Boxerin bei den Finals in Berlin: Warum Zeina Nasser mehr als eine Kämpferin mit Kopftuch ist
Boxerin Zeina Nassar ist nicht nur im Ring ein Ereignis. Die Boxerin gilt auch als Vorbild für viele junge muslimische Frauen.
Ein Trommelfeuer an Fausthieben trifft den Boxsack. Der Trainer hat Mühe, sich dagegen zu stemmen. Dabei kommen die Schläge von einer zierlichen Frau. Aber Zeina Nassar hat extrem flinke und treffsichere Hände, wie auf dem Instagram-Video deutlich wird. Flink und pointiert ist überhaupt die passende Beschreibung für die 21-Jährige, die seit einiger Zeit eine der interessantesten Persönlichkeiten im deutschen Boxsport ist.
Zeina Nassar hat nicht nur schnelle Fäuste, sondern auch ein schnelles Mundwerk. Ihre Medienauftritte sind wie ihre Kämpfe ein kleines Ereignis. Ihr Manager kommt kaum noch hinterher vor lauter Interviewanfragen. Doch jetzt will er es ruhiger angehen lassen. Schließlich beginnen an diesem Donnerstag für Nassar die Boxwettkämpfe im Kuppelsaal des Berliner Olympiageländes. Im Leichtgewicht (bis 60 Kilogramm) soll sie erneut Deutsche Meisterin werden. Nassar soll sich ganz auf ihren Sport konzentrieren. Sie ist ja immer noch vor allem Sportlerin.
Wobei sie mittlerweile zu einer Stimme für junge muslimische Frauen geworden ist. Nassar ist insbesondere als die „Kopftuch-Boxerin“ bekannt. Es ist wenig schmeichelhaft, sie darauf zu reduzieren, weil so ihre sportlichen Leistungen – Nassar ist nicht nur bereits Deutsche, sondern auch fünfmalige Berliner Meisterin – kaum gewürdigt werden. Auf der anderen Seite: Deutsche Meisterschaften im Frauenboxen spielen in der Öffentlichkeit – so schade das ist – fast keine Rolle. Durch Zeina Nassars besondere Geschichte erfahren viele Menschen, dass es Frauenboxen überhaupt gibt.
Nassar stammt aus einer libanesischen Familie, sie ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Mit 13 Jahren fasste sie den Entschluss, Boxerin zu werden. Ein Schock für ihre muslimischen Eltern, wie sie sagte. Vor wenigen Wochen saß Nassar im ZDF-Sportstudio und erzählte: „Meine Eltern wissen: Wenn ich etwas will, dann bekomme ich es auch.“ Und so war das auch mit dem Boxen. Sie setzte mal wieder ihren Kopf durch. Nassar verlor zwar ihren ersten Kampf. Sie hielt das Boxen trotzdem weiter für eine so gute Idee, um noch mehr Zeit und Energie darin zu investieren. „Boxen macht schnell, kräftig und schlau“, sagte sie vor ein paar Monaten dem Tagesspiegel.
Der größte Widerstand kam dabei zu Beginn nicht von ihren Gegnerinnen. Nassar war eine Ausnahmeboxerin – noch nicht sportlich, sondern äußerlich. Mit Kopftuch und langen Sportklamotten war sie ein Novum im Boxsport. Dessen Verbände waren überfordert mit dem Fall. Letztlich setzte sich Nassars resolute Trainerin von den Boxgirls in Berlin- Kreuzberg, Linos Bitterling, erfolgreich für ein Teilnahmerecht von Zeina Nassar ein. Die nationalen Boxbestimmungen waren angepasst worden, um der ambitionierten Athletin eine Chance zu geben. Sicher aber auch, um den vielen in Deutschland lebenden Muslimas eine Chance zu geben.
Ihr großer Traum soll sich 2020 erfüllen
So boxte sich Nasser nach oben, vermöbelte mit ihrem unkonventionellen Stil ihre Gegnerinnen reihenweise. Im Februar dieses Jahres reagierte dann auch der Box-Weltverband Aiba und erlaubte lange Kleidung unter Trikot und Hose. Zeina Nassar kann jetzt Olympiasiegerin im Boxen werden. Millionen Muslimas können nun Olympiasiegerinnen im Boxen werden.
Viele feierten Nassar als Kämpferin für Religionsfreiheit und Gleichberechtigung. Aber es gab auch Verunglimpfungen und Drohungen. „Vorsicht, sie wäre nicht die erste Muslima, der man wegen der verletzten Ehre in den Kopf schießt oder sie bei lebendigem Leib verbrennt“, war ein Kommentar zu Nassar in den sozialen Netzwerken. Nassar versucht, so etwas zu ignorieren. Sie hat auch schlicht keine Zeit, sich mit derlei Ergüssen aus der Internethölle zu beschäftigen. Nassar trainiert inzwischen zwei Mal am Tag an der Sportschule Rahn in Berlin-Lankwitz. Vor fünf Wochen war sie am Meniskus operiert worden. Sie trainierte hart, um bei den deutschen Meisterschaften in dieser Woche in Berlin starten zu können.
Ihr großer Traum soll aber im nächsten Jahr in Erfüllung gehen: die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio. Dafür lässt Nassar ihr Studium in Erziehungswissenschaften und Soziologie an der Universität Potsdam derzeit ruhen. Sie ist gut aufgestellt für die Zukunft, auch was die Sponsoren angeht.
Nassar hat nicht nur in Deutschland, sondern auch international Aufmerksamkeit erregt. Ein großer Sportartikelhersteller unterstützt sie. Auch dank Nassar ist dort seit Neuestem ein bislang wenig beachteter Artikel stark beworben: ein Kopftuch.