Fußball-Weltmeisterschaft: Was bezweckt die Fifa mit der angestrebten WM-Aufstockung?
Am Dienstag berät der Weltfußballverband über das Vorhaben von Präsident Gianni Infantino, die Zahl der WM-Teilnehmer auf 40 oder 48 zu erhöhen. Kritik kommt vor allem aus Europa.
Statt bisher 32 Mannschaften sollen ab der Weltmeisterschaft 2026 entweder 40 oder – was als deutlich wahrscheinlicher gilt – 48 Länder teilnehmen. Fifa-Präsident Gianni Infantino hat in den vergangenen Monaten überall auf der Welt intensiv für seinen Vorschlag einer 48er-WM geworben. Das Fifa-Council, das höchste Gremium des Fußball-Weltverbandes, berät am Dienstag in Zürich über eine Aufstockung der Weltmeisterschaft. Für den Schweizer hängt viel von einer Aufstockung ab, will er sich doch von seinem Vorgänger Joseph Blatter abheben und als Reformator gerieren.
Warum strebt die Fifa eine Aufstockung an?
Als Hauptgrund führt Infantino pausenlos an, dass dann endlich mehr Länder und Regionen der Welt an diesem traumhaften WM-Ereignis teilhaben dürften. Sein Ansinnen ist aber nicht nur allein guter Wille. Es geht natürlich auch ums Geld. Schon jetzt finanziert sich die Fifa vor allem über die Fernsehvermarktungsrechte der WM. Das Turnier 2014 in Brasilien brachte der Fifa 2,4 Milliarden Dollar (knapp 2,3 Milliarden Euro) ein. Und eine aufgestockte WM mit mehr Spielen würde die finanziellen Möglichkeiten sofort erhöhen. Schließlich könnte der Weltverband so ein noch größeres Publikum erreichen. Das bedeutet noch mehr Möglichkeiten für Sponsoren.
Für mehr Teilnehmer spricht laut Infantino auch die Entwicklung der Mitgliedsverbände. Bei der WM 1966 gab es 16 Startplätze, 71 Nationen spielten in der Qualifikation. 1990 waren es 24 Teilnehmer und 110 Qualifikanten. Mittlerweile gehören 211 Länder der Fifa an und nur 32 dürfen bei der WM mitspielen. Da müsse doch wieder ein besseres Verhältnis zwischen Mitgliedern und tatsächlichen WM-Teilnehmern hergestellt werden, argumentiert Infantino.
Wie würde eine WM mit 40 Teilnehmern aussehen?
Für diese Aufstockung hat die Fifa zwei Varianten vorgeschlagen. Bei 40 Teilnehmern sieht die erste Option acht Gruppen mit je fünf Teams vor. Weil dabei nur die Gruppensieger in das Viertelfinale weiterkommen würden, ergäbe sich das Problem, dass zum Ende der Gruppenphase schon viele bedeutungslose Spiele stattfinden würden. Die zweite Variante bei 40 Mannschaften wären zehn Vierergruppen. Die zehn Gruppensieger erreichen das Achtelfinale sowie die sechs besten Zweiten. Das würde allerdings komplizierte Rechenvarianten bedeuten wie bei der EM 2016. Manche Mannschaften müssten bis zu vier Tage warten, bis sie wissen, ob sie weiterkommen würden.
Infantino hat allerdings schon verlauten lassen, dass sich eine WM mit 40 Mannschaften aus seiner Sicht nicht rechne. Er will mehr. Die 40er-Aufstockung wäre zudem für Europa und Südamerika wenig attraktiv, weil die beiden stärksten Kontinentalverbände dann wenige zusätzliche Startplätze bekämen.
Wie liefe eine WM mit 48 Mannschaften ab?
Auch für dieses Modell hat die Fifa zwei Varianten erarbeitet. Bei der ersten wären 16 Mannschaften gesetzt und die 32 übrigen Teams spielen eine vorgelagerte Play-off-Runde. Danach würde das Turnier ablaufen wie bisher. Da ein Drittel der Teilnehmer bei diesem Modus schon nach einem Spiel abreisen müsste, gilt dieser Vorschlag ebenso als wenig wahrscheinlich. Bleibt also noch die zweite 48er-Variante. Diese sieht 16 Vorrundengruppen mit je drei Mannschaften vor. Die 16 Gruppensieger würden weiterkommen und das Achtelfinale bestreiten. Um mögliches Taktieren im zweiten und letzten Gruppenspiel zu unterbinden, erwägt die Fifa, Unentschieden in der Vorrunde abzuschaffen. „Die große, große, große Mehrheit neigt zu den 48 Teams mit den 16 Dreiergruppen“, sagte Infantino noch im Dezember.
