50+1-Regel: Vorteil Martin Kind bei Hannover 96
In der 50+1-Frage bahnt sich eine Entscheidung an – möglicherweise doch zugunsten von Martin Kind. Wieder mal droht Hannover 96 eine Zerreißprobe.
Der Ruf nach Reformen im deutschen Fußball ist kürzlich wieder lauter zu hören gewesen. Als sich der FC Bayern am vergangenen Mittwoch eher deutlich als knapp aus der Champions League verabschiedete, war das Debakel ja perfekt. Gegen die monetär enteilte englische Premier League resultierten aus sechs direkten Duellen drei mickrige Törchen bei 17 Gegentoren. Müßig zu erwähnen, dass neben den Münchnern auch Dortmund und Schalke an Tottenham respektive Manchester City scheiterten.
Reformen also. Wenn diese Debatte geführt wird, geht es auch um frisches Kapital. „Was die Top-Talente anbetrifft, sind wir überholt worden. In der Premier League ist zudem das nötige Kapital da“, sagte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc. Und wo das Wort Kapital fällt, sind wiederum Investoren nicht weit und damit auch die Frage, ob die 50+1-Regel noch zeitgemäß ist. Jener Passus also, der dafür sorgt, dass reine Kapitalgeber zwar Unsummen in Klubs pumpen können, sie aber nicht leiten dürfen.
Kind-Gegner gegen Kind-Befürworter, dazwischen passt nichts
Hannovers Manager Horst Heldt sagt deshalb: „Wir müssen zwei Schritte zurückgehen und definieren: Was wollen wir? Ich kann mich doch nicht beschweren, dass wir international nicht mehr auf Augenhöhe sind, aber auf der anderen Seite ist die Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben.“ In England dürfen Investoren Klubs führen und greifen deshalb tief ins prall gefüllte Portemonnaie.
Martin Kind, der Hauptanteilseigner an der Profifußballabteilung von Hannover 96 ist, will das ebenso, führen und bestimmen. Und bisher konnte er das auch, weil Kind nicht nur Investor bei 96 ist, sondern auch Präsident des Stammvereins Hannover 96 (e.V.).
Am Samstag steht nun die Mitgliederversammlung des e.V. an und Martin Kind hat bereits angekündigt, sich aus diesem zurückzuziehen. Jener Mann also, der den Klub eisern geführt und tief gespalten hat, tritt nicht mehr zur Wahl an. Es wird zu einer Kampfabstimmung kommen. Kind-Gegner gegen Kind-Befürworter, dazwischen passt nichts.
Ein Kind gewogener Nachfolger dürfte die Trennung zwischen Stammverein (e.V.) und der ausgegliederten Profifußballabteilung weiter forcieren. Konkret will die Kind-Fraktion eine Ausnahme von der 50+1-Regel für Hannover 96 erzwingen. Kinds Gegner wollen das verhindern. Die Stimmung vor dem Treffen ist in etwa so explosiv wie die regelmäßigen Wutausbrüche von 96-Coach Thomas Doll – und sie könnte bald noch unausgewogener werden.
Denn die eigentliche Wahl, um die es geht (96 mit 50+1-Regel oder ohne), wird woanders verhandelt. Seit August 2018 befasst sich das Schiedsgericht der Deutschen Fußball-Liga (DFL) mit der Frage, ob 96 den Schutzriegel öffnen darf. Die DFL hatte einen entsprechenden Antrag, den Kind ohne direkten Mitgliederbeschluss einreichte, im vergangenen Juli abgeschmettert. Es seien entscheidende Kriterien nicht erfüllt gewesen, hieß es. Daraufhin bemühte Kind das Schiedsgericht.
Es geht um viele hundert Seiten, die bewertet werden müssen. Vorsitzender des Schiedsgerichts ist Udo Steiner, ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter. Dem Tagesspiegel teilte er auf Anfrage nach dem Stand des Verfahrens mit: „Es gibt keine neue Sach- und Rechtslage, die Schriftsätze der beiden Parteien sind ausgetauscht worden. Mit einer Entscheidung oder einer Zwischenentscheidung ist in absehbarer Zeit zu rechnen.“
Nach Informationen des Tagesspiegels ist noch nichts entschieden, allerdings soll es eine Tendenz pro Kind geben. Demnach soll sowohl dem Kind-Lager als auch der DFL mitgeteilt worden sein, dass 96 zu einer Ausnahme von der 50+1-Regel berechtigt sein könnte. „An den Gerüchten ist eindeutig nichts dran, die Sache ist absolut offen“, dementierte Steiner am Wochenende. „Das Verfahren lebt, es ist noch nicht beendet.“
Die Frage stellt sich allerdings schon, wie es bei 96 weitergeht, sollte das Schiedsgericht tatsächlich pro Kind urteilen. Haben die Mitglieder des Vereins dann noch die Wahl, gegen ein Modell zu stimmen, in dem Investoren mehrheitlich das Sagen haben – oder werden durch ein Schiedsgerichtsurteil harte Fakten geschaffen? Hoffenheims Dietmar Hopp, dem die DFL im Dezember 2014 eine Ausnahme genehmigte, ließ sich diese danach noch von der Mitgliederversammlung der TSG bestätigen.
Sollte das Schiedsgericht gegen Kind urteilen, bleibt es ebenfalls unübersichtlich. Dieser will dann nämlich auf ordentliche Gerichte setzen, wodurch die gesamte Regel kippen könnte. Udo Steiner sagt: „Die Frage, ob 50+1 mit dem Kartellrecht konform geht, ist seit mehr als einem Jahrzehnt umstritten. Niemand kann einschätzen, wie es in dieser Frage weitergeht – oder ob die Regel bleibt oder fällt oder modifiziert wird.“
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