Mit Zeina Nassar durch Kreuzberg: „Manche verstehen nicht, dass ich deutsche Meisterin bin“
Als erste Frau in Deutschland stieg Zeina Nassar mit Kopftuch in den Boxring. Der Heimatkiez der deutschen Meisterin ist in Kreuzberg. Ein Spaziergang.
Spätestens seit Zeina Nassar im September 2018 den Titel als deutsche Boxmeisterin im Federgewicht holte, ist sie als Sportlerin bekannt. Begonnen hat ihre Karriere bei den Boxgirls in Kreuzberg. Sieben Jahre ist das her. Sie wurde besser, trainierte im Verein Seitenwechsel, und seit vergangenem Jahr kämpft die 21-Jährige beim Berliner TSC im Osten der Stadt. Doch aufgewachsen ist Nassar in Kreuzberg.
19 Jahre hat sie hier mit ihren Eltern gelebt. Als Treffpunkt schlägt sie den Hermannplatz vor, den Dreh- und Angelpunkt ihrer Jugend. Nur eine Viertelstunde zu Fuß von hier entfernt ist sie zur Schule gegangen. Ihr Lebensmittelpunkt hat sich mittlerweile verschoben, doch hier ist sie immer noch gerne. Es sind viele Erinnerungen und die Familie, die sie mit dem Kiez verbinden.
Nassar in Berlin zu erreichen, ist gar nicht so leicht, denn sie ist immer unterwegs: Sie springt hin und her zwischen dem Training, den Wettkämpfen und den Vorlesungen an der Universität Potsdam, wo sie Erziehungswissenschaften und Soziologie studiert.
„Ich kann mittlerweile ohne diesen positiven Stress gar nicht mehr“
Und da gibt es noch eine weitere Leidenschaft. Seit drei Jahren spielt Zeina Nassar am Maxim-Gorki-Theater als Laiendarstellerin im Stück „Stören“ mit. An ihre vielen Termine erinnert sie ihre Smartwatch, die sie am linken Handgelenk trägt. „Ich kann mittlerweile ohne diesen positiven Stress gar nicht mehr“, sagt sie, während sie den Kottbusser Damm entlangläuft.
Als Kind war sie viel draußen und hat Fußball gespielt. Bis sie mit 13 Jahren den Entschluss fasste, mit dem Boxen anzufangen, nachdem sie auf Youtube boxende Frauen in einem Video sah. Ein Satz fesselte sie besonders: „Boxen macht schnell, kräftig und schlau.“ Die Frau in Leggings, mit dunklem Kopftuch und Felljacke, klingt bestimmt, wenn sie über ihre Profession spricht.
Als erste Frau in Deutschland stieg Zeina Nassar mit dem Kopftuch in den Ring und wurde fünffache Berliner Meisterin. „Meine Eltern waren am Anfang schon ein bisschen geschockt“, gibt sie zu. Um die Familie von ihrem Vorhaben zu überzeugen, redete sie zu Hause über nichts anderes als Boxen. Ihre Brüder betrieben bereits Karate und Kampfsport.
Auch ihr Vater ist großer Box-Fan, so wurde seine Passion auch ihre. „Der deutsche Titel war mein Ziel“, dafür habe sie lange gekämpft, sagt die Berlinerin mit libanesischen Wurzeln. Einigen habe es nicht gepasst, dass sie ihn 2018 gewann. Für ihren Erfolg erntet sie positive wie negative Kritik.
„Manche Leute verstehen nicht, dass ich deutsche Meisterin bin – und das mit Kopftuch.“ Für Zeina Nassar ist das nicht nachvollziehbar. „Ich bin in Berlin geboren und habe den deutschen Pass“, sagt sie. Das Kopftuch macht für die Studentin keinen Unterschied. „Im Sport ist es mir wichtig, nicht aufs Äußere reduziert zu werden.“
Bei Volleyball und Fechten ist der Hijab zugelassen
Religiosität ist Teil ihrer Identität, aber das Kopftuch soll sie nicht vom Sport abhalten. Damit Nassar an ihrem ersten Wettkampf teilnehmen konnte, mussten erst die Kampfbestimmungen geändert werden. Bisher waren weder eine Kopfbedeckung noch lange Kleidung zugelassen.
Ihr Aussehen hat viele überrascht, doch das habe sich geändert, nachdem sie im Ring ihre Leistung zeigte, sagt Nassar. Noch heute kämpft sie für ihre Rechte, will auch die Wettkampfbestimmungen des internationalen Amateurboxverbandes AIBA ändern, um an weltweiten Kämpfen und 2020 an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Bisher ist in manchen olympischen Sportarten wie Volleyball oder Fechten der Hijab zugelassen, doch die AIBA hat die Regeländerung bisher noch nicht abgesegnet.
Nachdem Zeina Nassar in die Böckhstraße gebogen ist, blickt sie hoch auf die Sporthalle der Hermann-Hesse-Oberschule. „Das war meine Schule“, sagt sie. Hier hat sie im Verein Basketball gespielt. „Und da vorne ist der U-Bahnhof Schönleinstraße.“ Ihr Weg führt weiter zum Hohenstaufenplatz, der von Gründerzeithäusern und ihrer alten Grundschule umgeben ist. „Das ist der Spielplatz“, sagt sie. „Dort haben wir Fußball gespielt. Hier habe ich mir immer Herausforderungen gesucht.“ Dazu gehörte, über eine kleine Mauer zu springen oder Kunststücke an den Turnstangen auszuprobieren.
Auf dem Bolzplatz wurde sie Zeina Ronaldinho genannt. Die letzten Spieleinladungen musste sie allerdings ablehnen, weil es der Zeitplan nicht erlaubte. „Meine höchste Priorität ist mein Sport“, sagt Nassar. Dafür braucht sie viel Disziplin. Früh hat sie durch das Boxen gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Mit 16 leitete sie erste Trainings. Ihr Ehrgeiz zahlte sich aus: Sie wurde für das Schülerstipendium „Grips gewinnt“ ausgewählt, in ihrem Studium wird sie durch die Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert.
Nassar ist zum Vorbild geworden
Der Wind weht kalt, so wird ein Café auf dem Kottbusser Damm zur letzten Station. Nassar ist zum Vorbild geworden. Sie wird von Schulen und Vereinen eingeladen. Mit ihren Fans kommuniziert sie auf Instagram, wo sie über 25.000 Follower hat. Mittlerweile hat sie über das Internet viele andere junge Frauen kennengelernt, die angefangen haben, mit Kopftuch zu boxen. Sie nimmt einen Schluck Pfefferminztee. Zwischen ihren Fingerknöcheln sind wunde Stellen vom Training zu sehen.
Seit sie in der Profiliga kämpft, werden ihre Gegnerinnen älter. Inzwischen hat sie einen Sponsorenvertrag, seit Kurzem einen Manager, einen Lauf- und einen Krafttrainer. Nur ein Tag in der Woche bleibt für Familie und Freunde, sonst heißt es zweimal täglich: Training, Training, Training. Doch Nassars Begeisterung ist ungebrochen für den Kampfsport. „Es geht nicht ums Prügeln, Boxen ist ein kontrollierter Sport, der zu 70 Prozent Kopfsache ist und zu 30 Prozent aus Kraft besteht.“
Auch im Libanon bekommt die Profiboxerin Anerkennung für ihre Leistung. Einmal im Jahr besucht sie dort ihre Verwandten, doch verwurzelt ist sie fest in Berlin. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, in einer anderen Stadt zu leben“, sagt sie. Und dann ruft der Alarm auf ihrer Uhr, es ist für sie Zeit zu gehen.
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Natalie Mayroth