wäre naiv zu glauben, dass der VfL nun automatisch den Status als Bayern-Jäger zurückerlangt. Der junge Sportdirektor Olaf Rebbe wird bereits in Frage gestellt, und auch bei Trainer Andries Jonker bestehen trotz des Klassenerhalts Zweifel.
John Anthony Brooks wird wegen seiner lässigen Art auf dem Fußballplatz oft mit Jerome Boateng verglichen. Sein Vorbild in der Jugend aber war Josip Simunic. „Er hat mir sehr gefallen. Von ihm habe ich mir viel abgeguckt“, hat Brooks einmal erzählt. Auch Simunic war Linksfuß, auch er hat – wie Brooks – von der Premier League geträumt, auch er hat Hertha für viel Geld verlassen. 2009 ist er zum englischen Traditionsverein TSG Hoffenheim gewechselt.