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Toni Kroos kann wahnsinnig viel – sagt nicht nur Bundestrainer Joachim Löw
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WM 2014: Was von Toni Kroos in Brasilien erwartet wird

Toni Kroos kann wahnsinnig viel – sagt nicht nur Bundestrainer Joachim Löw. Vor allem die Leichtigkeit, wie er Bälle mit Richtungsänderung annimmt, ist ein Merkmal seines Spiels. Bei der WM geht es ihm nun darum, sein ganzes Können konstant zu zeigen.

Der letzte Deutsche, der als Kapitän den Fußball-Weltpokal gen Himmel reckte, war Lothar Matthäus. Das Leben des damals kernigen Mannes aus Herzogenaurach nahm von da an einen ganz besonderen Dreh. Als Fußballprofi brachte er es auf unerreichte 150 Länderspieleinsätze und weltweite Ehr, im Zivilen trat er in einige Fettnäpfe, zeugte Kinder und schloss reichlich Ehen. Bis heute lebt Matthäus von seiner Legende und musste in seinem erlernten Beruf als Raumausstatter keinen Handschlag tun.

Die Sache mit dem Pokal ist jetzt ziemlich genau 24 Jahre her. Einen neuen Matthäus hat Deutschland nicht, aber einen, der auf dem Fußballfeld als der perfekte Raumausstatter durchgeht: Toni Kroos. Ein Spieler, der mit seinem Spiel Enge öffnet und Weite schluckt. An ihm führt deshalb kaum ein Ball vorbei. Mit hoher Verlässlichkeit ist der Mittelfeldspieler vom FC Bayern derjenige, der die meisten Ballkontakte aller Spieler auf sich vereint, der die meisten Pässe spielt – und das mit einer Genauigkeit, wie sie jeder Gegner fürchtet. Es sind Pässe, die Lücken reißen, die Räume in die Tiefe aufzeigen und seinen Mitspielern Zeit verschaffen. Raum und Zeit sind im modernen Fußball die höchsten Güter.

Zentrale Rolle in der Mannschaft

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, dass Toni Kroos in Brasilien in einer zentralen Rolle der deutschen Mannschaft zu sehen sein wird. In einer Rolle also, die er vor zwei Jahren bei der EM noch nicht spielte, spielen durfte. Damals war er ein Bankdrücker. „Jetzt erwarte ich von ihm eine andere Rolle“, sagt Joachim Löw. „Ich glaube, dass er für uns ein sehr wichtiger Spieler sein wird.“

Wenn man so will, agiert Toni Kroos im Herzzentrum einer Mannschaft. Der mit Geschick im Fuß und Rhythmusgefühl am Leib so überaus beglückte Münchner verbindet Ballannahme und Ballweitergabe derart reibungslos, dass das Spiel im Fluss bleibt. Jupp Heynckes, Bayerns einstiger Triple-Trainer und Förderer von Kroos, hat sein Urteil einmal in einen schwärmerischen Satz gegossen. „Fußballerisch ist das, was er spielt, eine Delikatesse.“

Tatsächlich ist es so, dass Kroos mit seiner famosen Ballbehandlung einer breiten Masse hinlänglich bekannt ist, seine eigentliche Kunst sich aber längst nicht allen zu erkennen gegeben hat. Vor allem die Leichtigkeit, wie er Bälle mit Richtungsänderung annimmt, ist so ein Merkmal seines Spiels. Auf ebendieser Fähigkeit beruht heutzutage die Rolle des zentralen Ballverteilers und Taktgebers. Im alten Fußball teilten sich meist der Achter und Zehner diese Aufgabenbereiche.

Der moderne Fußball hat die klassische Splittung immer mehr aufgeweicht. Für den Bundestrainer ist Kroos ein „Zwischenspieler“, der sich dadurch auszeichnet, dass er sich zwischen den Linien bewegt und durch sein kluges Passspiel das Geschehen lenkt. In dieser Rolle habe Kroos „zuletzt einige Spiele von uns geprägt“, sagt Löw. Dass Kroos die Rückennummer 18 trägt, die Summe aus 8 und 10, soll aber eher einem Zufall geschuldet sein. Doch wo nun hin mit Kroos? An die Seite eines defensiven Sechsers oder doch eher weiter vorn, direkt hinter der Spitze auf der Spielmacherposition?

Ein Spieler, der sich zunehmend entwickelt

Auf beiden defensiven zentralen Positionen drückt es die Nationalelf. Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger ringen nach langen Ausfällen noch um Form und Fitness. Aber auch Spielmacher Mesut Özil, eigentlich ein Lyriker am Ball, wirkt von einer seltsamen Blockade befallen. Welche Rolle nun auf ihn zulaufe, könne Kroos nicht sagen. „Das muss den Trainer beschäftigen, wo er mich sieht“, sagt Kroos. „Ich glaube, dass ich meinen Teil erfüllt habe. Jetzt liegt es beim Bundestrainer.“

Sein Vorteil sei, „dass ich alles spielen kann“, sagt Kroos. „Ich spiele bei einem absoluten Topverein, habe eine gute Qualifikation mit der Nationalelf gespielt und bin fit und gut drauf.“ Sein neues Selbstbewusstsein zieht Kroos dabei auch aus seiner Veranlagung, die im Kopf zu finden ist. Mehr denn je komme es heute auf das Tempo der Auffassungsgabe und der Wahl der richtigen Entscheidungen an. Mehr als anderswo braucht es diese Handlungsschnelligkeit im zentralen Mittelfeld. Dort, wo der Raum am engsten und die Zeit am kürzesten ist, wo sich Ballkontrolle in Torgefahr zu verwandeln hat.

Kritische Töne in der Vergangenheit

„Der Toni kann wahnsinnig viel“, sagt Löw. Nur müsse das viel konsequenter zu sehen sein. Denn immer mal wieder fiel dem Begabten auch mal ein Spiel aus dem Stiefel, in dem er das Geschehen zu wenig zu seinem machte. Spieler seiner Güte müssten das Spiel der gesamten Mannschaft tragen – gerade wenn es mal nicht so läuft. Das waren keine wirklich schwachen Spiele, doch vermutlich ist es das Los Hochbegabter: Man kann nicht genug kriegen von ihnen. Sie können alles, nur sie zeigen es nicht immer.

Toni Kroos weiß um die Kritik, verortet sie aber in der Vergangenheit. „Ich habe jetzt noch einmal eine gewisse Entwicklung durchlaufen.“ Eine Entwicklung der Aushärtung. Er werde seine Rolle schon finden und ausfüllen, sagt der 24-Jährige. „In der öffentlichen Wahrnehmung bin ich ja offensichtlich kein Spieler für den defensiven Part. Vielleicht war das Pokalfinale ein gutes Beispiel, dass ich das schon kann.“

Als Lahm früh verletzt ausfiel, hatte Kroos dessen defensiveren Part allein gespielt und wurde zur überragenden Figur auf dem Platz. Kroos betont es im WM-Quartier noch einmal: „Ich wusste, dass ich das spielen kann.“ Dann geht er beschwingt aus dem Raum.

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