Doch egal auf welche Aufstockung sich die Mitglieder des Fifa-Councils schließlich einigen sollten, über das konkrete Turnierformat soll erst bei weiteren Beratungen entschieden werden.
Wie stehen die Verbände der Erweiterung gegenüber?
Die meisten begrüßen die Aufstockung, besonders die Kontinentalverbände Asien, Afrika, Nord- und Mittelamerika sowie Ozeanien. Denn sie würden so deutlich mehr Teilnehmerplätze erhalten, beziehungsweise im Falle Ozeaniens nun fest mit einem WM-Starter dabei sein und nicht mehr nur Play-off-Spiele bestreiten müssen.
Die Hauptkritik an den Fifa-Plänen kommt aus Europa. Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der auch der Vereinigung der europäischen Spitzenklubs vorsteht, klagt besonders über die hohe Belastung der Spieler. Er und seine Mitstreiter befürchten, dass die Stars ausgelaugt von den Nationalmannschaften zu ihren Vereinen zurückkehren. Und dass die Klubs, die die Spieler bezahlen, dann mit vielen verletzten oder erschöpften Profis zu kämpfen haben.
Der neue Präsident des europäischen Kontinentalverbands Uefa, Aleksander Ceferin, warf der Fifa vor, zu spät konkrete Vorschläge für die WM-Formate unterbreitet zu haben. Da ständig neue Ideen und Varianten an die Öffentlichkeit getragen worden seien und das sogenannte Faktenpapier der Fifa mit den vier Varianten erst kurz vor Weihnachten die Nationalverbände erreicht habe, sei viel Verwirrung entstanden, sagte der Slowene.
Was hält der DFB von einer Aufstockung?
Reinhard Grindel, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), hat sich zuletzt sehr deutlich gegen eine größere Teilnehmerzahl ausgesprochen. „Beim DFB sind wir grundsätzlich davon überzeugt, dass am bewährten Modus mit 32 Teilnehmernationen festgehalten werden sollte“, sagte er. Die Weltmeisterschaften seien zuletzt immer ein Erfolg gewesen. „Warum also sollte man etwas ändern?“
Im Dezember hatte Grindel noch angedeutet, dass sich der DFB auch mit einer Aufstockung anfreunden könnte. Nachdem die neue Fifa-Generalsekretärin Fatma Samoura im Dezember zu einem Besuch nach Frankfurt gereist war und für eine Erweiterung geworben hatte, sagte der 55-Jährige: „Ich habe hinterlegt, dass es keine zusätzliche Belastung für die Spieler geben und die Länge des Turniers nicht weiter ausgedehnt werden darf.“
Inzwischen lehnt der DFB eine 40er-WM oder 48er-WM aber strikt ab. „Alle vier Alternativen haben erhebliche Schwächen, die im Faktenpapier der Fifa auch deutlich aufgezeigt werden“, betont DFB-Präsident Grindel. Auch Bundestrainer Joachim Löw ist gegen eine Erweiterung: „Man muss aufpassen, dass man das Rad nicht überdreht mit zu vielen Spielen“, sagte er. „Die Qualität darf nicht leiden und der sportliche Wert darf nicht verwässern.“
Sind Deutsche an der Entscheidung im Fifa-Council beteiligt?
Nein, Wolfgang Niersbach zog sich im Dezember aus dem Gremium zurück, für das er ohnehin gesperrt ist. Der ehemalige DFB-Präsident war im Juli von der Fifa-Ethikkommission für ein Jahr ausgeschlossen worden, weil er sein Wissen über mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der WM 2006 nicht weitergegeben hatte. Niersbach legte dagegen beim Internationalen Sportgerichtshof Cas Einspruch ein, dieser wurde jedoch abgewiesen und so gab der 66-Jährige all seine Fußball-Ämter zurück. Grindel ist nun der einzige Kandidat für Niersbachs Nachfolge im Fifa-Council. Doch die Wahl findet erst im April statt.
Welche Ziele verfolgt Infantino?
