Nach dem Sieg gegen Borussia Mönchengladbach: Was für Hertha BSC alles möglich ist
Hertha BSC überzeugt vor allem gegen die Großen der Bundesliga. Nach dem Sieg in Mönchengladbach spricht Trainer Dardai erstmals von der Europa League.
Pal Dardai, der sich selbst vermutlich für einen brutal realistischen Menschen hält, hegt insgeheim ein ausgeprägtes Faible für Superlative. Vor einigen Wochen hat er Marko Grujic zum besten Mittelfeldspieler in der jüngeren Vereinsgeschichte von Hertha BSC erhoben, und am Sonntag adelte er den 3:0-Erfolg seiner Mannschaft bei Borussia Mönchengladbach zum besten Auswärtsauftritt unter seiner inzwischen vier Jahre währenden Verantwortung. Während Dardai, der Trainer des Berliner Fußball-Bundesligisten, mit seiner Einschätzung zu Marko Grujic zumindest bei seinem Vorgesetzten Michael Preetz (Marcelinho!) heftigen Widerspruch erregte, dürfte sich der Protest mit Blick auf die Partie im Borussia-Park in Grenzen halten. „In dieser Höhe in Gladbach zu gewinnen, das ist ein Ausrufezeichen“, sagte Fabian Lustenberger.
Um den Erfolg ausreichend zu würdigen, empfiehlt sich ein Blick auf die Zahlen. Die Gladbacher hatten zuvor alle neun Heimspiele in dieser Saison gewonnen und dabei insgesamt nur drei Tore kassiert – so viele schoss Hertha nun in 90 Minuten. Vor dem Spiel stellten die Borussen noch die beste Abwehr der Liga; von ihren nun 21 Gegentreffern in 21 Begegnungen geht nach dem 4:2 im Hinspiel ein Drittel auf das Konto der Berliner. „Und man muss nicht einmal vom Faktor Glück reden“, sagte Trainer Dardai. „Es war genug Entlastung da.“
Vielleicht sind die nächsten starken Gegner eher ein Segen
Hertha verteidigte gut, weil die Mannschaft auch in der Defensive aktiv blieb und sich nicht einfach nur hinten rein stellte. „Gladbach ist nicht einfach zu verteidigen“, sagte Lukas Klünter. „Aber wir haben es vernünftig runtergespielt.“ In letzter Linie changierte das Team je nach Spielsituation zwischen Dreier-, Vierer- und Fünferkette. Dardai sprach von einer Verteidigung wie im Handball. Dem nominellen Gladbacher Mittelstürmer Lars Stindl, der ein begabter Wandler zwischen den Linien ist, blieb immer ein Berliner Verteidiger auf den Fersen, wenn er sich als Anspielstation ins Mittelfeld zurückfallen ließ. Dardais Assistent Rainer Widmayer lobte die innere Einstellung der Spieler, die Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen. „Die Mannschaft war über die gesamte Spielzeit konzentriert, fokussiert, gierig“, sagte er. „Das war eine Ausnahmeleistung.“
Es war nicht das erste Mal, dass sich Hertha gegen einen Ausnahmegegner zu einer solchen Ausnahmeleistung aufraffte. Vier Spiele haben die Berliner in dieser Saison schon gegen die Top-drei-Teams der Liga bestritten. Sie sind gegen Bayern, Dortmund und Gladbach immer noch ungeschlagen und haben zehn von zwölf möglichen Punkten geholt. Mühe hat Hertha eher mit der Ebene. „Wir haben wieder gezeigt, dass wir gegen die großen Gegner bestehen können“, sagte Marko Grujic. Warum das so ist? „Keine Ahnung“, antwortete Davie Selke. „Aber es darf gerne so weiter gehen.“
Möglicherweise kann sich das Team gegen die Großen besser motivieren als für die vermeintlichen Pflichtaufgaben, die sich scheinbar im Vorübergehen abhaken lassen. „Das ist ein Lernprozess“, sagte Widmayer. Zudem kommt es Hertha entgegen, wenn der Gegner selbst Fußball spielen will und die Berliner eher eine reaktive Rolle einnehmen können. „Wir freuen uns, gegen große Gegner zu spielen", sagte Salomon Kalou. "Gegen Gladbach sind es immer schwierige, aber auch gute Spiele, weil sie den Weg nach vorne suchen und wir so unsere Chancen bekommen."
Pal Dardai spricht von der Europa League
Trotzdem liegt in der Gesamtbetrachtung ein Makel über der bisherigen Spielzeit, weil sich durch Niederlagen gegen die Abstiegskandidaten Stuttgart und Düsseldorf der Eindruck verfestigt hat, dass für Herthas Mannschaft im Wachstum schon jetzt mehr möglich gewesen wäre. „Man hat einfach gesehen, welches Potenzial wir haben“, sagte Selke. „Das müssen wir einfach viel öfter abrufen.“
Vor dem Spiel im Borussia-Park sah sich Dardai schon wieder mit aufkommender Weltuntergangsstimmung konfrontiert, angesichts der anstehenden Begegnungen in Gladbach, gegen Bremen und bei den Bayern. Vielleicht aber ist der Spielplan eher ein Segen. Auch Bremen hat eine Mannschaft, die Fußball als Spiel begreift und nicht als Zerstörungswerk. „Die Bundesliga ist so irre“, sagte Dardai. „Jeder kann jeden schlagen.“
Am vergangenen Donnerstag hat Dardai noch Wert darauf gelegt, nie von der Europa League gesprochen zu haben. Das tat er dann am Sonntag. „Jetzt gehen wir in die Phase, wo es interessant wird“, sagte der Ungar. Der reife Auftritt gegen die Gladbacher hat seine Zuversicht genährt. „Welche Mannschaft kann konstant bleiben? Das entscheidet darüber, wer nächstes Jahr in der Europa League spielen darf“, erklärte Herthas Trainer. „Es gibt acht Mannschaften, die ähnlich sind. Von denen musst du Erster werden. Aber dafür musst du nach einem Sieg wieder gewinnen.“ Zwei Siege hintereinander – das ist Hertha in dieser Saison erst zweimal gelungen.