Die Aufstockung der WM ist für den Schweizer von großer Bedeutung. Denn als er im Februar des vergangenen Jahres zum Fifa-Präsidenten gewählt wurde und dabei viele Stimmen aus Afrika sowie Nord- und Mittelamerika bekam, verdankte er dies einem zentralen Wahlversprechen. Er sicherte den kleineren und fußballerisch noch nicht so entwickelten Ländern zu, dass sie bessere Chancen bekommen würden, auch mal an einer WM teilzunehmen. Schöne Reden von mehr Transparenz ziehen unter den schachernden Funktionären nicht. Er muss sein Versprechen nun unbedingt einlösen und kämpft umso mehr für eine Erweiterung.
Darum bekräftigt er bei jeder Gelegenheit, dass das Turnier nicht länger werden würde, dass man keine zusätzlichen Stadien bräuchte und dass er weiter auf Diskussionen setze. „Ich glaube an die Aufstockung, aber ich bin kein Diktator“, sagte der 46-Jährige. Damit spielt er auf seinen Vorgänger Joseph Blatter an, der die Fifa wie ein absolutistischer Herrscher führte und von dem sich Infantino unbedingt distanzieren will.
Was hat Infantino bisher bewirkt?
In seiner nun fast ein Jahr währenden Amtszeit hat sich Infantino selbst immer als Erneuerer präsentiert. Doch hinter den Kulissen hält er sich nicht so sehr daran. Die direkt vor seiner Wahl beschlossenen Reformen im Weltverband sehen eigentlich vor, dass der Fifa-Präsident eher repräsentiert und sich wenig in das operative Tagesgeschäft einmischt. Speziell dafür war der neue Generalsekretärs-Posten geschaffen worden. Aber Infantino setzte dort die ehemalige UN-Diplomatin Fatma Samoura aus dem Senegal ein, die im Fußballfunktionärsbereich über keinerlei Erfahrung verfügt. Bisher agiert sie stets auf einer Linie mit Infantino.
Innerhalb der Fifa kann sich Infantino jedoch nicht der vollen Unterstützung aller Mitarbeiter sicher sein. Nicht nur sein großspuriges Auftreten irritiert offenbar einige alteingesessene Angestellte, sondern auch seine großen Spesenabrechnungen. Infantino reagierte mit altbekannten Fifa-Mitteln: So wurden unliebsame Mitarbeiter entlassen und wichtige Positionen mit seinen Vertrauten besetzt.
Wirklich tiefgreifende Änderungen im Weltfußball hat Infantino noch nicht angestoßen. Die bisher sichtbarste Neuerung im Vergleich zu Blatter ist, dass er auf seinen Reisen meist ein Fifa-Team mit ehemaligen Stars um sich schart und dann ein Showspiel ausgetragen wird, bei dem er auch mitkickt – selbstverständlich mit der Kapitänsbinde. Die WM-Erweiterung wäre also Infantinos erstes richtig großes vorzeigbares Ergebnis.
Kann Infantino mit der Aufstockung die Verbände wieder enger zusammenbringen?
Das scheint nur schwer vorstellbar. Denn allein schon die Verteilungskämpfe um mögliche neue WM-Startplätze, die schon jetzt vor sich gehen, zeigen, wie sehr in der Fußball-Welt jeder zunächst nur auf sich schaut. Neue Konflikte können ganz schnell aufbrechen, wenn ein Kontinentalverband das Gefühl hat, er bekommt nicht genug vom Kuchen ab. Um Streitereien zu verhindern, brachte Infantino bereits eine neue Idee bezüglich der WM-Ausrichter in Umlauf. Er schlug eine klare Rotation der Gastgeber zwischen den Kontinentalverbänden vor und betonte außerdem, dass doch auch drei Länder gleichzeitig eine WM austragen könnten. So könnten ebenfalls mehr Nationen auf eine WM-Chance hoffen.
Welche Neuigkeiten gibt es von der umstrittenen WM 2022 in Katar?
Da hat die Fifa mal wieder beteuert, dass man „die Problematik der Arbeitsbedingungen und Menschenrechte in Katar sehr ernst“ nehme. Anlass für die Mitteilung war die Entscheidung des Handelsgerichts Zürich, eine Klage gegen die Fifa hinsichtlich der WM in Katar abzuweisen. Gewerkschaften aus den Niederlanden und Bangladesch hatten die menschenunwürdigen Bedingungen der Arbeiter auf den Stadionbaustellen in Katar angeprangert und die Fifa verklagt. Das Gericht lehnte die Klage aus formellen Gründen ab. Doch es wird sicher nicht der letzte Vorstoß der Menschenrechtler gegen die Fifa bleiben. Infantino wird an all den Brandherden noch viel leisten müssen.